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Aus: Ausgabe vom 06.11.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Bruttoinlandsprodukt

Von Klaus Müller
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Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt – Ärmel hoch für die Kennziffer

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist eine Größe der bürgerlichen Statistik. Sie drückt den Wert aller in einer Volkswirtschaft produzierten Güter und Leistungen aus. Die Kennziffer dient als Maß für die Entwicklung der Wirtschaftsleistung, als Konjunkturindikator und für internationale Vergleiche. Die Aussage muss präzisiert werden: Der Wert der in der Volkswirtschaft während eines Zeitraums erzeugten Sachgüter und Dienstleistungen setzt sich zusammen aus dem Wert der Umsätze, des Eigenverbrauchs, der Bestandserhöhungen an eigenen Erzeugnissen und der selbsterstellten Anlagen. Die Verkäufe werden zu Marktpreisen bewertet, der Eigenverbrauch, die Lagerbestände und selbsterstellten Anlagen zu Herstellungskosten. Die Größe nennt man Produktionswert oder Bruttoproduktionswert. Ermittelt wird sie aus den Beiträgen der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, des produzierenden Gewerbes und des Handels, des Verkehrs, der Finanzdienstleistungen, der öffentlichen und privaten Dienstleistungen. Der Produktionswert enthält auch die »Leistungen« des Staates – nicht nur die ökonomischen, auch die für Polizei und Militär beispielsweise. Zum BIP gelangt man, indem man vom Produktionswert die Vorleistungen abzieht. Die Vorleistungen sind der Wert der Sachgüter und Dienstleistungen, die Betriebe von anderen Betrieben in der betrachteten Periode bezogen und verbraucht haben. Hierzu zählen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Brenn- und Treibstoffe, Handelswaren, Reparaturleistungen, Transportkosten und anderes, beim Staat auch Teile der militärischen Beschaffungen, die nicht als Investitionen gelten. Es gilt also: (Brutto-)Produktionswert minus Vorleistungen = Bruttoinlandsprodukt.

Das BIP wird auch »Netto­produktionswert« genannt und gibt den Wert an, der den Vorleistungen (verkürzt: dem Materialverbrauch) durch die Produktion hinzugefügt wurde. Es entspräche der Bruttowertschöpfung einer Volkswirtschaft. Das ist irreführend, denn die Größe enthält die Abschreibungen. Die drücken den Verbrauch von vorhandenem (also gerade nicht geschöpftem) Wert der Arbeitsmittel (Maschinen, Anlagen, Gebäude, Verkehrsmittel) aus, des, wie Marx sagt, konstanten, fixen Kapitals. Verbrauchtes Kapital ist kein Teil des neu geschöpften Werts, weder brutto noch netto. Sein Wert wird durch die konkrete Arbeit der Arbeitenden von den Arbeitsmitteln auf die neuen Produkte übertragen. Außerdem enthält vor allem der tertiäre Sektor mit den Umsätzen der Finanzbranche und den »Leistungen« der bürokratisch aufgeblähten öffentlichen und halböffentlichen Verwaltungen zugleich Positionen, die keine Schöpfung, sondern Verzehr von Wert oder Umverteilung von Werten darstellen.

Zieht man vom BIP die Abschreibungen – und die um die Subventionen geminderten indirekten Steuern – ab, erhält man die Nettowertschöpfung. Sie ist identisch mit der Summe aus Lohn- und Profiteinkommen. Das BIP wird verwendet für den Konsum der privaten Haushalte, für den staatlichen Konsum, der militärisch nutzbare Anlagen und Güter einschließt, für Anlageinvestitionen, Lagerinvestitionen (Bestandserhöhungen) und für den Export. Die Anlageinvestitionen gliedern sich in Ausrüstungen (Maschinen, Geräte, Fahrzeuge), Bauten und sonstige Anlagen (z. B. Software, Nutztiere und Nutzpflanzen).

Das Bruttoinlandsprodukt wächst durch die Vergrößerung der Gütermenge und durch den Anstieg der Preise der Güter. Misst man die Güterproduktion zu jeweiligen Preisen, ergibt sich das nominale BIP. Um darzustellen, wie sich das BIP als Gütermenge verändert hat, wird der Einfluss der Preise eliminiert. Das preisbereinigte, reale BIP ist das BIP zu konstanten Preisen. Es steht für die vom BIP repräsentierte Gütermenge, erlaubt aber auch nur begrenzte Aussagen über Wohlstand, Lebensqualität und Gerechtigkeit.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (6. November 2024 um 18:27 Uhr)
    »Das Bruttoinlandsprodukt drückt den Wert aller in einer Volkswirtschaft erzeugten Güter und Leistungen aus«, heißt es einführend. Das aber tut es nicht, denn es bläht die wirkliche Wertgröße künstlich auf. Das tut sie, wie richtig geschrieben, indem sie »Leistungen« in die Berechnung aufnimmt, wo es gar keine Leistungen gibt (Finanzwirtschaft), oder den Verbrauch materieller Leistungen als Leistungen abrechnet (Verwaltungsdienste, Gesundheitsleistungen, Kultur- und Sportveranstaltungen u. ä.). Rechnet man aus dem BIP all das heraus, wo keine materiellen Werte geschaffen werden, sondern nur Umverteilungen zum wiederholten Male abgerechnet werden, entsteht eine um etwa 30 Prozent niedrigere Größe. Sie würde in etwa dem entsprechen, was in den sozialistischen Ländern als »Nationaleinkommen« bezeichnet wurde: Dem in einer Volkswirtschaft im Verlaufe eines Jahres produzierten (Neu-)Wert aller materiellen Güter und Leistungen. Schließlich kann eine Gesellschaft auf Dauer immer nur von dem leben, was sie stets aufs Neue produziert. Von reinen Umverteilungen wie beispielsweise in der Finanzwirtschaft, möge man sie auch noch so oft vornehmen, ginge das wohl nicht. Außer man druckte alle Wertpapiere auf Reispapier, damit sie zur Not auch aufgegessen werden können.

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