»Für die Bevölkerung ist fast alles unerschwinglich«
Interview: Thorben AustenSie haben im September in Caracas am Kongress »Gegen Faschismus, Neofaschismus und ähnliche Erscheinungsformen« teilgenommen. Wer hat diesen Kongress organisiert und welche Inhalte wurden diskutiert?
Ich erhielt die Einladung über die Regierungspartei PSUV, die Veranstaltung hatte mehr als 30 Redner. Soziale, feministische, Jugend- und kulturelle Bewegungen, Intellektuelle und Akademiker, Gewerkschaften und politische Parteien, indigene Organisationen und Menschenrechtskollektive waren vor Ort. Es wurden die vielfältigen Erscheinungsformen des Faschismus im 20. Jahrhundert thematisiert. Großen Raum nahm auch der »digitale Faschismus« des 21. Jahrhunderts ein. Die Vizepräsidentin Delcy Rodríguez legte dar, dass es bei den Präsidentschaftswahlen am 28. Juli innerhalb einer Minute über 30 Millionen Cyberangriffe auf das elektronische Wahlsystem Venezuelas gegeben hatte.
Das Kongressmotto hat Ähnlichkeiten mit einem Gesetzentwurf der Maduro-Regierung. Der UN-Kommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sieht darin den Abschied vom »demokratischen und bürgerlichen Raum«. Auch von der Kommunistischen Partei Venezuelas kam Kritik. Wie sehen Sie das?
Jeder Kritik sollte grundsätzlich mit Respekt begegnet werden. Der Bericht von Volker Türk über die Ereignisse nach den Wahlen lässt aber unerwähnt, dass es gewaltsame Angriffe auf Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie Stationen für die CLAP-Versorgungspakete gegeben hat. Er spricht nur von festgenommenen Demonstranten. Solch ein Agieren unter dem Deckmantel der UN erweckt nicht gerade Vertrauen in die Institution der UN selbst, zumal durch das ständige mediale Ausschlachten solche Quellen in den Verdacht geraten, Teil einer gezielten Kampagne gegen Venezuela zu sein.
■ Die Kritik der Kommunistischen Partei Venezuelas muss man differenziert betrachten, da ich mit meiner Kritik die Parteiführung um Óscar Figuera meine und nicht die Parteibasis. Diese Führung hat bei den Präsidentschaftswahlen mit Enrique Márquez nachweislich einen rechten Kandidaten aufgestellt, der an verschiedenen Putschversuchen gegen Chávez und Maduro beteiligt war. Somit ist es nachvollziehbar, dass man von dieser Seite gegen das Gesetz argumentiert.
Sie besuchen Venezuela regelmäßig. Wie sehen Sie die soziale Lage im Land?
Wenn ich den Zeitraum der letzten fünf Jahre bewerte, ist trotz vieler ungelöster Probleme, gerade durch die 930 völkerrechtswidrigen Sanktionen, viel erreicht worden. Dass in den letzten 13 Jahren über fünf Millionen Sozialwohnungen gebaut worden sind, kann man nicht hoch genug bewerten. Auch ist es gelungen, dass 97 Prozent der subventionierten Verpflegungspakete, CLAP genannt, aus eigener Produktion stammen. Es wird viel in die kostenlose Bildung und die medizinische Versorgung investiert. Gerade dort braucht es dringenden Verbesserungen. Ich möchte das an einem aktuellen Beispiel deutlich machen: Ein dreijähriges Mädchen braucht schnell eine Art Herzteilprothese, die Venezuela im Ausland wegen der Sanktionen nicht kaufen kann. Es gibt Fachärzte, die vor Ort die Operation durchführen können. Wir benötigen mindestens 7.000 Dollar, um diese Prothese im Ausland kaufen zu können.
Auch wenn es in Venezuela für den normalen Lebensunterhalt alles zu kaufen gibt, fehlt den Menschen das Geld dazu. Durch die jahrelange Hyperinflation sind die Preise gestiegen, und für die Bevölkerung ist fast alles unerschwinglich geworden.
Welche Arbeit leistet Ihr Verein?
Wir halten bundesweit Vorträge über Venezuela und Lateinamerika, aber auch zu speziellen Themen wie der Monroe-Doktrin. Außerdem leisten wir vor Ort konkrete Hilfe mit unserer Partnerorganisation COSI im Rahmen der Kampagne »Medizin für Venezuela«. Wenn wir in Venezuela sind, übernachten wir bei Menschen zu Hause und nicht in Hotels und bezahlen die Reise selbst, so dass jeder Euro, den wir als Spende erhalten, auch gezielt ankommt.
Carsten Hanke ist Präsident der Gesellschaft für Frieden und internationale Solidarität (Gefis) in Rostock
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