Teilweise verfassungswidrig
Von Kristian StemmlerAls »Erfolg für die Privatsphäre« haben die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Amnesty International den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Donnerstag genannt, mit dem Befugnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND eingeschränkt werden. Karlsruhe erklärte die Befugnis zur anlasslosen Überwachung der Kommunikation zwischen Menschen im Inland mit Menschen im Ausland zur Bekämpfung von Cybergefahren für verfassungswidrig. Damit gab das Gericht der Klage von GFF und Amnesty recht, die die Organisationen 2016 erhoben hatten. Auch Einzelpersonen hatten geklagt.
Konkret richteten sich die Beschwerden gegen eine im November 2015 in das sogenannte Artikel-10-Gesetz eingefügte Befugnis des BND zur Inland-Ausland-Fernmeldeüberwachung, mit der Cyberspionage und Cybersabotage abgewehrt werden sollen. Bei diesem geht es laut dem Gericht um die »Gefahr des internationalen kriminellen, terroristischen oder staatlichen Angriffs« mittels Schadprogrammen oder vergleichbaren Mitteln »auf die Vertraulichkeit, Integrität oder Verfügbarkeit« von informationstechnischen Systemen und Netzen der BRD. Wegen des »überragenden öffentlichen Interesses« sei die Befugnis zur strategischen Inland-Ausland-Überwachung zwar grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar, so das Gericht. Sie bedürfe aber »der verhältnismäßigen Ausgestaltung«.
Karlsruhe begründete die Verfassungswidrigkeit mit fundamentalen, auch auf andere Überwachungszwecke übertragbaren Mängeln. So fehle eine hinreichend bestimmte Regelung für die Abgrenzung und den Schutz reiner Inlandskommunikation, der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung werde nicht hinreichend geschützt und die Dokumentation über Grundrechtseingriffe werde zu schnell gelöscht. Auch die Kontrolle des BND sei unzureichend und müsse durch eine »gerichtsähnliche Instanz« sichergestellt sein. Die für verfassungswidrig erklärte Vorschrift muss bis Ende 2026 angepasst werden.
Bijan Moini, Legal Director der GFF, sprach gegenüber jW von »einer wichtigen Entscheidung, weil sie der Massenüberwachung im Internet Grenzen setzt und insbesondere die Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes stärkt«. Es sei zwar erschreckend, dass der Gesetzgeber immer wieder unverhältnismäßige Überwachungsgesetze beschließt, erklärte Moini. Andererseits sei es »ein gutes Zeichen, dass die Kontrolle durch die Zivilgesellschaft dank des Bundesverfassungsgerichts« funktioniere. »Stück für Stück« holten die von seiner Organisation errungenen Entscheidungen des Verfassungsgerichts »die Geheimdienstarbeit auf den Boden des Grundgesetzes zurück«.
Lena Rohrbach, Expertin für »Menschenrechte im digitalen Zeitalter« bei Amnesty International, betonte in einer Mitteilung, die Stärkung der vertraulichen Kommunikation durch das Bundesverfassungsgericht setze »ein wichtiges Signal«. Wenn Menschenrechtsorganisationen befürchten müssen, dass »ihre sensible Kommunikation im Zuge von anlassloser Massenüberwachung mitgelesen wird«, gefährde das ihre Arbeit.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 31.07.2024
Weiter Spielraum
- 16.04.2024
Repression gegen Radio Dreyeckland
- 01.08.2009
Vertuschung erschwert
Regio:
Mehr aus: Inland
-
Rheinmetall auf der Überholspur
vom 08.11.2024 -
Vorwand für weitere Zensur
vom 08.11.2024 -
Trend setzt sich fort
vom 08.11.2024 -
Spitze bei Ungleichheit
vom 08.11.2024