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Aus: Ausgabe vom 05.11.2024, Seite 8 / Ausland
UN-Artenschutzgipfel

»Die Tiere sind verschwunden«

COP-16-Artenschutzgipfel der UN in Kolumbien: Indigene beklagen Profitlogik und Raubbau. Ein Gespräch mit José Manuel Socha
Interview: Sara Meyer, Cali
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Bis heute ist man in den entwickelten kapitalistischen Ländern nicht bereit, auf die Stimmen aus dem globalen Süden zu hören (Cali, 22.10.2024)

Die UN-Artenschutzkonferenz COP 16 in Cali ging am Freitag zu Ende. Denken Sie, dass die Konferenz etwas für den Artenschutz und den Planeten bewirken kann?

Es wird viel geredet, besonders von Regierungen, aber solange keine konkreten Maßnahmen umgesetzt werden, glaube ich nicht an Veränderungen. Die Menschheit muss ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass wir Teil der Natur sind und sie nicht beherrschen sollten. Wenn auf diesem Gipfel keine Lösung zum Schutz unseres Wassers gefunden wird, glaube ich an nichts. Es wird vor allem über Geld gesprochen, aber kaum über konkrete Schritte zum Schutz der Gewässer. Es sind nicht die einfachen Menschen, die die Umwelt zerstören, sondern die großen Konzerne. Solange diese nicht eingeschränkt werden, können wir den Planeten nicht retten. Unser indigenes Wissen wird dabei ignoriert. Der Raubbau an unserer Erde muss endlich aufhören.

Wie sehen Sie den Zustand unseres Planeten?

Wir zerstören das Gewand von Mutter Erde. Sie sendet uns Signale – wie die heftigen Regenfälle und Gewitter hier auf der Artenschutzkonferenz, die zu dieser Jahreszeit untypisch sind – doch die Menschheit ignoriert sie. Die Natur wehrt sich, aber wir hören nicht hin. Die Menschen haben sich weit von ihrem natürlichen Zustand entfernt. Alles ist heute künstlich, besonders unsere Nahrung. Wir verschwenden Wasser und andere Ressourcen.

Wie beurteilen Sie die Resultate des Gipfels?

Die Regierungen verhandeln am anderen Ende der Stadt und hören dabei kaum den am stärksten Benachteiligten zu. Zwar haben wir Delegierte, die mit den Regierungen sprechen, aber es wäre besser, wenn alle an einem Ort zusammenkämen, ohne räumliche Trennung.

Sie werden bald 70 Jahre alt. Haben Sie Veränderungen in Ihrem Heimatgebiet hinsichtlich der Artenvielfalt und des Ökosystems erlebt?

Die Quelle, an der ich als Kind aufgewachsen bin, gibt es nicht mehr. Alles ist zubetoniert und voller Gebäude. Die Natur und die Tiere sind verschwunden.

Was unternimmt Ihre indigene Gemeinschaft dagegen?

Wir kämpfen für unsere Gebiete, doch als Minderheit haben wir kaum Chancen. Wir stehen gegen rassistische Regierungen und Großunternehmen, denen Naturschutz im Weg steht, da sie mit der Ausbeutung der Ressourcen Geld verdienen. Sie sehen nur den Profit. Daher kümmern wir uns um uns selbst, stärken unsere Gemeinschaft und versuchen, im Einklang mit der Natur in unseren Gebieten zu leben. Schließlich befinden sich 80 Prozent der weltweiten Artenvielfalt in indigenen Territorien.

Hat sich unter Präsident Gustavo Petro, der seit zwei Jahren regiert und sich für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern einsetzt, etwas verändert?

Ja, ich sehe eine Veränderung. Er hört uns zu und schätzt unser uraltes Wissen. Aber man lässt ihn nicht so regieren, wie er möchte. Das politische System erlaubt es ihm nicht, alleinige Entscheidungen zu treffen, deshalb kann vieles nicht umgesetzt werden. Wer sich nicht an die etablierten Spielregeln hält, wird als Rebell abgestempelt und ausgeschlossen.

Sehen Sie an der Konferenz auch etwas Positives?

Viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer sind sehr interessiert an unserem indigenen Wissen und möchten unsere Ratschläge zum Schutz des Planeten hören. Es gibt ein großes Interesse an Indigenen. Die Besucher nehmen an unseren Gesprächsrunden teil. Ich habe Menschen aus aller Welt getroffen, die sich zu mir gesetzt haben und meine Meinung hören wollten. Höflich habe ich sie eingeladen, aufzuwachen und etwas für unseren Planeten zu tun. Der Gipfel bringt Menschen zusammen, und das ist ein guter Anfang.

José Manuel Socha ist Experte indigener Heilkunst und gehört dem Volk der Muisca an

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