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Aus: Ausgabe vom 18.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

Tanz auf dem Babelsberg. Erinnerungen an den venezolanischen Filmemacher Alfredo Lugo

Von John Green
Alfredo Lugo und der Stab beim Dreh im Holländischen Viertel, P
Alfredo Lugo beim Dreh im Holländischen Viertel, Potsdam

Alfredo Lugo lernte ich 1964 an der Filmhochschule der DDR in Babelsberg kennen, wo er zu einer kleinen Gruppe ausländischer Studenten gehörte. Angeregt durch den bekannten niederländischen Dokumentarfilmer Joris Ivens hatte die DDR begonnen, jungen Künstlern aus Ländern, die um ihre Unabhängigkeit und Freiheit kämpften, insbesondere aus Lateinamerika, kostenlose Studienplätze anzubieten. Sie sollten in der DDR das Handwerk des Filmemachens erlernen. Anschließend spielten viele von ihnen eine wichtige Rolle beim Aufbau der Filmindustrien in ihren Heimatländ‑ern– so auch Alfredo Lugo.

Am 16. September 2024 meldete das Centro Nacional Autónomo de Cinematografía (CNAC) den Tod des venezolanischen Filmemachers. Der am 21. April 1939 in Acarigua im Bundesstaat Portuguesa geborene Lugo war einer der Repräsentanten des venezolanischen Kinobooms in den 70er Jahren. Er war nach Europa gegangen, um die hiesigen Kulturen kennenzulernen und seine praktischen Kenntnisse zu vertiefen. Zunächst wirkte Lugo an Produktionen in Rom und Paris mit. Obwohl auch als Maler ein Naturtalent und zudem ein begnadeter Karikaturist, widmete er sich nun ganz dem Film. In der DDR studierte er Deutsch in Leipzig, ergänzte zudem seine Kenntnisse in Italienisch und Französisch und absolvierte schließlich ein vierjähriges Regiestudium an der Filmhochschule.

Im Zuge dessen entstand der Kurzfilm »Der Onkel ist tot«, der den damaligen Schauspielschüler Winfried Glatzeder in seiner ersten Hauptrolle zeigt. Roland Bischoff produzierte, Ina Meyer (später Alvermann) übernahm den Schnitt, ich die Kamera. Lugo war auch ein begabter Darsteller und spielte mehrere kleine Rollen in Produktionen des Defa-Filmstudios, darunter die eines Clowns an der Seite von Eberhard Esche und Cox Habbema in »Wie heiratet man einen König?« (Rainer Simon, DDR 1969).

Alfredo war immer ein Sympathieträger und belebte mit seinem Witz so manche Studentenparty. An einem lustigen Abend leitete er eine jubelnde Schlange von tanzenden Studenten durch die Straßen von Babelsberg. So »freudlos« war die DDR! Seine Vorliebe, mit hochgewachsenen Mitstudentinnen zu tanzen, kommentierte er gern selbstironisch: »Klein, aber wirksam.« Auch sein Ruf als Wochenendspaghettikoch war legendär. Alfredo pflegte unsere Standardstudentenspeise mit erfundenen italienischen Bezeichnungen zu servieren, z. B. als »Pasta alla sudanese con Feigen-Salsa e Hippo-Mozarella«.

Sein geplanter Diplomfilm »Tanz der Insekten« sollte eine Satire auf bürokratische Verwerfungen als allgemeingesellschaftliche Erscheinung werden. Das passte wohl nicht in jene Zeit einer rigider werdenden kulturpolitischen Atmosphäre, und die Filmhochschule verabschiedete Lugo 1968 mit einem Diplom nur für sein Drehbuch.

Zurück in Venezuela wurde Alfredo Lugo bald zu einer führenden Persönlichkeit der dortigen Filmszene. Er arbeitete als Wochenschauregisseur für Tiuna Films und widmete sich seinen Leidenschaften wie der Malerei und dem Drehbuchschreiben. Nach mehreren Kurzfilmen wie »El insólito asalto al Royal City Bank« (1971) und »Asesinato en el Bloque Uno« (1973), drehte er seinen ersten Spielfilm »Los muertos sí salen« (1976) – eine Komödie über drei heruntergekommene Musiker, die dem Geist eines Generals begegnen, der sie bei seiner Beerdigung erschreckt. Es folgte »Los tracaleros« (1977), in dem drei Kriminelle verfolgt werden, nachdem sie Zeuge des Mordes an einem Millionär geworden sind – einer der umsatzstärksten venezolanischen Filme des Jahres, mit Toco Gómez, Orlando Urdaneta und der Newcomerin Elluz Peraza in den Hauptrollen. Der beliebte Komiker Joselo übernahm die Hauptrolle in der dramatischen Komödie »El reconcomio« (1979), in der er einen einfachen Angestellten spielt, der vor der Wahl steht, ein Auto zu kaufen oder eine Operation zu bezahlen, die seine Frau vor einer unheilbaren Krankheit bewahren soll. »La hora del tigre« (1984) ist noch deutlicher eine politische Allegorie: Drei ältere Menschen fliehen aus ihrem Altersheim, weil sie glauben, dass ihr Leben in Gefahr ist. Für sein filmisches Werk erhielt Lugo 2006 den Premio Nacional de Cine de Venezuela.

Wie viele andere Künstler unterstützte Lugo die Bolivarische Revolution. Er war ein früher und begeisterter Anhänger von Hugo Chávez, arbeitete führend in der Alphabetisierungskampagne für indigene Stämme mit. Anschließend diente er der Regierung viele Jahre als Diplomat, so in Argentinien, Österreich und in Kenia. Seine letzte Filmproduktion war »Un tiro en la espalda« (2016), deren Fertigstellung mehr als 20 Jahre dauerte.

Nun ist Alfredo Lugo am 15. September 2024 im Alter von 85 Jahren in Caracas verstorben. Er hinterlässt zwei Töchter und seine Frau Laura.

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