Elite im Ring
Von Oliver RastDie 101. Auflage der Deutschen Meisterschaft der Boxelite der Männer und Frauen steht an. Vom 20. bis 23. November in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt. Veranstalter sind der Deutsche Boxsportverband (DBV) und der sachsen-anhaltinischen Boxverband. Die Meldefrist war am 28. Oktober abgelaufen. Detlef Jentsch hat die Liste zusammengestellt. 125 Athleten, 54 Athletinnen. »Eine Bestmarke bei den Frauen«, so der DBV-Sportwart im jW-Gespräch.
Aber: Im vergangenen Jahr habe die »erste Garde fast komplett gefehlt«, räumte Jentsch ein. Durchaus nachvollziehbar. Denn die Bundeskader waren bei internationalen Wettkämpfen, etwa bei Qualifikationsturnieren für Olympia 2024 in Paris. Diesmal ist es anders, in der SWH Arena in der Stadt des legendären Chemiepokals. Die Meisterschaft sei hochrangig besetzt und habe für den ausrichtenden Landesverband den größtmöglichen Stellenwert. »Das Highlight zum Jahresende«, betonte dessen Präsident Roland Wandelt.
Also beinahe alles, was aktuell Rang und Namen im deutschen olympischen Boxen hat, nimmt teil. Muss dabei sein, damit ein Pöstchen auf dem Treppchen zum Sprungbrett wird. Schließlich gehe es um die Kaderplätze im neuen Olympiazyklus, um die Aufnahme in die Riege des Nationalteams, so Jentsch. Einzelne Athletinnen und Athleten orientieren sich bereits auf die Olympischen Sommerspiele 2028 in Los Angeles. Vorausgesetzt, Boxen bleibt olympisch. Ein paar prominente Namen indes fehlen dennoch. Maxi Klötzer, Stefanie von Berge oder Silvio Schiele. Die Gründe: Turnierpausen und verletzungsbedingte Absagen. Auch dürfen nicht alle, die wollen. Es gibt Zugangsvoraussetzungen, Teilnahmebedingungen für die Deutschen Meisterschaften: Bei Frauen mindestens fünf Kämpfe, bei Männern mindestens 15 Siege. In begründeten Fällen sind Ausnahmen möglich.
Apropos Ausnahmen: Werden nicht zu viele Boxerinnen und Boxer zu früh mit zu wenigen Fights zu Meisterschaften geschickt? Stefan Köber, DBV-Bundesstützpunktleiter in Frankfurt (Oder), bemerkte kürzlich gegenüber dem Autor: »Ob die Anzahl der Kämpfe und Siege immer ausreichend ist, hängt von der Einschätzung der Trainer und Landesverbände ab und nicht zuletzt von den Fähigkeiten der Sportlerin oder des Sportlers.« Selbstredend gebe es am Ende teilweise große Unterschiede. Dennoch: Nicht wenige hätten sich gut geschlagen und teils sogar gegen Erfahrenere gewonnen. »Ringerfahrung muss eben auch gesammelt werden, denn Boxen lernt man nur durch Boxen.«
Eine, die auf ihr Elitedebüt brennt, ist die 19jährige Superschwere (plus 81 Kilogramm)Sara Gläser vom Boxclub Görzig-Fuhneland aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Bereits Mitte Oktober hatte die Nachwuchskaderathletin bei der U-22-Meisterschaft im ostbrandenburgischen Eisenhüttenstadt den Finalkampf bestritten, war aber gegen Ilvy Scheibe einstimmig nach Punkten unterlegen. Eine wichtige Lehrstunde für Gläser und Trainer Mathias Bader. Unterkriegen lasse sie sich davon nicht, sagte Gläser zu jW. Im Gegenteil. Sie wisse nun, »selbst in der U 22 stehen mir gestandene Frauen im Ring gegenüber.« Das sei ein ganz anderes Boxen als im Juniorenbereich. In Halle wird Gläser die Chance zur Revanche gegen Scheibe haben. Allerdings eine Gewichtsklasse tiefer (bis 75 Kilogramm). Ferner im Klassement: Irina Schönberger, die arrivierte dreimalige Titelträgerin. Klar, die beiden Konkurrentinnen seien ungleich erfahrener, weiß Gläser. »Doch ich habe den Willen zu siegen.« Dafür habe sie in der Vorbereitung auf vieles verzichtet und »noch mehr geackert«.
Einer der Hochkaräter bei den Deutschen Meisterschaften wird der 21jährige Superschwergewichtler Nikita Putilov (plus 92 Kilogramm) sein. Der Leipziger setzt auf »kräftigen Support von Freunden und Bekannten«, die nur eine kurze Anreise nach Halle haben werden. Das Ziel? »Ich strebe immer an, Erster zu sein, Gold zu holen, egal bei welchem Wettkampf«, sagt Putilov. Und alles andere als der Titelgewinn nach seinem ersten Meisterschaftstriumph 2022 wäre für den Doppeleuropameister und mehrfachen Worldcupsieger eine herbe Enttäuschung. Zumal einer seiner größten Kontrahenten nach Olympiabronze ins Profilager gewechselt ist: Nelvie Tiafack. Nur, welchen Stellenwert hat die Deutsche Meisterschaft für einen wie Putilov, einen, der hoch hinaus will, ganz hoch? Es stimme wohl, im Vergleich zu internationalen Topturnieren sei eine Deutsche Meisterschaft »eher zweitklassig«. Erst ein Kräftemessen mit den Besten in Europa und der Welt »ist ein echter Gradmesser«.
Das sieht der Berliner Melvin Kahrimanovic ähnlich. Der zweimalige Deutsche Meister im Schwergewicht (bis 92 Kilogramm) – jahrelang im Bundesligadress vom BC Traktor Schwerin im Seilquadrat – erwähnte gegenüber jW: Um in den USA oder England Titelträger zu werden, »musst du gefühlt neun, zehn oder mehr Fights siegreich absolvieren.« Hierzulande reichen zumeist zwei, drei.
Ein Trend fällt Kahrimanovic aber auf: Die Leistungsdichte nehme in Deutschland zu, besonders bei höheren Limits. Das ändert nur noch nichts am Befund: »Wir hinken den Landesmeistern der großen Boxnationen weiterhin oftmals hinterher.« Und die Deutsche Meisterschaft? Macht er mit? Nein. »Mir fehlt für das olympische Boxen ehrlich gesagt die Motivation.« Einen neuen Reiz habe er gesucht. Und gefunden: Wechsel in den professionellen Boxzirkus – wie Tiafack.
Trotz des schmerzlichen Abgangs des neuen Profiduos ist die Deutsche Meisterschaft der Männer und Frauen laut DBV »eines der größten und prestigeträchtigsten Sportevents Deutschlands«.
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