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Aus: Ausgabe vom 18.11.2024, Seite 6 / Ausland
Niederlande

Tohuwabohu in Den Haag

Amsterdam-Vorfall: Staatssekretärin tritt nach rassistischen Äußerungen zurück. Koalitionsbruch abgewendet
Von Gerrit Hoekman
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Hat die Nase voll: Nora Achahbar bei ihrer Rücktrittserklärung

Seit Juni ist die niederländische Regierung im Amt und sucht immer noch nach einer gemeinsamen Linie. Das Vier-Parteien-Kabinett präsentierte sich bislang wenig homogen. Am Freitag stand das Bündnis sogar kurz vor dem Aus, nachdem die Staatssekretärin im Finanzministerium, Nora Achahbar, ihren Rücktritt erklärt hatte. Eine Zeitlang sah es so aus, als wenn auch ihre Partei, die christlich-liberale Nieuw Sociaal Contract (NSC) von Pieter Omtzigt, die Koalition verlassen würde. Doch nach einer am Abend kurzfristig einberaumten Krisensitzung bekam die Koalition noch einmal die Kurve.

Achahbar ist zutiefst empört über die Art und Weise, wie einige im Kabinett mit dem Gewaltausbruch zwischen propalästinensischen Jugendlichen und Hooligans des israelischen Fußballklubs Maccabi Tel Aviv vor anderthalb Wochen umgegangen sind. Bei der ersten Kabinettssitzung nach den Ausschreitungen soll es Montag vor einer Woche ziemlich gekracht haben, erfuhr das öffentlich-rechtliche Fernsehnetzwerk NOS. Dabei sollen die Worte »Scheißmarokkaner« und »Halalfresser« gefallen sein. Finanzminister Eelco Heinen zog angeblich den Vergleich mit einem Pickel, den man ausdrücken müsse.

»Die Polarisierung in der Gesellschaft ist gefährlich. Weil sie auf Gegenseitigkeit beruht, untergräbt sie die Verbindung zwischen den Menschen«, schreibt die Staatssekretärin in ihrem Rücktrittsgesuch an König Willem-Alexander, das auf der Regierungsseite Rijksoverheid.nl im Original nachzulesen ist. »Wenn wir einander nicht mehr zuhören oder verstehen können, verstricken wir uns in Feindseligkeit. So können wir nicht mehr auf gemeinsame Ziele hinarbeiten.« Auch Innenministerin und Parteifreundin Judith Uitermark soll die rassistischen Bemerkungen kritisiert haben. Sie habe angeblich ebenfalls mit dem Gedanken gespielt, zurückzutreten.

Die aufgeschreckten Spitzen der Koalitionsparteien eilten jedenfalls hastig zum Krisengespräch ins »Catshuis«, den Amtssitz des parteilosen Premierministers Hendrikus Schoof. Stundenlang arbeiteten sie an der Rettung der Koalition, die am Ende auch mit Ach und Krach gelang. »Es gibt und gab keinen Rassismus im Kabinett und in den Koalitionsfraktionen«, stellte Schoof hinterher vor den Medien im Brustton der Überzeugung fest. »Ich mache keine Aussagen zu dem, was im Kabinett gesagt wurde. Das muss geheim bleiben«, antwortete er auf die Nachfrage, ob Mitglieder der Regierung die diskriminierenden Ausdrücke gebraucht hätten. Bleibt die Frage: Warum muss es geheim bleiben, falls niemand diese Worte benutzt hat?

Angesichts dessen, was an Vorwürfen im Raum steht, ist Achahbars Reaktion diplomatisch, um nicht zu sagen milde. Sie ist in Marokko geboren, kam aber schon als Kind in die Niederlande, wo ihr Vater für wenig Geld als Koch arbeitete. Die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen am Rand des Stadtviertels Schilderswijk im Zentrum von Den Haag. Fast jeder im Schilderswijk besitzt einen Migrationshintergrund. »Wir lebten monatelang ohne Strom, wodurch ich meine Hausaufgaben bei Kerzenlicht machen musste«, erzählte sie im September in einem Interview mit der Tageszeitung Trouw.

Dem Rechten und heimlichen Regierungschef Geert Wilders dient das Schilderswijk als vermeintlich abschreckendes Beispiel für die Übernahme der Niederlande durch den radikalen Islam. Er wird nicht müde, diesen Popanz in die Welt zu setzen. Erst im August erklärte er den »Schariafaschisten« im Schilderswijk den Krieg. Wilders war natürlich auch einer der ersten, die auf dem Kurznachrichtendienst X ihre Meinung zu den Krawallen nach dem Fußballspiel in Amsterdam in die Welt posaunte: »Die Judenjagd in Amsterdam zu verurteilen, reicht nicht. Die Täter müssen raus aus dem Land.«

Angeblich soll Pieter Omtzigt, Vorsitzender des NSC, am Dienstag wieder Platz im Parlament nehmen. Die vergangenen zehn Wochen verbrachte er wegen eines Burnout-Syndroms zu Hause in Enschede. Es darf spekuliert werden, ob die Regierungskrise der Anlass ist oder seine Rückkehr nur zufällig mit dem Tohuwabohu in Den Haag zusammenfällt.

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