»Terrorist« zur Legende gemacht
Von Jörg TiedjenEr dürfte einer der meistgesuchten Männer der Welt gewesen sein: Jahja Sinwar, Chef der palästinensischen Hamas und Hauptverantwortlicher für den palästinensischen Angriff vom 7. Oktober vergangenen Jahres. Am Mittwoch wurde er von israelischen Soldaten im Süden Gazas getötet, nicht im Rahmen einer gezielten Militäroperation, sondern durch Zufall. Eine Einheit israelischer Soldaten stieß bei einem Patrouillengang bei Rafah auf drei Palästinenser, die sich getrennt in der Trümmerlandschaft verschanzten. Nachdem einer von ihnen von einer Drohne ausfindig gemacht worden war, wurde sein Standort von einem Panzer beschossen.
Erst am darauffolgenden Tag drangen Soldaten in das zerstörte Gebäude ein, in dem Sprengfallen vermutet wurden, und erkannten die Ähnlichkeit des vorgefundenen Leichnams mit Sinwar. Ein Teil seines Fingers wurde abgeschnitten und zur DNA-Analyse nach Israel gesandt. Am Donnerstag nachmittag wurde dann die Identität Sinwars bestätigt, und die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich in den internationalen Medien. Am Freitag folgte dann auch die Bestätigung durch die Hamas.
Ihr gefallener Anführer trug ein als »Kalaschnikow« bekanntes Sturmgewehr AK-47 bei sich. Außerdem wurden bei ihm eine Rolle Pfefferminzbonbons, ein Bündel Geldscheine, eine Taschenlampe, ein Rosenkranz, mehrere Hamas-Flugblätter, eine Packung Papiertaschentücher, ein Nagelknipser und ein Stück Seife gefunden, wie auf von Israel veröffentlichten Fotos zu sehen ist.
Sinwar hatte demnach auch einen gefälschten Pass bei sich, der ihn als Mitarbeiter des Palästina-Hilfswerks UNRWA ausgab. Sofort kamen Gerüchte in Umlauf, dass einer seiner Begleiter, der ebenfalls getötet wurde, tatsächlich zum Personal der UN-Organisation gehört haben soll, was Wasser auf die Mühlen der israelischen Propaganda bedeutete, die ihr Komplizenschaft mit der Hamas vorwirft. Doch UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini widerrief umgehend und erklärte, dass die von Israel angegebene Person am Leben sei und sich in Ägypten befinde.
Israels Verteidigungsminister Joaw Gallant sagte am Donnerstag: »Sinwar starb, während er gejagt wurde und sich auf der Flucht befand. Er starb nicht als Anführer, sondern als jemand, der sich nur noch um sich selbst kümmerte. Das ist eine klare Botschaft an alle unsere Feinde.« Premierminister Benjamin Netanjahu behauptete, an die Einwohner Gazas gewandt: »Sinwar hat euer Leben zerstört. Er hat euch erzählt, er sei ein Löwe, aber in Wirklichkeit hat er sich in einer dunklen Höhle versteckt – und wurde eliminiert, als er voller Angst vor unseren Soldaten weglief.«
In sozialen Netzwerken allerdings fand der Mitschnitt der Drohne weite Verbreitung, die den Hamas-Chef lokalisiert hatte. Der Journalist und Filmemacher Dan Cohen schrieb dazu auf X: »Israel hat den Fehler gemacht, Aufnahmen von Jahja Sinwars letzten Momenten zu veröffentlichen. Der schwerverletzte Sinwar trug eine Kufija und warf mit einem Stock nach der Drohne, die ihn filmte – ein letzter Akt des Widerstands gegen die zionistische Besatzung. Durch seinen Tod wurde er zu einer Legende.«
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