Spitze bei Ungleichheit
Von Ralf WurzbacherDonald Trump zurück, Ampel kaputt – und eine Republik, die materiell immer weiter auseinanderdriftet. Am Mittwoch legte das Statistische Bundesamt mit dem »Sozialbericht 2024« die wohl umfassendste Zustandsbeschreibung der Sozialstruktur der hiesigen Bevölkerung vor. Unter dem Eindruck des politischen Bebens in Washington und Berlin blieb der Vorgang medial stark unterbelichtet. Dabei gebührte dem Thema die große Bühne: Während der Reichtum in Deutschland ungebremst wächst, haben zunehmend weniger Menschen Anteil daran. 2021 verfügten demnach zehn Prozent der Haushalte über 56 Prozent des Gesamtvermögens. Vier Jahre davor waren es noch 55 Prozent. Die BRD zähle damit im europäischen Vergleich zu den Spitzenreitern in Sachen Ungleichheit, teilte die Behörde mit.
Wie Zahlen trügen können: Vor drei Jahren betrug das mittlere Nettohaushaltsvermögen 316.500 Euro. Auf dem Papier besaß damit jeder Haushalt 83.500 Euro mehr als noch 2017. Wo oben immer mehr gehortet wird, macht selbst der ärmste Schlucker einen besseren Schnitt. Alles Schein, denn beim Normalbürger bleibt relativ immer weniger vom großen Kuchen hängen. Auf längere Sicht haben die Eigentumswerte zwischen 2011 und 2021 real sogar um 39 Prozent zugelegt. Aber der Zuwachs sei »primär auf die stark gestiegenen Immobilienpreise zurückzuführen«, heißt es in einer Presseerklärung. Das komme vor allem der mittleren Gruppe in der Vermögenskurve zugute, die Häuser kauft, vermietet oder damit spekuliert. Eine »wichtige Ursache« für die eklatante soziale Schieflage sehen die Forscher außerdem in Schenkungen und Erbschaften. »Besonders Personen im mittleren Erwachsenenalter und vermögendere Bevölkerungsgruppen profitieren von solchen intergenerationalen Transfers.«
Den »Sozialbericht«, vormals »Datenreport«, geben die Wiesbadener Statistiker seit 1995 im Zwei- oder Dreijahrestakt in Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) heraus. Neben wirtschaftlichen Fragen beschäftigt er sich auch mit Demographie, Familie, Bildung, Gesundheit oder Wohnen. Nach den neuesten Befunden ist die Armutsrate trotz in jüngerer Zeit wieder gestiegener Einkommen nicht kleiner geworden. 2022 lebten nach Daten des SOEP etwa 15 Prozent aller Haushalte unterhalb der Armutsrisikoschwelle, die für Alleinlebende bei rund 1.200 Euro netto im Monat lag, für Paare mit Kind bei 2.160 Euro. 20- bis 29jährige waren gar zu 22 Prozent betroffen. Besonders armutsgefährdet sind den Zahlen nach Alleinerziehende, Menschen mit Hauptschul- oder ganz ohne Berufsabschluss sowie solche mit Einwanderungsgeschichte.
Angesichts gravierender struktureller Ungleichheiten warnte Thomas Krüger von der Bundeszentrale für politische Bildung, die den Bericht veröffentlicht, vor einer zunehmenden sozialen Polarisierung innerhalb der Bevölkerung. So deute auch die sinkende Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie darauf hin, dass sich diese in einer »Stresssituation« befinde, so Krüger. »Die Zahlen sind alarmierend, in den letzten Jahren ist ein deutlich negativer Trend zu erkennen.« Bedrückend ist die Lage im speziellen in Ostdeutschland. Die dortige Armutsquote von 19,4 Prozent übertraf den Bundesdurchschnitt um mehr als vier Prozentpunkte deutlich. Ursachen dafür sind laut Philip Wotschack vom WZB das weiterhin geringere Lohnniveau, das einen Vermögensaufbau erschwere, und die schleichende Entvölkerung, die nur geringe Wertsteigerungen auf dem Immobilienmarkt gestatte. »In den letzten zehn Jahren gab es hier kaum Angleichungen«, befand der Wissenschaftler mit Blick auf die anhaltende Spaltung zwischen Ost und West.
Größer geworden ist die Gefahr, im Alter zu verarmen. In der Gruppe der 60- bis 69jährigen betraf dies in Gesamtdeutschland 17 Prozent, was einem Zuwachs um zwei Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2015 bis 2019 entspricht. Im Osten betrug die Quote gar 24 Prozent.
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