Im Zweifel für Israel
Von Jakob ReimannInsgesamt 230 Medienschaffende, Journalisten, Schauspieler und Wissenschaftler haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie dem britischen Sender BBC bei der Berichterstattung über den Krieg in Gaza eine klare Voreingenommenheit zugunsten Israels vorwerfen. Zu den Unterzeichnern gehören 101 anonym bleibende Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Medienanstalt. In ihrem Schreiben an den Generaldirektor der BBC, Tim Davie, und die Vorstandsvorsitzende, Deborah Turness, kritisieren sie den Sender für seine »wohlwollende Berichterstattung gegenüber Israel« sowie die Nichtbeachtung »grundlegender journalistischer Grundsätze«. Es wird auch hervorgehoben, dass die Behörden Israels externen Journalisten keinen Zugang zum Gazastreifen gewährten und eine unabhängige Berichterstattung so kaum möglich sei. In der Tat berichten lediglich Journalisten und Reporter palästinensischer Medien sowie das panarabische Al-Dschasira permanent über das Kriegsgeschehen in der abgeriegelten Küstenenklave.
Die BBC wird im Brief aufgefordert, in ihren Beiträgen klarzustellen, wenn es keine ausreichenden Beweise zur Untermauerung israelischer Behauptungen gibt, regelmäßig historische Kontexte bereitzustellen, sowie zur »konsequenten Infragestellung israelischer Regierungs- und Militärvertreter in sämtlichen Interviews«. Immer wieder wurden Behauptungen des israelischen Militärs (IDF), insbesondere von dessen Sprecher Daniel Hagari, als Lüge entlarvt. »Oftmals werden bei der BBC Angaben der IDF, beispielsweise wenn es um angebliche ›Hamas-Zentralen‹ unter Schulen und Krankenhäusern geht, ohne Überprüfung übernommen«, erklärt der Journalist Fabian Goldmann am Donnerstag im Gespräch gegenüber junge Welt. Palästinensische Stimmen sowie unabhängige Quellen wie Hilfsorganisationen erhielten bei der BBC deutlich weniger Sendezeit; israelische Opfer bekämen im Vergleich zu palästinensischen »ein Zigfaches an Aufmerksamkeit«. Seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres analysiert Goldmann systematisch die westliche Berichterstattung über den Krieg in Gaza. Die BBC beteuert hingegen, dass sie sich um die Wahrung der Unparteilichkeit bemühe.
»Verglichen mit deutschen Medien wirkt die BBC absurderweise aber immer noch als Musterbeispiel für faire und qualitativ hochwertige Berichterstattung«, so Goldmanns scharfe Kritik an der deutschen Berichterstattung. Erinnert sei hier an das sogenannte Mehlmassaker am 29. Februar dieses Jahres, als israelisches Militär in Nordgaza Personen angriff, die Hilfslieferungen in Empfang nehmen wollten. Mindestens 118 wurden dabei getötet und die BBC leistete wertvolle investigative Arbeit, mit deren Hilfe die Propaganda des israelischen Militärs dekonstruiert werden konnte. In Deutschland hingegen »findet sich kein großes Medium, schon gar kein öffentlich-rechtliches«, von dem man derartige journalistische Arbeit erwarten könne. Als die IDF Ende letzten Jahres das Al-Schifa-Spital stürmte und »selbst noch während israelische Truppen vor den Augen der Welt das Krankenhaus beschossen«, habe die Tagesschau weiter »unwidersprochen die Aussagen israelischer Armeesprecher wiedergegeben, wonach Israel keine Krankenhäuser angreife«. Die Berichterstattung der Tagesschau lasse sich »oftmals nur durch den Gebrauch von Anführungszeichen und indirekter Rede von Pressemitteilungen der IDF unterscheiden«, so Goldmann, oftmals fehlten selbst diese. Im ersten Monat nach dem Überfall der Hamas auf Israel seien in der Tagesschau 28mal israelische Militär- oder Regierungsvertreter zu Wort gekommen, »aber kein einziger offizieller palästinensischer Vertreter«, ergab Goldmanns Auswertung.
Knapp die Hälfte aller Befragten erheben laut einer Umfrage vom Juli im Auftrag des NDR-Medienmagazins »Zapp« Unmut über die Berichterstattung deutscher Medien zum Krieg in Gaza; 33 Prozent haben demnach »wenig«, 15 Prozent »gar kein« Vertrauen. ARD-Chefredakteur Oliver Köhr findet die wenig überraschenden Zahlen hingegen »erschreckend«, hieß es dazu bei Tagesschau. Es sei »tatsächlich beängstigend, dass so viele Menschen kein Vertrauen in die Berichterstattung haben«.
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