»So soll ihr Wille gebrochen werden«
Interview: Henning von StoltzenbergNach den F-Typ-Isolationsgefängnissen hat die türkische Regierung die S-Typ- und Y-Typ-Zellen eingeführt. Was verbirgt sich hinter diesen neuen Zellensystemen?
Die AKP-Regierung hat die Isolationshaftbedingungen nach dem System der F-Typ-Gefängnisse weiter verschärft. In unserem Land wurden Gefängnisse vom Typ S und Y eingerichtet. Die Gefangenen nannten sie »Brunnen-Typ«-Gefängnisse, weil die Zellen in diesen Gefängnissen wie Brunnen gestaltet sind. Mit anderen Worten: Es handelt sich um Gefängnisse, die kein Tageslicht erhalten, deren Zellen lediglich sechs Schritte lang sind, weit weg von menschlichen Stimmen. Sie sind auf die vollständige Isolierung der Menschen ausgerichtet. Das Problem mit diesen Gefängnissen ist selbstverständlich nicht architektonischer Art, sondern ein politisches. Das Ziel dieses Faschismus ist es, den Willen der politischen Gefangenen zu brechen und ihre Widerstandsdynamik zu zerstören.
Welche Gefangenen werden in diesen Zellen inhaftiert? Sind ausschließlich politische Gefangene betroffen?
Diese Gefängnisse wurden hauptsächlich dafür gebaut. Die Stimmen der Gefangenen sollen zum Schweigen gebracht werden. Die Regierung hat öffentlichen Besitz im Wert von 63 Milliarden Dollar verkauft. Davon hat sie 227 neue Gefängnisse bauen lassen. Derzeit gibt es 407 Knäste. Ankara hat in Zusammenarbeit mit den Imperialisten also 63 Milliarden Dollar ausgegeben, um die politischen Gefangenen zur Kapitulation zu zwingen. Diese ungeheure Summe muss man sich mal vor Augen führen.
Wie viele Arten von Gefängnissen gibt es und wie viele davon sind vom Typ S und Y?
Die Zahl der Gefängnisse des Typs S beträgt sieben und die des Typs Y derzeit 13. Es gibt in der Türkei tatsächlich 30 verschiedene Arten von Strafvollzugsanstalten. Wir können also sagen, dass die Regierung keinen Buchstaben im Alphabet übriggelassen hat, für den es kein Gefängnissystem gäbe. Abgesehen davon hat die Türkei die zweithöchste Anzahl von Gefängnissen in Europa.
Wie stark ist der Protest gegen die verschärften Haftbedingungen in der Gesellschaft?
Zunächst einmal verläuft der Widerstand der Gefangenen in den Gefängnissen parallel zum Widerstand außerhalb. Dieser Protest wird vor allem von Tayad durchgeführt, der »Vereinigung für die Unterstützung der Familien von Gefangenen«. Jeden Tag werden Proteste vor Gerichtsgebäuden und auf städtischen Plätzen organisiert. Fast jedes Mal werden Familien und Angehörige von Gefangenen festgenommen.
Mitglieder Ihrer Band waren ebenfalls von diesen Haftbedingungen betroffen. Wie haben sie sich dagegen gewehrt?
Viele unserer Mitglieder wurden unrechtmäßig in diese Gefängnisse verlegt. Unsere Freundinnen und Freunde traten in einen unbefristeten Hungerstreik und forderten, direkt in ein Gefängnis verlegt zu werden, das nicht vom Typ Y ist und in der Nähe ihrer Familien liegt. Wir sind nicht mit einfacher Zensur konfrontiert. Wir begreifen diese Inhaftierungen in diesen Gefängnissen als Teil des staatlichen Versuchs, »Grup Yorum« zu vernichten. Das ist der Grund, warum unsere Freundinnen und Freunde in die Y-Typ-Gefängnisse gesperrt wurden.
Wie erfolgreich war dieser Widerstand?
Alle unsere hungerstreikenden Freundinnen und Freunde haben den Widerstand siegreich beendet. Zuerst wurden Cemil Kurt und Cem Dursun, dann auch Vedat Doğan aus dem Typ-Y-Gefängnis verlegt. Rezzan Şengül wurde freigelassen. Wieder einmal haben sie der ganzen Welt gezeigt, dass Widerstand der einzige Weg ist. Wir haben gezeigt, dass wir nicht zulassen werden, dass sie uns lebendig in Beton begraben, und wir haben gewonnen.
Und selbstverständlich leisten die verbliebenen revolutionären Gefangenen weiterhin Widerstand gegen die Gefängnisse vom Typ Y. Auch die Forderung nach Verlegung des revolutionären Gefangenen Aziz Arslan, der sich seit über 40 Tagen im Typ Y-Gefängnis Burdur im Hungerstreik befindet, muss sofort erfüllt werden.
Sena Erkoç ist Solistin der Band »Grup Yorum«
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