Ich hasse Fanmärsche
Von Andreas GläserDer Stadtstaat Vatikan umfasst eine Fläche von 0,49 Quadratkilometer. Hier könnten wir so einiges in einem Rutsch erledigen, dachten sich mein Sohn und ich, und visierten die Dauerausstellung in den Vatikanischen Museen an, um danach ein Fußballturnier der Truppen des Stadtstaates zu besuchen. Der amtierende Meister, die Mannschaft des Kinderkrankenhauses, sollte am Spaßcup teilnehmen sowie die Teams der Gendarmerie, des Radios, der Fensterputzer, der Chauffeure, der Museumswächter und der Post. Doch auch hier hieß es: keine Leute, keine Leute! Agieren würde man auf einem Kleinfeld, mit je vier Feldspielern und einem Torhüter; gleich in der Nähe, vor den Toren des Märchenlandes.
Es werden 500 Menschen gewesen sein, die vor den Mauern des Papstgehöftes anstanden, um für den Preis einer Tageskarte, der dem einer Jahreskarte für die Staatlichen Museen zu Berlin gleichkam, einige Dutzend großer Räume zu durchlatschen – oder anders gesagt: über sieben Kilometer! Da lohnte sich die Investition in einen Audioguide.
Gleich nach dem Start am Museo Gregoriano Egizio offenbarte sich die erste Chance, die Tour um drei Räumlichkeiten zu verkürzen. Aber noch waren wir fit und drängten mit den Leuten von einer Halle zur anderen, gaben uns kunstbeflissen und fotografieren alles, was sich nicht bewegte. Eierbecher der Eritreer, sehr interessant. Doch wie stand es im Spiel zwischen den Köchen und Kurieren?
Es wird nach einem Drittel der Tour gewesen sein, als ich an einem offenen Fenster stehend Luft holte und einen kleinen, wenn auch menschenleeren Kunstrasenplatz sah. Ich genoss den Blick auf das eng umzäunte Areal auf dem Hof und die Aussicht in die Ferne, hinweg über die Dächer Roms. Den Platz des skurrilen Turniers in der Nähe konnte ich nicht erspähen. Doch plötzlich bedrängten mich einige Touristen, um das Kolosseum am Horizont zu knipsen. Das internationale Heidenvolk wurde hooliger. An der Galleria di San Pio V verpassten wir die nächste Gelegenheit, die Tour zu verkürzen. Ach Mensch, all die Teppiche, Skulpturen und Gemälde und der Schmuck aus dem Mittelmeerraum, so was kannten wir schon aus Berlin. Viele gestresste Teilnehmer des klerikalen Fanmarsches kuckten beim Knipsen kaum noch durch die Linse.
Immerhin, die Anzahl der noch zu durchschreitenden Hallen sank, leider aber auch die der Spiele des Turniers außerhalb der mächtigen Mauern. Wer würde ins Halbfinale einziehen? Als Dynamo-Fan favorisierte ich das Team der Gendarmerie. Die Zeit lief, wir kamen aus der stockenden Einbahnstraßentour nicht raus. Unser Finale stieg in der Sixtinischen Kapelle, der berühmten Halle mit dem Ding an der Decke, wo Gott und Adam einander mit den Fingern berühren. Plötzlich forderte mich ein Uniformträger eindringlich auf, das Fotografieren zu unterlassen, worauf mein Sohn ihn geistesgegenwärtig mit dem Zeigen seines Agnostic-Front-Nickis erschreckte.
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