»Checks and Balances ausgehebelt«
Von Tom BeierSie sind Aktivistin in El Salvador. Wie charakterisieren Sie die Lage unter Präsident Nayib Bukele?
Seit 2021 haben wir eine konterrevolutionäre Phase. Denn seitdem kontrolliert Bukele die staatlichen Organe vollständig, so dass das System der Checks and Balances ausgehebelt wurde. Seine Partei »Nuevas Ideas« besitzt die absolute Mehrheit im Parlament. Er hat die Generalstaatsanwaltschaft ausgetauscht, die 17 Verfahren wegen Korruption gegen Funktionäre der Bukele-Regierung angestrengt hatte. Noch zentraler war die Ersetzung der Mitglieder des Verfassungsgerichts. Außerdem kontrolliert er nun drei Viertel des Obersten Gerichtshofs.
Wie setzt Bukele seine Machtfülle ein?
Er lässt die öffentlichen Personen der Vorgängerregierungen, vor allem die der FMLN, verfolgen. Wir haben also ein autoritäres Regime mit viel politischer Macht, großer ökonomischer Macht durch die Unterstützung seitens der Oli-garchie, gestützt vom nordamerikanischen Imperialismus.
Wie ist die Situation der Bevölkerung?
Ihre Lage verschlechtert sich. Wir beobachten einen Anstieg der Armut, einen Anstieg der Mi-gration, einen Anstieg der Gewalt gegen Frauen sowie eine Serie von Menschenrechtsverletzungen. Diese werden im sogenannten Kampf gegen die Jugendbanden begangen. Außerdem werden Haushaltskürzungen vorgenommen und Hassbotschaften gegenüber linken Sektoren der Gesellschaft ausgesandt.
Was war die letzte Aktion Ihres Bündnisses Bloque de Resistencia y Rebeldía Popular (Block des Widerstands und der Volksrebellion)?
Am 15. September haben wir eine Mobilisierung in der Hauptstadt San Salvador durchgeführt, an der etwa 15.000 Personen beteiligt waren. Angeprangert wurden die Einschränkungen der Freiheiten des Volkes durch den Ausnahmezustand, der die religiöse und kulturelle Selbstbestimmung stark einschränkt. Das betrifft besonders die Situation der Frauen und der LGBTQ-Bewegung.
15.000 ist ja nicht soviel. Hat die Bevölkerung Angst oder steht sie gar auf seiten der Regierung?
Bukele hat Zustimmungswerte von über 90 Prozent. Das leugnen wir nicht. Er hat einen Messianismus etabliert, in dem er behauptet, dass er El Salvador retten wird. (»El Salvador« bedeutet »Der Retter«, Bukele knüpft also an einen alten religiösen Diskurs an, jW) Die Bevölkerung hat weiter Angst vor der Gewalt der Jugendbanden. Gleichzeitig gelingt es der Regierung so, die Gewalt gegen Frauen oder gegen die Landbevölkerung auszublenden.
Wenn man heute aufs Land fährt, gibt es dort keine aktiven Jugendbanden mehr, aber Militärs, die Jugendliche bedrohen.
Sie sind auch Mitglied der Juventud Popular Salvadoreña (Salvadorianische Volksjugend). In Deutschland gibt es eine Diskussion darüber, dass die Jugend die Ultrarechte wählt. Sind junge Menschen auch in El Salvador die Basis des Bukelismus?
Bei seinem ersten Wahlsieg 2019 waren es die mittleren Jahrgänge, die Bukele massiv wählten, ein Großteil der Jugendlichen hat gar nicht gewählt. Das war 2024 wieder der Fall, denn viele junge Menschen verlassen das Land. In den jüngeren Generationen gibt es wenig historisches Bewusstsein über die sozialen Kämpfe in El Salvador, über den Befreiungskampf, die Kriminalisierung der Kämpfer, die ihre Jugend dafür hergegeben haben, eine andere Gesellschaft zu erschaffen. Die Verbindung zwischen dieser alten Generation und den jüngeren wurde gekappt. Es entstand Apathie.
Was kann man dagegen tun?
Der Kapitalismus scheint in vielen Ländern Lateinamerikas den Kampf um die Deutungshoheit gewonnen zu haben. Fukuyamas Prophezeiung vom »Ende der Geschichte« muss aber die Idee entgegengesetzt werden, dass eine andere, solidarische Gesellschaft möglich ist.
Marisela Ramírez ist aktiv im Bündnis Bloque de Resistencia y Rebeldía Popular und in der Jugendorganisation Juventud Popular Salvadoreña
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