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Aus: Ausgabe vom 15.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Überwachung

»Eine bisher einmalige Massenüberwachung«

Sachsens Innenminister Schuster erweitert Rechtsbefugnisse im Freistaat. Ein Gespräch mit Frank Rosengart
Von Barbara Eder
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Testlauf beim Fußball: Massenüberwachung durch die Polizei in Gelsenkirchen (11.5.2024)

Sie haben den sächsischen CDU-Innenminister Armin Schuster als PerIS-Verantwortlichen für einen der diesjährigen Big Brother Awards nominiert. Worin besteht die Finesse von PerIS, dem videogestützten »Personen-Identifikations-System« der Polizei Sachsen?

Technologisch betrachtet gibt es bei PerIS keine großen Neuerungen. Was das System vielleicht besser macht als »normale« Biometriekameras ist, dass durch die Autoscheibe – auch bei Spiegelungen und Regen – aufgenommen werden kann. Wie gut der biometrische Abgleich – also der Vergleich der Aufnahme mit einem Foto – in der Praxis funktioniert, wissen wir nicht. Die Besonderheit ist eher eine juristische: Mit Paragraph 59 des Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes hat man eine Rechtsgrundlage geschaffen, um die biometrische Massenüberwachung des gesamten Verkehrs legal möglich zu machen. Das ist bislang einmalig.

PerIS erfasst die Bewegungsdaten aller Fahrzeuge in Grenznähe – auch jene von Fahrrädern. Inwieweit ist diese Form der Massenüberwachung rechtlich legal?

Diese Erfassung war während der Gültigkeit von Paragraph 59 zumindest erst einmal auf dem Papier »legal«. Der Linke-Abgeordnete Klaus Bartel und weitere 34 Mitglieder des Sächsischen Landtags haben eine Normenkontrollklage beim Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen eingereicht und dieser hat entschieden, dass einige der Vorschriften verfassungswidrig sind. Während das Gericht über die Normenkontrollklage entschieden hatte, galt das Gesetz. Einer Prüfung durch das sächsische Verfassungsgericht hätte der Paragraph wahrscheinlich nicht standgehalten. Allerdings hätten auch betroffene Autofahrer und Autofahrerinnen schon zuvor dagegen vorgehen können. In anderen Bundesländern versucht man, sich auf andere Rechtsgrundlagen zu berufen, etwa auf Paragraph 100h Absatz 2 Nummer 1 der Strafprozessordnung, StPO, zur »Videoobservation«, der die Kameraüberwachung auch von Unbeteiligten gestattet. Zur Sicherung der Staatsgrenze gibt es auch in anderen Bundesländern sehr umfangreiche Kontrollbefugnisse, die oft bis zu 30 Kilometer ins Land hinein gültig sind.

Die PerIS-»Videoobservation« sollte der Eindämmung »grenzüberschreitender Kriminalität« dienen. Die Existenz bedrohlicher »Fremder« in den Nachbarländern Tschechien und Polen wird damit vorausgesetzt. Wieviel Rassismus steckt in der vermeintlichen technischen Lösung?

Die Anlagen dienen nicht der »Grenzsicherung«, sondern sollen Kriminalität eindämmen beziehungsweise aufklären. Die mobilen Geräte werden bundesweit eingesetzt.

Die Firma OptoPrecision GmbH aus Bremen hat PerIS entwickelt. Wer profitiert ansonsten von derartigen Überwachungsmaßnahmen?

Es gibt in Deutschland eine Reihe von Firmen, die ihr Geld mit Überwachungshightech verdienen. Es ist abzusehen, dass zukünftig biometrische Abgleichsysteme zunehmend in der »Cloud« laufen – und damit vor allem die Kassen von Big-Tech-Unternehmen füllen.

Frank Rosengart ist Mitglied des Chaos Computer Clubs (CCC) und programmiert im Kommunikationsbereich.

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