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Aus: Ausgabe vom 22.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Theater

Die Einladung

Künstlerisches Abendessen: Musicbanda Franui und Nicholas Ofczarek mit »Holzfällen« von Thomas Bernhard im Burgtheater
Von Eileen Heerdegen
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Abrechnung mit allem und jedem: Nicholas Ofczarek und die Musicbanda Franui

Ein entzückendes Séparée, eine Puppenstube für Erwachsene mit rotem Teppich und rotem Samtvorhang zu Loge und Zuschauerraum im Wiener Burgtheater. Für günstige 19 Euro pro Person im dritten Rang (bei Höhenangst rechtzeitig erscheinen, um sich an die steile Perspektive zu gewöhnen) bekommt man die Logenstühlchen im Wohlfühlpack mit dem intimen Hinterzimmer. Zartfarben goldgestreifte Tapete, Garderobe, ein tropfenförmiger Spiegel des Mid-Century, Tischchen und ein filigranes Fake-Rokoko-Sofa. Das Getränk kann man sich mitbringen, muss nicht anstehen und es nach dem dritten Klingeln hastig hinunterstürzen, und der Kartoffelsalat in der Tupperdose wird zum künstlerischen Abendessen.

Kartoffelsalat. – »Die Tatsache erschütterte mich, dass die Joana schließlich an einen solchen verkommenen Menschen geraten ist, einen aus dem finstersten Salzburg, der sich andauernd um ein Hochdeutsch bemühte, das aus seinem Mund herausgekommen, das unglücklichste gewesen war, das ich jemals gehört habe. Wie er Kartoffelsalat gesagt hat zur Kellnerin in der Eisernen Hand hatte mir beinahe Übelkeit verursacht.«

»Kartoffelsalat« – wie der Burgschauspieler Nicholas Ofczarek dort, gefühlte 100 Meter unter mir, auf der hart und spärlich beleuchteten Bühne des Wiener Burgtheaters dieses Wort genüsslich zerkaut – grandios und köstlich statt übelkeitsverursachend.

»Holzfällen – eine Erregung« von Thomas Bernhard aus dem Jahr 1984, eine Produktion der Musicbanda Franui, einem 10köpfigen Ensemble aus dem Osttiroler Dorf Innervillgraten, mit Nicholas Ofczarek, dessen Ehefrau Tamara Metelka gemeinsam mit Andreas Schett von Franui die ausgewählten Textpassagen zusammengestellt hat. Die Musiker begleiten die irrwitzigen, urkomischen Sätze Bernhards mit Eigenkompositionen und berühmten Musikstücken und Motiven und ihrer ureigenen Spezialität, dem Zelebrieren von Trauermärschen und Trauermusik.

Das passt hervorragend, denn die Abendgesellschaft, die Bernhard beschreibt, das »künstlerische Abendessen«, eine Einladung mit einem Burgschauspieler als Ehrengast, wird auch zu einer Trauerfeier – die gemeinsame Freundin Joana wurde am gleichen Tag beerdigt. Und so ist »Holzfällen« Bernhards sehr komische, sehr tragische Abrechnung mit allem und jedem, auch mit sich selbst, während er als namenloser Erzähler in einem Ohrensessel im Vorzimmer der herrschaftlichen Altbauwohnung der Auersberger in der Wiener Gentzgasse sitzt und die Gäste beobachtet, die alle auf das Erscheinen des großen Mimen warten.

»Und ich dachte wieder, dass es ein gravierender Fehler gewesen ist, die Einladung der Eheleute Auersberger angenommen zu haben, denn ich wollte ja mein ganzes Leben nichts mehr mit den Eheleuten Auersberger zu tun haben, und ich gehe über den Graben und sie sprechen mich an, sagen, ob ich vom Tod der Joana gehört habe, dass sich die Joana aufgehängt habe, und ich sage zu. (…) Dass ich mich einen Augenblick auf die schamloseste Weise sentimental gemacht habe, dachte ich und dass die Eheleute Auersberger diese meine Sentimentalität ausgenützt haben und dachte, dass sie den Selbstmord unserer gemeinsamen Freundin Joana genauso ausgenützt haben für eine Einladung.«

»Wien ist eine fürchterliche Genievernichtungsmaschine«, so der Mann im »Gentzgassensessel«, er sudert über die »feist und fett und hässlich gewordene Schriftstellerin Jeannie Billroth«, die »Burgtheatergecken« sowieso und den »durch Trunksucht infantilen Auersberger«, der nur gelegentlich noch ganze Sätze wie »Die Menschheit gehört ausgerottet« sagen kann.

Zum Schluss ein heftiges Aufbäumen der negativen Gefühle: »… denn ich hasste die Auersberger in Wahrheit nach diesem künstlerischen Abendessen genauso, wie ich sie früher gehasst habe (…) mit einem vielleicht noch intensiveren Hass, mit diesem Auersbergerhass …«, um schließlich tief im Wunsch, lieben zu können, fast zu ertrinken. »Dass ich diese Menschen verfluche und doch lieben muss und dass ich dieses Wien hasse und doch lieben muss …«

Für Bernhard ging es sich mit der Liebe dann aber doch nicht mehr aus, fürs Publikum dafür aber mit einem außerordentlichen Theatererlebnis. Franui begeistert, und die Stimme von Nicholas Ofczarek (ich habe nicht einen einzigen Versprecher bemerkt) wird zu einem weiteren, perfekt gespielten Instrument. Das kann man nicht besser machen.

Nächste Aufführungen: 22.10., 9.11., 27.11.

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