Vorwand für weitere Zensur
Von Marc BebenrothDie Nibelungentreue zum Staat Israel schweißt sie zusammen: Am Donnerstag hat der Bundestag eine Resolution der Fraktionen von SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU verabschiedet, die vorgibt, »jüdisches Leben« in Deutschland »schützen, bewahren und stärken zu wollen«. Die Fraktion der AfD stimmte dafür. Die Linke-Gruppe enthielt sich, die des BSW stimmte dagegen. Der Text soll laut seinen Befürwortern bloß ein Beitrag zur Diskussion um den Kampf gegen Judenhass in der Bundesrepublik – und weltweit – sein. Tatsächlich zeigen, wie schon im Falle der für »maßgeblich« erklärten Arbeitsdefinition von Antisemitismus der »International Holocaust Remembrance Alliance« (IHRA), die gewählten Beispiele, worauf der Vorstoß abzielt.
In Deutschland seien seit dem Angriff bewaffneter Gruppen aus dem Gazastreifen auf israelische Stellungen sowie Zivilisten am 7. Oktober 2023 »Judenhass und israelbezogener Antisemitismus auf einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau«. Gemeint sein dürften vor allem die zahlreichen palästinasolidarischen Kundgebungen und Proteste gegen den drohenden Genozid in Gaza. Der wohl schwerwiegendste antisemitische Anschlag der jüngsten deutschen Geschichte findet in der Resolution keine Erwähnung: Am 9. Oktober 2019 hatte der Faschist Stephan Balliet am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur die Synagoge in Halle (Saale) angegriffen, um die Feiergesellschaft im Innern zu massakrieren. Am Ende hielt ihn nur die versperrte Eingangstür der Synagoge auf.
Jahrzehnte zurück liegt beispielsweise der antisemitische Wehrhahn-Anschlag in Düsseldorf vom 27. Juli 2000 auf eine Gruppe von zwölf Menschen, die aus Russland, der Ukraine, Aserbaidschan und Kasachstan eingewandert waren. Sechs von ihnen gehörten regionalen jüdischen Gemeinden an. Zehn Menschen wurden durch den versteckt plazierten Sprengsatz verletzt, einer lebensgefährlich. Eine Frau verlor ihr ungeborenes Kind.
Eines der zentralen Instrumente zur Formierung der Gesellschaft im Sinne israeltreuer Staatsräson soll künftig die Kontrolle über die Vergabe von Fördermitteln sein. Die Resolution fordert, dass keine Organisationen und Projekte staatliche Mittel erhalten sollen, die – nach der ungenauen Definition der IHRA – mutmaßlich Antisemitismus verbreiten, das »Existenzrecht Israels in Frage stellen«, »zum Boykott Israels« aufrufen oder die – gewaltfreie – BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestition, Sanktion) »aktiv unterstützen«.
Unter anderem Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion bedienten sich der Demagogie vom »eingewanderten Antisemitismus«, der verstärkt in den Blick genommen werden müsse. Dieser verkappte antimuslimische Rassismus wurde unterschwellig auch von Grünen-Abgeordneten vertreten. In den Beiträgen der AfD-Fraktion trat er offen zutage. So sprach Beatrix von Storch von einem »explodierenden Antisemitismus« aufgrund von Einwanderung und durch Muslime. Auch Linke erklärte die AfD-Politikerin wenig überraschend zum Feindbild. Diese »hassen Israel, weil der jüdische Staat alles repräsentiert, was Europa mal war«, behauptete von Storch. Israel sei ein »starker Staat, selbstbewusst, national, religiös, bereit, seine kulturelle Identität« sowie seine Grenzen »zu schützen«, schwärmte die Christin.
An den Jahrhunderte alten christlichen Antisemitismus erinnerte der Linke-Abgeordnete Gregor Gysi. Aber auch er verknüpfte die »schlimmste Judenverfolgung durch Deutsche im Nazireich« sowie den Angriff vom 7. Oktober 2023 auf israelische Stellungen mit der Resolution. Gysi wünsche sich ein »sicheres und souveränes« Israel, aber auch ein solches Palästina. Sevim Dagdelen (BSW) kritisierte unter anderem, dass das Resolutionspapier unter Umgehung der parlamentarischen Gremien erfolgte. Tatsächlich verhandelten die Urheber ein Jahr lang hinter verschlossenen Türen, aber nicht ohne Druck proisraelischer Lobbyisten sowie auch des Zentralrats der Juden in Deutschland. Für dessen Einwirken bedankte sich Simona Koß (SPD) explizit.
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