Stimme des Südens
Von Jörg KronauerCyril Ramaphosa war des Lobes voll. Gerade einmal 15 Jahre sei es her, rief Südafrikas Präsident am Mittwoch auf dem BRICS-Gipfel im russischen Kasan in Erinnerung, dass sein Land im chinesischen Sanya an seinem ersten, damals kaum beachteten Treffen mit Brasilien, Russland, Indien und China teilgenommen habe. Es war der erste Gipfel des noch weithin unbekannten Bündnisses der BRICS. Dieses aber habe sich in den nur eineinhalb Jahrzehnten seit seiner Gründung beachtlich weiterentwickelt, fuhr Ramaphosa fort. Es sei »zu einer wichtigen Stimme des globalen Südens« geworden. Und nicht nur das. Sei man damals noch zu fünft gewesen, so kämen in Kasan schon die Staats- und Regierungschefs von »neun führenden Schwellenländern« zusammen, stellte Ramaphosa fest: Man habe eine »historische Erweiterung« vollzogen. Die BRICS, »eine zunehmend einflussreiche Gruppe«, seien ein »Leuchtturm der Hoffnung« für den globalen Süden.
Delegationen aus 36 Staaten, zwei Drittel davon angeführt von Staats- und Regierungschefs, zudem Repräsentanten mehrerer internationaler Organisationen, darunter UN-Generalsekretär António Guterres: Nicht nur für die BRICS, auch für Russland als Gastgeber war der Gipfel, der am Dienstag begann und am Donnerstag zu Ende ging, ein echter Erfolg. Zumal die westlichen Mächte wie üblich starken Druck auf die eingeladenen Staaten und Organisationen ausgeübt hatten, nicht teilzunehmen oder allenfalls Personal niederen Rangs zu entsenden – mit dem bekannten Ziel, Keile zwischen Russland und dem globalen Süden zu treiben. Dies gelang nicht. Im Gegenteil: Präsident Wladimir Putin traf am Rande des Gipfels zusätzlich mit den Staats- und Regierungschefs von rund der Hälfte der teilnehmenden Staaten bilateral zusammen. Für Donnerstag war auch noch ein Gespräch mit Guterres geplant. Putins Terminkalender sei von früh bis spät dicht, teilte sein Sprecher Dmitri Peskow zufrieden mit.
Auch sonst gab es am Rande des Gipfels diverse bilaterale Treffen, die ganz und gar nicht im Sinne der westlichen Mächte verliefen. So kamen zum ersten Mal seit fünf Jahren Indiens Premierminister Narendra Modi und Chinas Präsident Xi Jinping zu einem formellen Gespräch zusammen, nachdem es zwei Tage zuvor gelungen war, den Konflikt an der Grenze zwischen beiden Ländern hoch oben im Himalaja zu entspannen. Neu-Delhi und Beijing würden nun darangehen, ihre zuletzt recht gespannten Beziehungen wieder auszubauen, hieß es anschließend. Unter anderem werde eine Ausweitung chinesischer Investitionen in Indien erwartet. Für den Westen, der konsequent darauf setzt, Indien gegen China in Stellung zu bringen – nach Möglichkeit sogar militärisch –, ist dies ein ernster Rückschlag. Wenig erfreut dürften die westlichen Regierungen auch darüber sein, dass nicht nur Putin und Xi, sondern auch Modi Irans Präsidenten Massud Peseschkian traf und den Ausbau der Beziehungen ankündigte. Modi lud Peseschkian zudem nach Neu-Delhi ein.
Die Abschlusserklärung des BRICS-Gipfels (»Kazan Declaration«) bekräftigt bekannte Positionen des Bündnisses und leitet neue Schritte ein. So sprechen sich die BRICS-Staaten für eine Reform der Vereinten Nationen aus und verurteilen unilaterale Sanktionen, mit denen der Westen brutal Wirtschaftskriege gegen seine Gegner führt. Sie verurteilen »terroristische Angriffe auf kritische grenzüberschreitende Energieinfrastruktur« – eine kaum verhüllte Anspielung auf die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines – sowie den »Terrorakt« der gezielten Sprengung zahlloser Pager im Libanon, mit dem Israel 42 Menschen umbrachte und fast 3.500 verletzte, in vielen Fällen schwer. Israels Kriegführung im Gazastreifen sowie im Libanon wurde aufs schärfste kritisiert. Die BRICS verurteilten auch die illegale Präsenz ausländischer Truppen auf dem Territorium Syriens. Das gilt offenkundig der Stationierung US-amerikanischer sowie türkischer Militärs.
Darüber hinaus sieht die Abschlusserklärung nicht nur Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Kooperation zwischen den BRICS-Staaten vor, etwa Handelserleichterungen oder den Aufbau einer Plattform für den Getreidehandel, die auf weitere Agrarprodukte, Düngemittel und womöglich auch Rohstoffe ausgeweitet werden könnte. Sie plant auch Schritte, um sich langsam, aber sicher vom westlich dominierten Finanzsystem unabhängig zu machen. So sind neben dem Ausbau der Nutzung nationaler Währungen für Handel und für Kredite der BRICS-eigenen New Development Bank (NDB) auch der Aufbau eines grenzüberschreitenden BRICS-Zahlungssystems sowie die Einrichtung eines Clearingmechanismus im Gespräch. Wirklich schnellen Fortschritten steht derzeit allerdings noch das Interesse mächtiger Mitgliedstaaten wie China und Indien entgegen, ihre globalen Geschäfte auszubauen. Ein Bruch mit dem globalen Finanzsystem würde das erheblich erschweren.
In Politik und Medien im Westen wurde der Gipfel in Kasan bislang recht negativ, teils abschätzig bewertet. Sich klar davon absetzend, erklärte lediglich der Vorsitzende der Linken-Gruppe im Bundestag, Sören Pellmann, er »begrüße« das Treffen grundsätzlich: Es sei »ein Zeichen, dass sich die Welt langsam, aber stetig hin zu einer multipolaren Weltordnung entwickelt«. Die Ära der westlichen Dominanz habe »dem globalen Süden Kriege und wirtschaftlichen Ruin gebracht«. Doch ihre Tage könnten gezählt sein.
Hintergrund: Partner der BRICS
Angesichts einer großen Fülle an Aufnahmeanträgen – von mehr als 30 war zuletzt die Rede – beschlossen die BRICS-Staaten auf ihrem Gipfel in Kasan, vorläufig keine neuen Mitglieder mehr aufzunehmen und statt dessen den Status von Partnerstaaten zu schaffen. Damit solle verhindert werden, dass die BRICS allzu groß, träge und handlungsunfähig werden. Darüber hinaus fürchten Staaten wie Brasilien oder Indien, China könne sich bei einer Aufnahme zahlreicher neuer Mitglieder als übermächtig erweisen, da es starke Wirtschaftsbeziehungen zu so gut wie allen Kandidatenländern unterhält. Für den Partnerstatus soll es bestimmte Voraussetzungen geben. Wer sie erfüllt sowie von den BRICS-Staaten akzeptiert wird, erhält ihn. »Viele Länder« seien auf dem Gipfeltreffen eingeladen worden, »Partner« zu werden, teilte der chinesische Präsident Xi Jinping in Kasan mit.
Eine offizielle Bestätigung, welche Staaten in Kasan genau eingeladen wurden, BRICS-»Partner« zu werden, lag bis Redaktionsschluss nicht vor. Online kursiert eine Liste, die 13 Länder umfasst. Genannt werden Belarus und die Türkei, in Zentralasien Kasachstan und Usbekistan, auf dem afrikanischen Kontinent Algerien, Nigeria und Uganda und in Lateinamerika Bolivien und Kuba. In Südostasien kommen demnach Indonesien, Malaysia, Thailand und Vietnam hinzu.
Nach wie vor in der Schwebe war in Kasan der Status Saudi-Arabiens, das zum Beitritt eingeladen worden ist, diesen aber immer noch nicht bestätigt hat. Außenminister Faisal bin Farhan war in Kasan zugegen, allerdings nach saudischen Angaben als Vertreter eines Landes, das »zum Beitritt eingeladen wurde«. Kronprinz Muhammad bin Salman, den die BRICS eigentlich zum Gipfel erwartet hatten, empfing am Mittwoch statt dessen US-Außenminister Antony Blinken. Schon lange wird spekuliert, Riad taktiere, weil es noch auf eine Zusage für eine Lieferung von US-Waffen hoffe. Bei den BRICS aber wächst langsam die Ungeduld. (jk)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlev R. aus Tshwane, Südafrika (25. Oktober 2024 um 14:26 Uhr)Bei seiner Rückkehr in seine Heimat wird dem Präsidenten Matamela C. Ramaphosa ein kalter Hauch unfreundlicher Realität entgegenkommen. Der größte der kleinen Partner in der Regierung der Nationalen Einheit (GNU), die »Democratic Alliance«, nutzte Ramaphosas Teilnahme am historischen Gipfel in Kasan, um herumzustänkern. DA-Führer John Steenhuisen, seines Zeichens Landwirtschaftsminister, meinte, seine antirussischen Ressentiments hinausposaunen zu müssen. Russland, so der DA-Minister, sein »kein Freund und Verbündeter unserer Nation«. Ramaphosa hatte zu Beginn des BRICS-Spitzentreffens an die Rolle der Sowjetunion beim Kampf gegen das Apartheidregime in Südafrika erinnert und dabei Russland als Freund und Verbündeten bezeichnet. Historische Tatsachen wie diese lösen bei Steenhuisen & Co. offenbar die sprichwörtlichen Pawlow'schen Reflexe aus. Denn sie sehen sich politisch im Lager der »Wertegemeinschaft« des Westens stehend. Neoliberale Kräfte, wie die DA und einige andere Kleinstparteien, sehen ihre »Freunde und Verbündeten« eher in den USA und der EU. Nur, in der Regierung der Nationalen Einheit leitet die Mehrheitspartei ANC die Außenpolitik, in der sind das Bündnis des globalen Südens und die Palästina-Solidarität fest verankert. Und diese Linie findet in der Bevölkerung eine überwältigende Mehrheit. Da beißt keine Maus ’nen Faden ab. Der DA-Führer hätte lieber geschwiegen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (25. Oktober 2024 um 09:22 Uhr)Sören Pellmann – einer der wenigen Lichtgestalten in der sich langsam auflösenden PdL, hat recht. Die BRICS-Gruppe repräsentiert eine Bevölkerungszahl, die ihr ein enormes Gewicht verleiht. Dass sich der kollektive Westen abfällig und arrogant gegenüber dem Treffen in Kasan äußert, ist der hilflose Versuch, einen Entwicklungsprozess zu verlangsamen, der aber nicht aufgehalten werden kann. Der globale Süden hat erkannt, dass eine Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit und Fairness mit dem Westen, wegen seines Anspruchs auf Dominanz, die auch vor kriegerischen Mitteln nicht Halt macht, unmöglich ist.
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