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Aus: Ausgabe vom 06.11.2024, Seite 5 / Inland
Musikschulen in Berlin

Vor dem Ende vom Lied

Berliner Senat verschleppt die Festanstellung von Honorarlehrkräften an Musikschulen. Jetzt wird’s brenzlig
Von Michael Merz
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Mit Pauken und Trompeten für einen festen Vertrag: Demonstration der Berliner Musikschulen im September

Als schmückendes Beiwerk zur Umrahmung ihrer Festtagsreden sind sie von Politikern gern gesehen und gehört: Die Schülerinnen und Schüler der Musikschulen des Landes Berlin. Doch geht es ans Eingemachte, können die Nachwuchsmusiker und ihre Lehrer wohl nur auf sich selbst zählen. Musikmachen will nunmal gelehrt und gelernt werden, und dafür braucht es Mittel und Personal. Düstere Mollakkorde und entschlossene Protestnoten mischen sich seit Monaten im Crescendo in den Unterricht, und eins, zwo, drei geht es in Richtung Kaputtsparen traditioneller Bildungseinrichtungen in den Bezirken. Die Existenz der zwölf Berliner Musikschulen steht auf dem Spiel, wird nicht zügig zugunsten der Festanstellung von etwa 1.800 Honorarlehrkräften entschieden. Am Mittwoch sollen innerhalb des Berliner Senats interne Beratungen der Fraktionen stattfinden, am 13. November wird voraussichtlich der Nachtragshaushalt beschlossen.

Hintergrund ist das nicht juristisch anfechtbare sogenannte Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts von 2022, das einer sozialrechtlichen Grauzone ein Ende setzte. Eine Musikschullehrerin aus Baden-Württemberg hatte auf Festanstellung geklagt und Recht bekommen. Die gerichtlich attestierte Scheinselbständigkeit ist ein Reizwort für die Deutsche Rentenversicherung, die auf die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen pocht – bisher hat sie lange Zeit ein Auge zugedrückt. Prüfungen sind angekündigt, Nachzahlungen drohen. Für viele Honorarlehrkräfte ist ihr Job an der Musikschule die einzige Einnahmequelle, sie möchten festangestellt ihren Job weiterhin ausfüllen.

Wie sind die Aussichten darauf? Wahrscheinlich werde vom Senat noch ein Dialog auf Bundesebene am 25. Januar abgewartet, heißt es seitens der Landeslehrervertretung der Berliner Musikschulen im Gespräch mit junge Welt. »Voraussichtlich wird dort aber nur festgestellt, dass Honorararbeit an den Musikschulen fast nicht mehr möglich sein wird«, erklärt ein Mitglied des Gremiums weiter. Das Horrorszenario von Kündigungen schwebt im Raum: »Die Musikschulen werden schrumpfen und Einnahmen verlieren.« 15.000 bis 18.000 Unterrichtsverträge stehen auf dem Spiel, der musikbegeisterte Nachwuchs schaut dann in die Röhre, die Wartelisten auf einen Platz sind ohnehin schon lang genug.

»An den zwölf öffentlichen Berliner Musikschulen sind nur 25 Prozent der Pädagogen festangestellt«, sagt Andreas Köhn von Verdi zu jW. Bundesweit ist das das Minimum. Andere Bundesländer und Städte haben Verträge für selbständig Beschäftigte längst abgeschafft. Nach wie vor stemmen die Honorarkräfte in der Hauptstadt einen Großteil des Angebots; sie fest anzustellen würde laut Köhn etwa 18 bis 20 Millionen Euro zusätzlich kosten. »Wenn das Land Berlin sagt, das kann man nicht machen, dann hat es ein Problem mit der Demokratie, denn Rechtsstaatlichkeit ist nunmal oberste Priorität«, so Köhn weiter.

Der Protest gegen die Hinhaltetaktik hat längst die Straße erreicht. Ein lautstarker Demonstrationszug war Mitte September vors Abgeordnetenhaus gezogen. Die Musikschüler und ihre Lehrer bleiben kämpferisch und bearbeiten neben Saiten und Fellen nun auch die Entscheider. Landespolitiker werden mit Hilferufen bombardiert: »In diesen Tagen erreichen uns Hunderte Mails von Lehrkräften, Schülern und Eltern, die sich zu Recht Sorgen um den Fortbestand der Musikschulen machen«, so Manuela Schmidt von der Linksfraktion des Abgeordnetenhauses zu jW. Die Pädagogen leisteten einen »unschätzbaren Beitrag für die kulturelle Bildung unserer Kinder, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern«. Der Senat und die Koalition hätten es in der Hand und müssten schnell handeln. »Denn die Frage ist: Wird der Unterricht an Musikschulen zum Luxusgut, das sich nur Menschen mit höheren Einkommen in Form von Privatstunden leisten können?«, so Schmidt.

Seit Monaten mantraartig wiedergegebene Allgemeinplätze bedient der Kultursenator. Joe Chialo (CDU) lässt sich für jW zitieren: »Der Senat setzt seine Arbeit an Lösungswegen fort, diese Lösung sieht ein Drei-Säulen-Modell aus Festanstellung, sozialversicherten Honorarkräften und ›echten‹ Honorarkräften vor.« Finanzsenator Stefan Evers (CDU) reagierte bisher nicht auf jW-Anfrage, gegenüber dem Tagesspiegel spricht er von »notwendigen Rechtsanpassungen«. Evers hatte sich noch im August für die CDU Treptow-Köpenick – seinem Wahlkreis – mit der Forderung nach einem »größeren Unterrichtsangebot der Musikschule« aus dem Fenster gelehnt, für »kulturelle Vielfalt und Bildung«. Die sollte er sich jetzt auch was kosten lassen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (6. November 2024 um 06:07 Uhr)
    Der Staat pfeift auf dem letzten Loch, wenn es um Soziales, Bildung oder Kultur geht. Das muss doch dem gemeinen Pöbel genug an Musik sein.
    • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (6. November 2024 um 12:59 Uhr)
      Und bald schon wird unsere endlich wieder »kriegstüchtige« Friedensarmee zu zackiger Marschmusik und klingendem Tschingderassabum die Linden entlang marschieren, dass dabei jedem patriotischen Volksgenossen wieder die Hose - pardon(!) - das rechte Herz aufgeht. Alsbald dann die schrillenden Sirenen vor den feindlichen Luftangriffen, das helle Stakkato der Flak und der dröhnende Bass der Bombeneinschläge. Welch ein herrliches und gewaltiges Konzert für das gemeine Volk! Musik in den Ohren von Ernst Jünger, der vor Verzückung im Grabe dazu tanzen wird. - Halleluja!

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