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Aus: Ausgabe vom 26.09.2024, Seite 8 / Ausland
Flügelkämpfe in Bolivien

»Morales muss sich mit Arce zusammensetzen«

Bolivien: Präsident und Vorgänger streiten um Kabinett und Kandidatur für 2025. Ein Gespräch mit Jorge Ledezma Cornejo
Interview: Thorben Austen
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Unterstützer des früheren Amtsinhabers Evo Morales bei einem Protestmarsch in El Alto (23.9.2024)

Vergangene Woche gab es in Bolivien einen Marsch von Demonstranten zum Regierungssitz in La Paz unter Beteiligung von Expräsident Evo Morales. Was fordern die Demonstranten?

Der Marsch begann in der Stadt Caracollo mit etwa 3.000 Teilnehmern und führte rund 190 Kilometer bis zum Regierungssitz. Auf dem Weg gab es Auseinandersetzungen, letztlich erreichten die Demonstranten aber ihr Ziel. Hier hat Evo Morales am Montag dem demokratisch gewählten Präsidenten Luis Arce ein Ultimatum gestellt: Er soll innerhalb von 24 Stunden sein Kabinett umbauen und neue Minister ernennen. Arce hat dazu Stellung genommen und Morales ein Gespräch angeboten, leider gibt es von Morales noch keine Antwort.

Was stört Evo Morales an den Ministern?

Es geht wohl speziell um drei Minister, die öffentlich klargemacht haben, dass Morales laut Verfassung kein Recht auf eine neue Kandidatur hat. Morales hat in den sieben Tagen des Marsches immer wieder andere Dinge gefordert, zum Schluss den Rücktritt der Minister.

Die 24 Stunden sind mittlerweile abgelaufen. Was wird jetzt passieren?

Evo Morales und seine Anhänger haben angekündigt, jetzt mit Straßenblockaden das Land lahmlegen zu wollen. Wenn dies geschieht, hätten darunter vor allem die zu leiden, die von Tag zu Tag leben, etwa Straßenverkäufer und andere, die im informellen Sektor arbeiten.

Der Konflikt zwischen dem Präsidenten und seinem Vorgänger dauert schon einige Zeit an. Was sind aus Ihrer Sicht die politischen Unterschiede zwischen ihnen?

Es gibt keine. Beide sind Mitglieder der Bewegung zum Sozialismus, MAS, Arce war fast vierzehn Jahre Minister unter Morales. Es geht Morales darum, seine Kandidatur für das Präsidentenamt 2025 durchzusetzen. Mir tut diese Entwicklung weh, der Streit unter Landsleuten, schlimmer noch unter Genossen. Wir wurden Zeugen der Neugründung Boliviens seit 2006 (erster Wahlsieg von Evo Morales, jW), jetzt ist das Projekt in Gefahr. Morales muss sich mit Arce zusammensetzten und eine Lösung finden.

Es heißt, den Demonstranten geht es nicht nur um die Frage einer erneuten Kandidatur von Morales, sondern auch um die schlechte Wirtschaftslage.

Es gibt einen Mangel an Devisen, der sich auf die wirtschaftliche Situation, den Export und die Industrie auswirkt. Dieser entstand vor allem durch die Blockadehaltung privater Unternehmen. Nach wie vor haben wir aber recht niedrige Lebenshaltungskosten, günstige Grundnahrungsmittel und die Inflation ist zwar da, aber bei weitem nicht so dramatisch, wie sie die politische Rechte darstellt. Wir orientieren uns weiterhin an dem Modell der produktiven sozialen Gemeinschaften.

Was ist unter diesem Wirtschaftsmodell zu verstehen?

Zentrales Element ist die soziale Inklusion. Der Staat als Verwalter des Reichtums Boliviens kümmert sich vor allem um die schwächsten Bevölkerungsgruppen, ausdrücklich eingeschlossen die Integration der 36 indigenen Völker. Beispiel ist der Zuschuss für alle Kinder im schulpflichtigen Alter von 200 Bolivianos (etwa 25,90 Euro, jW) monatlich, für den die einzige Voraussetzung ist, dass sie die Schule besuchen. Oder die Rente in Würde für alle Menschen über 60 Jahren von 350 Bolivianos (etwa 45,30 Euro, jW).

Bolivien ist reich an Bodenschätzen. Ein Versprechen der MAS war immer, dass dieser Reichtum dem bolivianischen Volk gehört. Wie wollen Sie das sicherstellen?

Der Konflikt um Privatisierungen, die »Kriege« um Wasser und Gas waren zentrale Elemente der Entwicklung der MAS auf dem Weg zur Regierungsverantwortung. Evo Morales hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine Umkehr der Gewinne beispielsweise der Gasvorkommen erreicht. Flossen vorher 82 Prozent der Gewinne in die Taschen multinationaler Konzerne und nur 18 Prozent an den Staat, wurde dies nach dem Amtsantritt der MAS umgekehrt. Heute geht es konkret um die Verarbeitung unserer Lithiumvorkommen, etwa 50 Prozent der weltweiten Vorkommen. Dabei akzeptieren wir die Teilnahme von Firmen aus China und Russland, aber der Staat behält die Kontrolle.

Jorge Ledezma Cornejo ist bolivianischer Generalkonsul in Lima

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