Wie wär’s mit Frieden?
Von Arnold SchölzelDie deutsche Industrie ist wieder einmal Opfer. Sie verbreitet die Nachricht gewöhnlich nach Kriegen, die in ihrem Interesse angezettelt wurden. 2024 steht sie vor allem in einem Wirtschaftskrieg, dessen Folgen sie beschwerlich findet. Also jammerte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, am Montag auf einem BDI-Kongress über »Rohstoffsouveränität«: »Im Wettbewerb der Systeme nutzen autokratische Regime ihre Monopolstellung bei einzelnen Rohstoffen immer häufiger, um aus geopolitischem Kalkül in das Marktgeschehen einzugreifen.« Die so sehr privaten deutschen Unternehmen hätten es mit »staatlichen Wettbewerbern« zu tun, so dass »rein privatwirtschaftliche Lösungen« nicht funktionierten.
Die finsteren Mächte benannte Russwurm nicht, schon gar nicht den staatlichen Eingriff ins Rohstoffmarktgeschehen durch Sprengung von Gaspipelines Richtung Bundesrepublik. Die Abnahme von US-Frackinggas geschah ja auch rein privatwirtschaftlich. Es steht zu vermuten, dass Robert Habecks Order, Spezialschiffe im Tourismusgebiet Rügen zu stationieren, demnächst auch für »privat« erklärt wird. Schließlich machen sich einige Leute mit dem Zeug, das sie ins Naturschutzgebiet weiterleiten, individuell die Taschen voll.
Der BDI hat die freie Energiemarktwirtschaft aber längst abgehakt. Da pampert die Bundesregierung willig. Also erzählte Russwurm im Ampelsound: »Russland stoppte seine Energieexporte in den Westen, und wir erlebten eine tiefe Energiekrise. Kurzfristig haben wir diese Krise gemeistert, Politik und Wirtschaft gemeinsam.« Erst in der vergangenen Woche regte sich zwar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem Telefonat mit Donald Trump auf: »Wir erhalten immer noch viel LNG aus Russland.« Aber die EU könne dies durch Flüssiggas (LNG) aus den USA ersetzen – alles rein privatwirtschaftlich.
Egal. Denn Russwurm geht es nun um mineralische Rohstoffe. Für die hat das politische Personal nach BDI-Meinung bisher zuwenig rübergereicht. Und eins ist sicher: Wenn der BDI auf hohem Niveau jammert, dann wird was draus, vor allem bei genügend Lautstärke. Also gab der BDI bei Roland Berger eine »Studie« in Auftrag, die am Montag bereits dem Handelsblatt vorlag: »Warum Rohstoffe zur Schlüsselfrage werden.« In dem Papier steht nichts davon, dass die üblen autokratischen Neider deutscher Prosperität bereits irgendwo Minerale blockieren, aber die Zukunft … Mit deren Anrufung lässt sich aus dem Bundeshaushalt immer diese oder jene Milliarde Euro quetschen. Das Handelsblatt fasste zusammen: »Deutschlands Abhängigkeit von Rohstoffen aus China birgt hohe Risiken.«
Das Risiko Wirtschaftskrieg fand leider im Blatt und auf dem BDI-Kongress keinen Platz. Die Möglichkeit, es mal mit Kooperation oder gar Frieden zu versuchen, auch nicht. Hat keine Tradition in der deutschen Industrie.
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