Frei beweglich
Von Marc HieronimusÜber all die von Edelfedern gepriesenen Literaturadaptionen, Sach-, Lehr-, Aufklärungs-, historischen und Kunstcomics sollte man nicht vergessen: Manchmal sind Comics einfach nur komisch, und ihre einzige Botschaft lautet: »Lach mal wieder.« Sicher ist die Frage, wer mit wem worüber lacht, damit nicht vom Tisch, und gerade vermeintlich unpolitischer Humor erfüllt die hochpolitischen Funktionen der Ablenkung und Triebabfuhr, aber egal, wie bewegt und betroffen man sonst ist, von Zeit zu Zeit will man einfach ein paar Stündchen witzig unterhalten werden. Zumal der Witz von seiner Wortherkunft nicht nur die Belustigung, sondern auch die Klugheit und das gut Gemachte ist.
Pascal Jousselins »Unschlagbar« ist beides, lustig und raffiniert, und wenn »der einzig wahre Superheld des Comics« und seine Geschichten politisch irgendwo zu verorten sind, dann gewiss links von den Übermenschen aus den Häusern Marvel und DC. Stilistisch weiß man gleich, woran man ist. Grelle Farben, eine Art erweiterte, vermutlich computergestützte Ligne claire wie oft bei neueren Gagserien frankobelgischer Herkunft, die Pro- und Antagonisten sind kleinwüchsig und dicknasig wie der jüngere Teil des Zielpublikums.
Unschlagbar, so sein Name, nutzt die in seinen Worten »unglaubliche Magie« oder wahlweise »verblüffende Macht« des Comics, um zwischen Einkauf, Haushalt und Gartenarbeit kleinen und großen Ganoven das Handwerk zu legen oder auch mal eine Katze vom Baum zu holen. Der nette maskierte Nachbar im gut gewölbten gelben Superheldenpulli kann sich nämlich frei über Panelgrenzen hinwegbewegen und damit zum Beispiel oben links auf der Seite sehen, was im Bild darunter geschieht und dadurch Maßnahmen ergreifen, dass unten rechts auf dem Blatt wieder alles in Ordnung ist. Das erinnert an Marc-Antoine Mathieus Figur Julius Corentin Acquefacques, über dessen Abenteuer zu Recht viel Tinte vergossen wurde, der aber erleidet die Krümmung der Dimensionen nur und wird anders als Unschlagbar auch nicht zur Welt- und Haustierrettung gerufen.
Dieser lernt bald den pubertierenden Two-D-Boy kennen, der auch Superheld werden möchte und über die bemerkenswerte Gabe des Perspektivbruchs verfügt: Für »Tuhdi« gibt es kein vorn und hinten. Was für andere weit entfernt und darum klein ist, ein Auto, ein Baum oder auch der Mond, kann er in die Hand nehmen und versetzen, wenn auch selten ohne unerwünschte Konsequenzen. Der Junge muss halt noch lernen.
Im dritten Album stößt Unschlagbar sogar in die echte Welt vor. Bei einem Waldspaziergang treffen er und sein Freund, der Gendarm Bruno, auf einen Bastler, der eine Pforte zur Dimension der Götter auftun möchte. Der nette Herr, aus einer anderen Geschichte schon als »Der Professor« bekannt, frohlockt: »Endlich das Universum unserer Schöpfer entdecken, das wird phantastisch! Hi, hi, hi …« Tatsächlich öffnet sich das Portal und saugt die drei in unsere Welt. Von nun an geht es weiter mit Fotos von Straßen, Autos und Gebäuden, auf die Jousselin seine Figuren und Sprechblasen geklebt hat. Das kennt die nicht mehr ganz junge U-Comix-Leserin zum Beispiel von frühen Édika-Episoden aus den späten 1980ern, aber einmal ist keinmal.
Auf dem Rechercheplaneten bedetheque.com äußern sich einige Kommentatoren dennoch enttäuscht über den dritten Band – die Gags würden sich totlaufen, während manche Charaktere mit viel Potenzial nicht weiterentwickelt würden. Da ist zum Beispiel die Dame, die sich rückwärts durch den Comic bewegt und mit niemandem sprechen kann, weil sie antwortet, bevor sie gefragt wird. Oder Brunos verstorbene Frau, die ihrem Witwer als glänzender Schatten unter die Arme greift. Oder Unbesiegbar, die Frau, die örtlich und zeitlich durch den Comic reisen kann, indem sie statt einer runden eine eckige Sprechblase absondert, ähnlich der manchmal am oberen Bildrand angebrachten Kästen, die Autoren nutzen, um einen Szenewechsel zu erklären: »Fünf Minuten später, am Bahnhof«. Oder der ältere »Herr der Worte«, dessen Sprechblasen physische Realität sind und Personen fesseln oder k. o. schlagen können. Oder die Postbotin, die die Bildgrenzen neu definieren kann und dadurch zwar ihren Job schneller erledigt, aber natürlich auch Unheil anrichtet. Papperlapapp. Nur der Preis der Prachtausgabe ist nicht ganz so witzig.
Pascal Jousselin: Unschlagbar. Drei Bände im Schuber. Carlsen-Verlag, Hamburg 2024, 142 Seiten, 59 Euro
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