Die Reichen knausern
Von Wolfgang PomrehnIn Aserbaidschans Hauptstadt Baku beginnt am Montag die zweite und abschließende Woche der UN-Klimakonferenz. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs werden erwartet, während viele der größeren Länder bestenfalls auf der Ministerebene vertreten sein werden. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Teilnahme abgesagt. Die französische Umweltministerin Agnès Pannier-Runacher hat ebenfalls ihre Reise storniert, nachdem Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew Frankreich in seiner Begrüßungsrede koloniale Verbrechen und Verletzungen der Menschenrechte vorgeworfen hatte. Die Ministerin fand diese an sich wohlbegründeten Anschuldigungen »unakzeptabel (…) und unter der Würde der Präsidentschaft einer Klimakonferenz«, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet. In der Tat verstieß Alijew damit nicht nur gegen den guten diplomatischen Ton, sondern begab sich auch auf sehr dünnes Eis. Es ist gerade erst etwas mehr als ein Jahr her, dass sein Land mit militärischer Gewalt die von Armeniern bewohnte autonome Region Bergkarabach einnahm und deren rund 120.000 Einwohner vertrieb. Außerdem sitzen in Bakus Gefängnissen Dutzende Umweltschützer und Journalisten, die es gewagt hatten, Alijews sozusagen vom Vater geerbte Regierung zu laut zu kritisieren.
Im Kern geht es auf der diesjährigen Tagung um die sogenannten Klimafinanzen, das heißt zum einen über einen großen Topf, aus dem die ärmsten Länder bei der Einführung umweltfreundlicher Technologien unterstützt, sowie Anpassungsmaßnahmen an Klimaveränderungen finanziert werden sollen.
Zum anderen fordern die in der Gruppe der 77, darunter auch China, zusammengeschlossenen Entwicklungsländer immer eindringlicher einen zusätzlichen Topf für »Verlust und Schaden« (Loss and Damage) aus dem der Wiederaufbau nach Verwüstungen durch Unwetter bezahlt werden könnte. Doch eine Einwilligung, in einen solchen Fonds einzuzahlen, könnte womöglich als Anerkenntnis des Verursacherprinzips interpretiert werden, was die Regierungen in Europa und Nordamerika auf jeden Fall vermeiden wollen.
Beim erstgenannten Fonds zieren sie sich ebenfalls erheblich. Bis zum Wochenende gab es keine nennenswerten Fortschritte. 2009 war vereinbart worden, dass die Industrieländer ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar (95 Milliarden Euro) aufbringen sollen, was nur mit Verspätung und mit allerlei Zahlentricks gelang. Allerdings gibt es Klagen aus den Entwicklungsländern, dass die Auszahlungen nur zögerlich laufen. Auf der Tagesordnung steht derweil die Forderung der Entwicklungsländer, den Betrag auf eine Billion US-Dollar (950 Milliarden Euro) jährlich zu erhöhen.
Weniger knauserig zeigen sich EU und die anderen westlichen Staaten hingegen, wenn es um Zuwendungen an die Öl- und Gasindustrie geht. In Rahmen des sogenannten Global Methane Pledge (siehe Keller) wurden am Freitag mehrere Milliarden Euro zugesagt, mit denen die Methanemissionen der Branche verringert werden sollen. Unter anderem wurden bereits zwei Satelliten in Betrieb genommen und zehn weitere sollen bis 2026 folgen, mit denen Methanquellen an Pipelines und Förderanlagen aufgespürt werden können. Natürlich könnte das Geld auch in Projekte gesteckt werden, die die Erdgasförderung, bei der das Treibhausgas freigesetzt wird, überflüssig machen würden. Doch damit lässt sich für Shell & Co. kein Profit machen.
Im Detail wird in Baku über Dutzende unterschiedliche, teils sehr technische Texte verhandelt. Zusätzlich unübersichtlich ist die Tagung, weil sie Vertragsstaatenkonferenz (Conference of Parties, COP) unterschiedlicher Abkommen mit leicht divergierenden Mitgliedschaften ist. Zum einen ist da die UN-Klimaschutzrahmenkonvention, die das Dach bildet und der alle UN-Mitglieder sowie die EU angehören, dann ist da das Kyoto-Protokoll, das von den USA nie ratifiziert wurde und aus dem auch einige Industriestaaten ausgetreten sind. Schließlich gibt es noch die Pariser Klimaübereinkunft, der ebenfalls fast alle Staaten angehören, aus der aber die USA vermutlich nach dem Amtsantritt Donald Trumps im Januar wieder aussteigen werden. In deren Rahmen gehen die Länder freiwillige Selbstverpflichtungen ein, die zur Einhaltung der in der Vereinbarung genannten Ziele (Begrenzung der globalen Erwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius und deutlich unter zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau). Bis Februar 2026 ist die nächste Runde dieser Selbstverpflichtungen fällig. Die bisher gültigen würden, wenn tatsächlich umgesetzt, die Erde zu einem mindestens 2,3 Grad Celsius wärmeren Planeten machen, wie verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berechnet haben.
Hintergrund: Das Klima in Zahlen
2023 betrugen die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, aus der Zementproduktion und aus der veränderten Landnutzung (hauptsächlich Entwaldung) abzüglich des vom älteren Beton absorbierten CO2 40,6 Milliarden Tonnen. Die Unsicherheit dieser Abschätzung des Global Carbon Projects liegt bei plus/minus 3,2 Milliarden Tonnen CO2. Vorläufige Zahlen derselben Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass die Emissionen 2024 auf 41,6 Milliarden Tonnen CO2 kletterten. Der Anstieg liegt allerdings noch im Unsicherheitsbereich, was bedeutet, dass er auch kleiner ausgefallen sein könnte. Einiges deutet darauf hin, dass das weitere Anwachsen nach mehr als 30 Jahren internationaler Verhandlungen endlich zum Stillstand gekommen ist. Allerdings reicht das noch lange nicht.
Wird weiter CO2 in diesem Ausmaß in die Atmosphäre geblasen, ist dort in sechs Jahren genug Treibhausgas, um langfristig die Erde auf über 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu erwärmen. Die Frist könnte ein paar Jahre länger, aber auch kürzer sein, denn der Unsicherheitsbereich für die Aussagen über das verbliebene Treibhausbudget sind relativ groß.
China ist derzeit für 32 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, die USA für 13, Indien für acht und die EU für sieben Prozent. In der EU haben die Emissionen 2024 voraussichtlich um 3,8 Prozent abgenommen und in den USA um 0,6. In Indien legten sie hingegen um 4,6 und in China um 0,2 Prozent zu. Die Zahlen sind allerdings mit Unsicherheiten behaftet und beschreiben eher eine Tendenz. In den USA könnten die Emissionen in diesem Jahr zum Beispiel auch leicht angestiegen sein, während in China andere Analysen eine geringfügige Abnahme sehen. Nach den gleichen vorläufigen Abschätzung wurden 2024 von den 41,6 Milliarden Tonnen 26 Prozent von den Ozeanen und 29 Prozent von der Biosphäre an Land aufgenommen, wobei es Anzeichen gibt, dass aufgrund der Klimaveränderungen die Aufnahmefähigkeiten dieser Senken zurückgeht. Noch verbleiben 45 Prozent der Emissionen für viele Jahrhunderte in der Atmosphäre, künftig wird dieser Anteil aber womöglich weiter wachsen. 2024 ist die atmosphärische CO2-Konzentration voraussichtlich um 2,8 auf 422,5 Millionstel Volumenanteile gestiegen, 52 Prozent mehr als zu vorindustriellen Zeiten.
Entsprechend schreitet die Erwärmung voran. Kurzfristig ist die 1,5-Grad-Celsius-Schwelle bereits erreicht, im Mittel über mehrere Jahrzehnte liegt die globale Jahresdurchschnittstemperatur nach einer Abschätzung der Weltorganisation für Meteorologie bei 1,3 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. (wop)
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