Ein Glücksfall der Filmgeschichte
Von Detlef KannapinDie Resonanz auf seine Arbeiten habe ihn nicht wirklich interessiert, erklärte Walter Heynowski oft in Gesprächen über seine Filme, die zum großen Teil in Zusammenarbeit mit Gerhard Scheumann (1930–1998) unter dem Signum »H&S« entstanden sind. Man kann das als Koketterie auslegen, denn wofür macht man Filme, wenn nicht für Publikum? So ganz geglaubt habe ich ihm die Aussage nie. Er hat sich schließlich bis ins hohe Alter seinem Publikum gestellt – und immer offen Rede und Antwort gestanden.
Zwischen 2012 und 2023 wurden Filme von »H&S« regelmäßig im Rahmen der Filmreihe »3D – Deutsche Demokratische Dokumente« wiederaufgeführt, die in Berlin von der Peter-Hacks-Gesellschaft organisiert wird. Wir begannen 2012 mit »Bye-Bye Wheelus« (1971) über die erzwungene Auflösung des US-amerikanischen Militärstützpunktes in Libyen. Im Bild: Ein selbstbewusster junger Offizier namens Muammar al-Ghaddafi, damals die Verkörperung des antikolonialen Sieges in Nordafrika. Auch den berühmten Film über den sogenannten Kongo-Müller »Der lachende Mann« (1966) hatten wir im Programm, genauso wie »Geisterstunde – Auge in Auge mit dem Mittelalter« (1967) zur Präsentation der verdienstvollen DVD-Edition von »H&S«-Filmen 2014. Später dann auch die Beiträge des Studios über Chile, Vietnam, Kambodscha und den Einsatz von Mordbrenner-Söldnern an allen Ecken der Welt, um emanzipatorische Selbstbestimmung im globalen Süden mit Gewalt abzuwürgen. Walter Heynowski hat stets darauf hingewiesen, dass seine Filmarbeit mit investigativen Mitteln an den Brennpunkten der Welt dazu diente, antiimperialistisch aufzuklären und dem Sozialismus Geltung zu verschaffen. Alle seine Filme sind Ausweis dieses Anliegens. Das Wichtigste aber: Ihr Vorhandensein ist die unbestechliche Dokumentation des Faktums, dass ein anderes Zusammenleben unter gerechten Bedingungen für alle möglich und notwendig ist.
Walter Heynowski wurde am 20. November 1927 in Ingolstadt geboren. Der Zweite Weltkrieg bestimmte seine Jugend, die er im ersten Teil seiner Memoiren treffend als »zerschossene« charakterisierte. Durch die Befreiung vom Faschismus und die Gründung der DDR war es ihm möglich, die seinen Talenten angemessenen Berufe zu erlernen und auszuüben: zunächst als Redakteur der Berliner Zeitung, dann von 1949 bis 1955 als Chefredakteur der Satirezeitschrift Frischer Wind, die ab 1954 Eulenspiegel hieß – im selben Jahr gründete er den Eulenspiegel-Verlag.
Von 1956 bis 1963 arbeitete Heynowski beim Deutschen Fernsehfunk als Autor, Regisseur und Leiter der Reihe »Zeitgezeichnet«, war stellvertretender Intendant. In diese Zeit fallen so bedeutende Filme wie »Mord in Lwow« (1960) über die Mittäterschaft des damaligen Bundesvertriebenenministers Theodor Oberländer beim Massaker an Juden während des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, »Aktion J« (1961) über die enorme Schuld des seinerzeitigen Kanzleramtschefs von Adenauer, Hans Josef Maria Globke, an der juristischen Entrechtung der jüdischen Bevölkerung in Nazideutschland und »Brüder und Schwestern« (1963) über die Heucheleien der BRD-Administration bei ihrem Einheitsgebaren.
Die Zusammenarbeit mit Gerhard Scheumann im Studio »H&S« (1965–1991) muss als absoluter Glücksfall der deutschen Filmgeschichte betrachtet werden. Niemals zuvor und niemals danach waren Dokumentarfilme so nah am Pulsschlag der Zeit, voll der Hoffnungen, die sich aus dem antiimperialistischen Befreiungskampf der vormaligen Kolonialvölker speisten. Mit Blick auf die desaströse Gegenwart und den spätimperialistischen Zerfall sämtlicher zivilisatorischer Standards kommt den Filmen von Heynowski/Scheumann gerade jetzt eine eminente Bedeutung zu, denn sie haben den menschenfeindlichen Grundzug des Imperialismus in all seinen barbarischen Facetten freigelegt. Damit sind sie Lehrbeispiele für die nachfolgenden Generationen, die aus dem Teufelskreis der Profitgier und der Ohnmacht ausbrechen wollen.
Nach 1990 wurden Heynowskis Filme oft unter Propagandaverdacht gestellt. Das war schon immer falsch. Die Barbarei der letzten Jahrzehnte hat die Wahrheit seiner Werke nur noch klarer herausgestellt. Einer seiner Filme heißt »Ich war, ich bin, ich werde sein« (1974) über geheime Gefangenenlager während der Pinochet-Diktatur in Chile. In diesem Sinne halten wir inne und würdigen einen aufrechten und in jeder Hinsicht unbestechlichen Filmkünstler, indem wir weiter seine Werke zeigen. Walter Heynowski ist am 6. November 2024 in Berlin gestorben.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (8. November 2024 um 06:14 Uhr)Danke für diese wunderbare Würdigung. Messerscharf und einprägsam haben »H&S« die Heucheleien einer Gesellschaft enthüllt, in deren Selbstdarstellung es nur so vor Demokratie, Gleichheit, Menschenrechten und Friedensgesäusel wimmelt. Die Filme von damals bleiben unendlich wichtig.
Ähnliche:
Mehr aus: Feuilleton
-
Nichts ist für die Ewigkeit
vom 08.11.2024 -
Italians Do It Better
vom 08.11.2024 -
Müllabfuhrmittel: Graue Tonne
vom 08.11.2024 -
Nachschlag: Gasrechnung für Trump
vom 08.11.2024 -
Vorschlag
vom 08.11.2024