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Aus: Ausgabe vom 30.10.2024, Seite 12 / Thema
Krieg und Frieden

Nie wieder!

Die Friedenspreisträgerin« Anne Applebaum erklärt den Pazifismus zum Ausdruck der Unmoral. Der Ruf nach Frieden aber bleibt aktuell
Von Wolfram Wette
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»Der Satz ›Nie wieder!‹ hat uns schon in der Vergangenheit blind gemacht für die Wirklichkeit.« Anne Applebaum in ihrer Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (Frankfurt am Main, 20.10.2024)

Nie wieder sollen sich die Deutschen an der Parole »Nie wieder Krieg!« orientieren, wenn es nach Anne Applebaum geht, die am 20. Oktober 2024 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Im Klartext: Sie sollen sich wieder daran gewöhnen, dass Kriege geführt werden müssen. Das sei die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte. Was wir vor uns haben, ist der bewusste Missbrauch des Wortes Frieden zur Rechtfertigung des Bellizismus. Krieg gegen Russland, will die »Friedenspreisträgerin« ihrem deutschen Publikum weismachen, diene dem Frieden. Gleichzeitig setzt sich die Historikerin nach dem Freund-Feind-Schema für den Sieg der eigenen Seite ein, die natürlich die »gute« sein soll. So ist diese Preisträgerin eigentlich eine Kriegspropagandistin, die sich weder für Friedensbestrebungen in der Vergangenheit noch in der Gegenwart interessiert. In der Frankfurter Paulskirche wurde sie dafür auch noch beklatscht.

Wolfram Wette, 23. Oktober 2024

Elementarer Schock

24. Februar 2022: Der Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine löste in Deutschland einen elementaren Schock aus. Nicht anders reagierten die Menschen in ganz Europa. Kaum jemand hatte die Fernsehbilder, die an der Grenze zur Ukraine zusammengezogene russische Truppen zeigten, als konkrete militärische Kriegsvorbereitung gedeutet. Die Vorhersage des US-Geheimdienstes, es sei mit einem Angriff Russlands auf die Ukraine zu rechnen, hielt man für eine wenig glaubhafte Meldung. Man beschwichtigte sich mit der Annahme, es handle sich um eine Drohkulisse zur Unterstützung weiterer diplomatischer Aktivitäten, die zur Reduzierung vorhandener Spannungen führen sollten. Mehr konnte und wollte man sich hierzulande nicht vorstellen. Der deutsche Auslandsgeheimdienst scheint auch nicht mehr gewusst zu haben. Es war ein amerikanischer Diplomat, der dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kurz vor dem Angriff in einem Briefumschlag die alarmierende Information zusteckte, dass ein Krieg gegen die Ukraine unmittelbar bevorstehe.

Wie massiv der Schock gerade in Deutschland war, wird erst greifbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Kriegsnachricht hier auf eine – in mentaler Hinsicht – weitgehend pazifizierte Gesellschaft traf. Die friedfertige Grundstimmung hatte sich nach 1945 schrittweise als eine Reaktion auf die beiden Weltkriege und den tradierten preußisch-deutschen Militarismus herausgebildet. Der gesellschaftliche Wandel erreichte zwar nicht alle Deutschen, aber doch eine Mehrheit. Als symptomatisch mag der Sachverhalt gelten, dass sich in den 1980er Jahren eher der wehrdienstleistende Soldat unter Begründungszwang fühlte als der Zivildienstleistende. Die meisten Menschen im Lande hielten es für ausgeschlossen, dass es in Europa noch einmal einen zwischenstaatlichen Krieg geben würde. Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa schienen durch die Entspannungspolitik der 1970er und 1980er Jahre gewährleistet zu sein.

In der »Charta von Paris für ein neues Europa« von 1990 hatten sich sämtliche europäischen Staaten, dazu die USA und Kanada, feierlich verpflichtet, ein gemeinsames, friedliches Europa aufzubauen. Es sollte vom Atlantik bis zum Ural reichen, Russland einschließen und durch ein Miteinander, nicht durch ein Gegeneinander, dauerhaften Frieden schaffen. Endlich, so schien es, war die alte Friedensparole »Nie wieder Krieg!« in der Realität der europäischen Regierungspolitik angekommen.

Tatsächlich hat der Appell »Nie wieder Krieg!« die Deutschen schon immer eher polarisiert als geeint. Unter ihm sammelten sich nach 1918 diejenigen Deutschen, die aus dem Krieg als Pazifisten heimgekehrt waren. Sie forderten den Bruch mit dem Militarismus im eigenen Lande, den sie für die Ursache des Ersten Weltkrieges hielten. Damals fühlte sich die politische Rechte provoziert und in ihren tiefsten Überzeugungen angegriffen. Ein »Nie wieder!« versperrte aus ihrer Sicht den Weg in die Zukunft. Die deutschen Nationalisten pflegten eine heroische Erinnerung an die »große Zeit« von 1914 bis 1918, verdrängten die militärische Niederlage Deutschlands und bereiteten materiell wie mental die Wiederaufnahme einer kriegerischen Machtpolitik vor.

Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 erlebte die »Nie wieder Krieg!«-Bewegung eine Renaissance. Diesmal, so die weit verbreitete Auffassung, war die große Mehrheit der Deutschen zu einer grundlegenden Umkehr bereit. Der Anstoß kam von der neu entstehenden Friedensbewegung und von Gegnern des Faschismus. Im befreiten Konzen­trationslager Buchenwald formulierten die politischen Häftlinge: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.«

In den zehn Jahren ohne Armee (1945–1955) rangen sich auch konservative Wortführer zur Distanzierung vom Militarismus durch. Nach Umfragen gab es in den ersten Nachkriegsjahren eine große Mehrheit der Deutschen, die bereit war, ihr Denken und Handeln an der Devise »Nie wieder Krieg!« auszurichten. Das Grundgesetz von 1949 gab mit seinem Friedensgebot in der Präambel und mehreren Artikeln eine neue Grundorientierung für alles staatliche und gesellschaftliche Handeln in unserem Land vor. Das Grundgesetz war das Antiprogramm zu dem extrem gewalttätigen Zeitalter der Weltkriege, für die Deutschland die wesentliche Verantwortung trug.

Aber schon in den frühen 1950er Jahren brachen die alten Konfliktlinien wieder auf. Die Konservativen folgten der von Bundeskanzler Konrad Adenauer vorgegebenen Linie der Wiederbewaffnung und Westintegration. Die Opposition stellte sich gegen die »Remilitarisierung« und fand damit großen Zuspruch in der Gesellschaft der westdeutschen Bundesrepublik. So musste die Regierung ihre Politik gegen den Willen dieser Mehrheit durchsetzen. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich unter der stets präsenten Drohung eines möglichen Nuklearkrieges schrittweise eine Friedenskultur. Sie korrespondierte mit dem Regelsystem der Europäischen Union, das die Staaten auf gewaltfreien Konfliktaustrag im Innenverhältnis der EU verpflichtete. Mehrere Generationen von Europäern führten ein Leben ohne Krieg. Frieden auf dem Kontinent – verstanden als Abwesenheit von Krieg – galt als Selbstverständlichkeit.

»Verantwortung zeigen«

Veränderungen kündigten sich ausgerechnet nach dem Ende des Kalten Krieges und der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten an. Seit den frühen 1990er Jahren wurden die Deutschen von ihrer Regierung sowie von der militärischen Führung der Bundeswehr mit den camouflierenden Propagandaschlagworten »Neue Normalität« und »Verantwortung zeigen« überschwemmt. Gemeint waren der Abschied von einer Außenpolitik der Zurückhaltung und die Gewöhnung an weltweite Militäreinsätze der Bundeswehr. Man wollte »normal« agieren können wie die Sieger von 1945, nämlich als eine staatliche Macht, die sich souverän des kriegerischen Konfliktaustrags als Mittel der Politik bedient.

Ausgerechnet die »rot-grüne« Regierung unter Gerhard Schröder schickte im Jahre 1999 die Bundeswehr in den ersten Krieg seit ihrem Bestehen, in den sogenannten Kosovokrieg gegen Restjugoslawien. Bundesaußenminister Joseph Fischer sagte damals im Deutschen Bundestag, er habe nicht nur »Nie wieder Krieg!« gelernt, sondern auch »Nie wieder Auschwitz!« Die Luftwaffe trug mit ihren Waffensystemen und Kampfpiloten zu den Tausenden von Luftangriffen der NATO-Verbündeten auf die Bundesrepublik Jugoslawien bei, obwohl Deutschland dazu nicht durch ein Mandat der Vereinten Nationen legitimiert war. Es erklärte sich bereit, einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu unterstützen.

Für die prinzipiell kriegsgegnerisch eingestellten Bevölkerungsteile stellte die deutsche Beteiligung am sogenannten Kosovokrieg eine existenzielle Enttäuschung dar. Sie löste tiefe Depressionen und Orientierungslosigkeit aus, hatten doch die führenden sozialdemokratischen und Grünen-Politiker die grundlegende Orientierung »Nie wieder Krieg!« preisgegeben und sich nach Jahrzehnten der Zurückhaltung wieder in die kriegerische Weltordnung eingereiht. Die meisten Deutschen gaben auch jetzt ihre Friedensmentalität nicht preis und lehnten die Auslandseinsätze der Bundeswehr auch weiterhin mit großer Mehrheit ab.

Ruf nach Waffen

Das war die mentale Lage auch noch zur Zeit des Angriffs Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Sie erklärt den Schock, der in Deutschland besonders ausgeprägt gewesen sein dürfte. Lange hatte man hierzulande verdrängt, dass es sich bei der Parole »Nie wieder Krieg!« vor allem um eine deutsche Maxime handelte, deren Reichweite insoweit begrenzt war, und dass die Siegermächte der beiden Weltkriege keinen vergleichbaren Schwur abgelegt hatten. Sie hielten den kriegerischen Konfliktaustrag weiterhin für einen normalen Bestandteil ihrer Machtpolitik. Putins Krieg brachte uns die ungebrochene Tradition der kriegerischen Politik nicht nur Russlands, sondern auch der anderen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges ins Bewusstsein zurück.

Der Schock über den verlorenen Frieden löste in unserem Land einen unbestimmten Bedrohungsreflex aus, der unmittelbar in den Ruf nach Waffen mündete. Der Bundeskanzler fing diese Stimmung mit seinem Begriff von der »Zeitenwende« ein, die von Anfang an militärisch akzentuiert war. Mit der Verkündung des 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungsprogramms schwenkten Politik und Gesellschaft auf einen Kurs ein, der nicht mehr von der Friedenslogik vergangener Jahrzehnte, sondern von der Kriegslogik geprägt war. Wer sich ihr nicht unterwarf, war nunmehr – ganz im Sinne deutschnationaler Vorurteile gegenüber Pazifisten – Anfeindungen und Schmähungen ausgesetzt.

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Demonstration »Nie wieder Krieg!« (Berlin, 3.10.2024)

Viele Menschen in unserem Lande befinden sich seitdem in einem schmerzlichen Dilemma: Geprägt durch die lange Friedensära, verstehen sie sich im weitesten Sinne als Kriegsgegner. Gleichzeitig verurteilen sie Putins Angriffskrieg als Verbrechen und als einen schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts und verweisen auf das in der UN-Satzung festgeschriebene Recht auf Selbstverteidigung. Die Unterstützung des überfallenen Landes durch zivile Leistungen aller Art betrachten sie als moralische Pflicht. Etwa die Hälfte der Bevölkerung befürwortet auch – teilweise schweren Herzens – eine Waffenhilfe zur Verteidigung der Ukraine. Innerhalb des bellizistischen Denkmusters gibt es wohl kein Entrinnen aus diesem Dilemma.

Die deutsche Bundesregierung ist bislang nicht mit eigenen Friedensplänen hervorgetreten, obwohl das Grundgesetz sie verpflichtet, »in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen« (Präambel). Daraus lässt sich mit gutem Recht der Auftrag ableiten, mit aller Kraft eigene diplomatische Friedensinitiativen zu ergreifen.

Aktuell – im Sommer 2023 – erleben wir, dass verschiedene Staaten und Staatengruppen nach Wegen aus dem Krieg suchen. Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass die wichtigsten Kriegsparteien – also Russland, die Ukraine und die USA – maximale Kriegsziele verfolgen und damit unfähig bzw. nicht bereit zu Kompromissen sind. Die Aussichten für eine baldige Kriegsbeendigung sind also düster. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass der Krieg noch lange dauern kann.

Aber eines Tages wird er beendet sein, und wir sind aufgefordert, uns mit der Frage zu beschäftigen, wie es danach weitergehen soll. Ich sehe folgende Alternativen:

Zunächst die negative Variante: Wir bekommen einen neuen Kalten Krieg. Die Feindkonstellation, die der Krieg geschaffen hat, wird zementiert durch einen neuen eisernen Vorhang, der Europa von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer teilt. Militär, Aufrüstung und Feinddenken beherrschen die Politik und die Volkswirtschaften. Sie produzieren eine stete Kriegsgefahr.

Die zweite Variante ist die positive: Sie muss nicht neu erfunden werden, sondern kann an ältere Erfahrungen anknüpfen, nämlich an die Friedens- und Entspannungspolitik seit den 1970er Jahren. Der Kern dieses Modells besteht in der Erkenntnis, dass Sicherheit nicht durch ein militärisches Gegeneinander zu erreichen ist, sondern nur in einem Miteinander. So schwer das heute auch vorstellbar ist: Das Miteinander muss Russland auch künftig einschließen. Aus der Einsicht in die absolute Priorität der Friedensgewinnung und -bewahrung wächst längerfristig neues Vertrauen. Das ist die grundlegende Voraussetzung für eine positive Entwicklung. Die Ideen der »Gemeinsamen Sicherheit« und des »Gemeinsamen Hauses Europa« geben die politische Orientierung vor. Die Charta von Paris von 1990 kann das völkerrechtliche Modell für künftige gesamteuropäische Vereinbarungen sein. Es bündelt die wohlverstandenen Interessen aller europäischen Länder.

Welche Macht ist geeignet und in der Lage, einen Weg zu diesem positiven Ziel zu bahnen? Nach meiner Überzeugung kann man diese Frage nur vor dem Hintergrund der Kriegsursachen angemessen beantworten. Anders ausgedrückt: Eine tiefschürfende Kriegsursachenanalyse birgt den Schlüssel für die Gestaltung der Nachkriegszeit. Das bedeutet: In erster Linie sind die wichtigsten Akteure der Vorkriegs- und Kriegsphase – also die USA und Russland – befähigt, den Krieg zu beenden und den Frieden wiederherzustellen. Sie tragen die größte Verantwortung – und nicht etwa die überfallene Ukraine. Ich teile die Auffassung des vormaligen EU-Erweiterungskommissars Günter Verheugen, der unmissverständlich sagte: »Ob es zu einem Waffenstillstand oder in seiner Folge zu einem Friedensschluss kommt, wird sich in Washington entscheiden und nirgends sonst.«¹

Die europäischen Länder haben ihre spezifischen politischen Interessen einzubringen, die keineswegs immer mit denen der USA identisch sein müssen. Vielleicht reift dann auch die im Rückblick gewonnene Erkenntnis, dass die Politik, die zum KSZE-Prozess geführt hat, also zu Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kein Fehler war, für den sich die deutsche Politik heute entschuldigen müsste. Vielmehr war sie im Kern richtig, wurde aber nicht konsequent genug betrieben. Konkret: In den 1990er Jahren und später ist die große Chance vertan worden, die Zuspitzung der Spannungen mit Russland zu vermeiden und einen europäischen Friedensraum zu schaffen und zu stabilisieren.

Wille zum Frieden

Damit sind wir noch einmal bei der Parole »Nie wieder Krieg!« angelangt, die in Deutschland nach dem Weltkrieg 1914–1918 Furore machte. Hat diese Orientierung angesichts des Ukraine-Krieges noch eine Zukunft? Oder ist sie überholt? Nach meiner Überzeugung ist sie weder falsch noch unzeitgemäß, wie es die Bellizisten glauben machen wollen. In ihr steckt nämlich die zentrale Erkenntnis, dass es in der Politik maßgeblich auf den Willen zur Friedensbewahrung ankommt. Nicht umsonst hat Willy Brandt im Jahre 1973, also in seiner Zeit als Bundeskanzler, ein Buch mit seinen Aufsätzen und Reden aus dreißig Jahren mit dem Titel versehen »Der Wille zum Frieden – Perspektiven der Politik«. Der Wille zum Frieden löst rationales Handeln aus, also die Aufbietung sämtlicher Strategien zur Kriegsverhütung und Deeskalation von Gewaltkonflikten.

An diesem unbedingten Willen zum Frieden hat es in der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges sowohl im Westen als auch in Russland gefehlt. Statt dessen eskalierte der Konflikt bis hin zum Krieg. Das alles war vermeidbar. Immer mehr Menschen, die sich mit den Ursachen dieses Krieges auseinandersetzen, beginnen allmählich zu begreifen, was es heißt: Dieser Krieg konnte vermieden werden. Die Möglichkeit der Kriegsverhütung war gegeben. Was fehlte, war der Wille zum Frieden. Statt dessen dominierten Machtinteressen geopolitischer und geoökonomischer Natur.

Bleibt hinzuzufügen: Der Appell »Nie wieder Krieg!« sollte auch in anderen Teilen der Welt das politische Denken anleiten, etwa in Äthiopien und im Sudan, wo ebenfalls Krieg geführt wird, mit jeweils ungefähr ebenso vielen Toten wie in der Ukraine. Hier wie dort leiden die Zivilbevölkerungen, und hier wie dort wird die für das Überleben notwendige Infrastruktur zerstört. Täglich berichten uns die Medien in Echtzeit über die Werke der Zerstörung und Vernichtung. So ist der Ruf »Nie wieder Krieg!« leider auch heute hochaktuell. Uns gibt er die Richtung vor für die Zeit nach dem Ende des Ukraine-Krieges, für die Zeit, in der die Arbeit an der Vision einer lebenswerten europäischen Zukunft wieder aufgenommen wird.

Anmerkungen:

1 Günter Verheugen: Ab wann nahm das Verhängnis seinen Lauf? Zu den Beziehungen zwischen EU, Russland und Ukraine. In: Vorgänge (2023), Nr. 239/240, S. 16

Wolfram Wette ist Historiker und Friedensforscher. Sein Aufsatz »›Nie wieder Krieg!‹ – Hat die alte Parole angesichts des Ukraine-Krieges noch eine Zukunft?« ist dem 2024 im Bremer Donat-Verlag erschienenen Buch »Bedrohter Diskurs – Deutsche Stimmen zum Ukraine-Krieg« entnommen. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.

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  • Leserbrief von Ursula Münch (11. November 2024 um 16:10 Uhr)
    Sehr geehrter Herr Dr. Wette,
    herzlichen Dank für Ihren Artikel in der jungen Welt. Den darin enthaltenen Äußerungen zur aktuellen Politik stimme ich zu, habe als ehemalige DDR-Bürgerin allerdings eine teilweise andere Sicht auf die Vergangenheit und dies in meinen unten verlinkten Texten aus der bereits vor Jahzehnten erschienenen Buchreihe »Spurensicherrung« des GNN-Verlages Schkeuditz auch erläutert:
    Dresden-Hamburg und zurück (noch unter Pseudonym geschrieben) http://www.spurensicherung.org/texte/Band1/zimmermann.htm /
    Wo auch immer wir wohnen http://www.spurensicherung.org/texte/Band1/muench.htm /
    Den Panzer sehen und schreien war eins http://www.spurensicherung.org/texte/Band2/muench.htm#top /
    Wir haben einen Plan gemacht http://www.spurensicherung.org/texte/Band3/umuench.htm#top /
    Im Dschungel Vietnams (von meinem verstorbenen Mann Günter) http://www.spurensicherung.org/texte/Band3/gmuench.htm#top
  • Leserbrief von Hug Barbara aus CH 9555 Tobel (1. November 2024 um 08:56 Uhr)
    Die historische und gesellschaftspolitische Nachzeichnung der Änderung des »Nie wieder« ist Prof. Wette ausgezeichnet gelungen. Wie könnte es auch anders sein. Ob Prof. Wette ein Schüler von Fritz Fischer ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Für die heutigen Antikriegsgruppen könnte jedoch die Lektüre von Fritz Fischer zentral sein. Auch er unterlag mit der Zeit einem Verschweigen von offizieller Seite. Was Wolfram Wette leider zu wenig hervorhebt, ist die Rolle Deutschlands in diesem Konflikt. Nicht nur als gefällige Lakaien der Amerikaner geht Deutschland in die Geschichte ein, sondern auch als Land, in dem Geschichtsrevisionismus der übelsten Sorte wieder heranwachsen konnte. Darüber braucht es eine breite Diskussion. Dr. Barbara Hug/Schweiz
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (31. Oktober 2024 um 12:12 Uhr)
    »Mehrere Generationen von Europäern führten ein Leben ohne Krieg. Frieden auf dem Kontinent – verstanden als Abwesenheit von Krieg – galt als Selbstverständlichkeit. Veränderungen kündigten sich ausgerechnet nach dem Ende des Kalten Krieges und der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten an.« Ausgerechnet? Müsste man nicht eher schreiben: Gerade, weil die Friedensmacht Sowjetunion mit Hilfe Gorbatschows zerstört wurde, bekamen die Kriegstreiber wieder Oberwasser? Der Abschnitt in dem Wette behauptet, dass es sich bei der »Parole ›Nie wieder Krieg!‹ vor allem um eine deutsche Maxime handelte«, während »die Siegermächte der beiden Weltkriege keinen vergleichbaren Schwur abgelegt hatten. Sie hielten den kriegerischen Konfliktaustrag weiterhin für einen normalen Bestandteil ihrer Machtpolitik«, grenzt schon an Geschichtsfälschung. Solche Sätze könnten auch jene aus dem rechten Spektrum unterschreiben, die Deutschland als Hort des Friedens darstellen, während alles Böse in Washington und Moskau zu verorten ist. Genauso fragwürdig ist die Erzählung von der »Friedens- und Entspannungspolitik seit den 1970er Jahren«. Es handelt sich in Wirklichkeit um ein taktisches Verhalten der US- und BRD-Imperialisten. Aufgrund der Stärke des sozialistischen Lagers rund um die Sowjetunion galt die Parole »die Burg von Innen sturmreif schießen« und »Wandel durch Annäherung«.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (31. Oktober 2024 um 12:11 Uhr)
    »24. Februar 2022: Der Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine« – Unlängst datierte NATO-Generalsekretär Stoltenberg den Beginn des Ukraine-Krieges auf das Jahr 2014. Der Ukraine-Krieg begann als Bürgerkrieg und wurde von der Putschregierung in Kiew durch Beschuss der Ostukraine ausgelöst. Die USA waren schließlich 1917 auch kein Aggressor, als sie sich mit einigen Jahren Verspätung mit Bodentruppen in einen Krieg einschalteten, der 1914 von anderen ausgelöst wurde. »Kaum jemand hatte die Fernsehbilder, die an der Grenze zur Ukraine zusammengezogene russische Truppen zeigten, als konkrete militärische Kriegsvorbereitung gedeutet.« Dann konnte dieser Jemand nicht zuhören. Diese militärische Reaktion Russlands war in den an die NATO und an die Regierung der USA übermittelten Forderungen betreffs der fortschreitenden Erweiterung der NATO im Dezember 2021 offiziell angekündigt. Gespräche dazu wurden brüsk abgelehnt und damit all das, was der Autor des Artikels nachfolgend vorschlägt: »So schwer das heute auch vorstellbar ist: Das Miteinander muss Russland auch künftig einschließen (…) Die Ideen der ›Gemeinsamen Sicherheit‹ und des ›Gemeinsamen Hauses Europa‹ geben die politische Orientierung vor. Die Charta von Paris von 1990 kann das völkerrechtliche Modell für künftige gesamteuropäische Vereinbarungen sein.« Zu nennen wäre auch die immer noch gültige NATO-Russland-Akte, welche besagt: Keine Sicherheit für sich auf Kosten der Sicherheit des anderen. Wieso eigentlich ist ein Miteinander mit Russland wegen dessen Kriegseintritt mit Bodentruppen in den Ukraine-Krieg nach acht Jahren Abwarten schwer vorstellbar, während nach den viel zahlreicheren Kriegen von NATO-Staaten mit denen sogar Freundschaft und Bündnispflicht besteht? Aus russischer Sicht wird es kein Vertrauen mehr geben. Solange die USA im Westen das Zepter führen, werden Verträge das Papier nicht wert sein (siehe auch Iran oder Potsdamer Abkommen).
  • Leserbrief von Emmo Frey aus Dachau (31. Oktober 2024 um 11:50 Uhr)
    Der Themenbeitrag zum Wandel von »Nie wieder« bis zum heutigen »kriegstüchtig« hat mir gut gefallen. Ich kam 1944 in die Welt und habe alles, was W. Wette beschreibt und analysiert, ähnlich empfunden. Erst waren wir Deutschen (selbstverständlich nur wir im Westen) wirtschaftlich wieder wer, dann sollten wir mehr Verantwortung in der Welt übernehmen und jetzt, »Verantwortung« war nur die Verschleierung für Totschießen, sollen (dürfen?) wir wieder Kriege führen – wir, die Guten, gegen die Bösen. So weit, so schlecht.
    Zum Schluss des Beitrags schreibt W. Wette, habe der »unbedingte Wille zum Frieden« in der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges sowohl im Westen als auch in Russland gefehlt. Stimmt das? Ich habe es anders wahrgenommen. Im Westen gab es keinen Willen zum Frieden, erst recht keinen »unbedingten«, sondern die aggressive Osterweiterung der NATO entgegen allen früheren Versprechungen, alles richtig. Aber Russland? Hat es nicht bis zum Überdruss versucht, auf dem Verhandlungsweg einen NATO-Beitritt der Ukraine zu verhindern? Alle Bemühungen, soweit mir bekannt, wurden vom Westen ignoriert oder abgewiesen. Vielleicht war es anders, ich weiß es nicht. Hatte Russland im Februar 2022, als Kiew die Bombardierung des Donbass dramatisch steigerte, eine andere Wahl? Der Krieg war sicherlich vermeidbar, allerdings nur von westlicher Seite. Ein naher Verhandlungsfriede wurde vom Westen blockiert, so wird wenigstens berichtet. War es in Wirklichkeit ganz anders? Das sollte doch bitte geklärt werden.
  • Leserbrief von Manfred Pohlmann (31. Oktober 2024 um 11:19 Uhr)
    W. Wette schreibt, dass die »friedfertige Grundstimmung (…) sich nach 1945 schrittweise als eine Reaktion auf die beiden Weltkriege und den tradierten preußisch-deutschen Militarismus herausgebildet« hatte und sich Veränderungen »ausgerechnet nach dem Ende des Kalten Krieges« und der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten« angekündigt hatten. Diese Einschätzung ist meines Erachtens nur teilweise richtig. Spätestens nach dem Spruch Churchills mit dem »falschen Schwein«, das man geschlachtet habe und McCarthys »Komitee für unamerikanische Umtriebe« war klar, dass sich das Rollback nach 1945 nicht mit Samtpfoten machen lassen werde, was dann konsequenterweise auch eine kriegerische Konfliktaustragung der Westalliierten zu einem »normalen Bestandteil ihrer Machtpolitik« hat werden lassen. Daran hat sich bis heute nichts, aber auch gar nichts geändert. Vor diesem Hintergrund kann bezweifelt werden, dass sich in der westdeutschen Bevölkerung tatsächlich »schrittweise« eine »friedfertige Grundstimmung« herausgebildet habe. Zigmillionen Tote, zerbombte Städte und Hunger nach diesem deutschen Feldzug gegen die Menschlichkeit unter der Mittäterschaft der Mehrheit der deutschen Bevölkerung haben wohl eher das schlechte Gewissen mit dem Gefühl des »Ertappt-worden-Seins«, als Einsicht, Reue und Friedfertigkeit mobilisiert. In diesem ansonsten wichtigen Artikel von Wette fehlt auch der grundlegende Bezug auf die Ökonomie.
    Beim Rollback nach 1945 ging es doch nicht nur um die Aufrechterhaltung der Hegemonie der nordatlantischen Staaten in Regie der USA. Nicht zu vergessen die Notwendigkeit, die »billigen Vier« (Arbeit, Rohstoffe, Nahrung, Energie – J. W. Moore) möglichst noch billiger »einzukaufen«, was zur erweiterten Akkumulation von Kapital in Zeiten des monopolistischen imperialistischen Kapitalismus bei einer stets fallenden Profitrate dazugehört. Das Schüren von Konflikten, militärischen Interventionen und Kriege sind die Instrumente, mit denen das derzeitige US-Imperium als Speerspitze
    versucht, diese Machtstrukturen zu befestigen. Wenn Wette bedauert, dass es in der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges den »unbedingten Willen zum Frieden« weder im »Westen« noch in Russland gegeben habe, vergisst er, dass die USA mit diesem Krieg einen Regime-Change beabsichtigt hatten, mit dem Ziel, die Russische Föderation zu »filetieren«. Mir ist nicht bekannt, ob die russische Föderation je die Absicht hatte, sich der Ressourcen (z. B. Schiefergas) der USA oder Kanadas zu bemächtigen, bzw. militärische Stützpunkte etwa in Mexiko zu etablieren. Als Angehörige der Bourgeoisie hat Frau Applebaum diesen Preis zurecht erhalten; immer deutlicher bewahrheitet sich die von F. Engels ausgesprochene Warnung vor der Bourgeoisie als einer Klasse, »unter deren Leitung die Gesellschaft dem Ruin entgegenrennt« als real („Anti-Dühring", VMB, 1971, S. 133): für Imperialisten ist die Losung »Nie wieder Krieg« Teufelszeug!
  • Leserbrief von Silke B. aus Hamburg (31. Oktober 2024 um 03:45 Uhr)
    Der Darstellung, der Angriff Russlands habe einen elementaren Schock ausgelöst, kann ich nicht folgen. Ich meine: Zumindest jedem, der sich mit der ganzen Vorgeschichte beschäftigt hat, muss klar gewesen sein, dass es auf einen großen Krieg hinauslaufen könnte. Die angebliche Überraschung unserer Regierung über den Angriff Russlands auf die Ukraine halte ich für eine glatte Lüge. Der Krieg war provoziert und wurde durch den Westen bewusst riskiert. Leider habe ich den Eindruck, dass unsere Regierung und die NATO/USA planen, in den Krieg aktiv einzutreten. Wenn es in ein paar Jahren heißt, Russland habe ein NATO-Land angegriffen, werde ich dem keinen Glauben schenken. Ich hoffe, die Friedensbewegung wird noch größer und hört mit der internen Spalterei auf, denn nie war die Gefahr eines dritten Weltkriegs größer als jetzt. Und spalten tun die Medien und die Regierung schon genug. Die Propagandamittel sind stark, und der Wille der Bevölkerung sowie die Kraft sich zu vereinen, statt sich zu bekämpfen, wurde schon in der Coronazeit durch massive Propaganda und Spaltung der Gesellschaft durch Politik und Medien beschädigt. Psychologische/kognitive Kriegsführung ist für die NATO zu einem neuen, sehr ausgefeilten Programm geworden. Dem müssen wir uns bewusst werden und widersetzen. Ich hoffe, wir schaffen das rechtzeitig. Ich weiß übrigens nicht, von welchen »mehreren Generationen« des Friedens der Schreiber spricht … Es leben sogar noch Kriegskinder.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (30. Oktober 2024 um 14:14 Uhr)
    Die Doppelmoral im Westen trägt wieder faulige Früchte. Einer Kriegstreiberin und Antidemokratin einen Orden umzuhängen, ist wieder einmal ein Beispiel dafür, wie man hierzulande Belobigungen für politische Zwecke missbraucht. Die Dame Eppelbaum, übrigens Ehefrau des nicht weniger russophoben Kriegstreibers Sikorkski – seines Zeichens Außenminister des NATO-Primus Polen – kriegt sich in ihrer Geiferei gegen Russland gar nicht mehr ein. Damit ist sie automatisch für jeden westlichen Preis die richtige Person, denn je mehr Anti-Russland-Propaganda, desto höher der Preis.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Harald M. (30. Oktober 2024 um 12:49 Uhr)
    Zitate: »24. Februar 2022: Der Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine löste in Deutschland einen elementaren Schock aus … An diesem unbedingten Willen zum Frieden hat es in der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges sowohl im Westen als auch in Russland gefehlt.« Der Autor übernimmt ohne jegliche Reflexion das westliche Narrativ des unprovozierten Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine. Er berücksichtigt in keiner Weise die Vorgeschichte seit 2014, den von den USA orchestrierten Sturz (Nuland: wir haben dafür 5 Mrd. USD bezahlt) einer ordentlich gewählten Regierung in Kiew, den darauffolgenden extremen Ausbau nazistischer gewaltbereiter Strukturen und Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte durch Finanzen, Technik, Ausbilder und das Bestreben, die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Es wird ausgeblendet, wie oft von russischer Seite an den kollektiven Westen Verhandlungsangebote gemacht wurden, um die Situation zu entschärfen. Es wird von westlichen Politikern von Anfang an kaum verschwiegen, dass es darum geht, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, es aufzuteilen und seine Teile in kolonial abhängige Rohstofflieferanten für die westlichen Staaten zu verwandeln. Der acht Jahre andauernde »Antiterroreinsatz« der ukrainischen Streitkräfte mit fast 300.000 Militärs und schweren Waffen gegen die russischsprachige Bevölkerung in den Donezker und Lugansker Volksrepubliken, der durch fast täglichen Beschuss ziviler Einrichtungen in diesen Republiken zu über 14.000 zivilen Opfern geführt hat, wird ebenfalls außer Acht gelassen, genau wie die von den westlichen Kuratoren verhinderte Umsetzung von »Minsk 2« (Eingeständnis von Merkel und Hollande, dass das Abkommen nur dazu diente, Zeit für die Aufrüstung der Ukraine zu gewinnen). Die unselige Einwirkung des Westens (B. Johnson) auf Kiew, um das unterschriftsreife Abkommen zwischen Moskau und Kiew im April 2022 zu torpedieren, wird nicht erwähnt. (…)

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