Gegen die offizielle Kunst
Von Matthias Reichelt»Die Veranstaltung lässt jegliche Verantwortung gegenüber Volk und Reich vermissen«, urteilte Adolf Ziegler als Vizepräsident der Reichskulturkammer in einem Brief vom 3. August 1936 über die Jahresausstellung »Malerei und Plastik in Deutschland« des Deutschen Künstlerbunds (D. K. B.) in Hamburg. Dieser war 1903 auf Initiative von Harry Graf Kessler unter Beteiligung namhafter Künstler, unter anderen Max Liebermann und Lovis Corinth, gegen die wilhelminische Kunst- und Kulturpolitik gegründet worden und wollte alle Künstlerinnen und Künstler der wesentlichen Strömungen vereinen. Bei Harry Graf Kessler findet sich folgender Tagebucheintrag vom 19. Januar 1903: »Liebermann und Simmel sagten mir jeder für sich fast mit denselben Worten, der Zweck müsse sein, dass die paar Kulturmenschen, die unter den Barbaren lebten, sich organisierten. Vor allem gegen die offizielle Kunst, gegen die Siegesallee.«
Drei Jahre später notiert Kessler am 1. Juni 1906 über die Jahrespräsentation des Verbands: »Das Interessanteste in der Ausstellung das Bild eines ganz jungen Künstlers, der zum ersten Mal ausstellt: Max Beckmann, Nackte Jungen am Strande« (heute bekannt unter dem Titel »Junge Männer am Meer«, jW). Der unbedeutende Adolf Ziegler dagegen, der als »Meister des Schamhaars« verspottet wurde, zählte mit seinem frühen Beitritt zur NSDAP 1929 zu den Lieblingsmalern der NS-Entourage und avancierte dort zum NS-Kulturfunktionär, der gegen die Moderne wütete und sie 1937 in der Ausstellung »Entartete Kunst« diffamierte. War die Hamburger Jahresausstellung des Deutschen Künstlerbunds 1936 noch vom Präsidenten der Reichskulturkammer genehmigt worden, so wetterte Ziegler, damals nur Vizepräsident, als Scharfmacher so lange gegen die Schau, bis sie geschlossen werden musste. Mit seinem oben erwähnten Brief ordnete er die »Selbstauflösung« der ersten deutschen Künstlervereinigung noch im selben Jahr an. Sie erfolgte Ende November 1936.
Zwischen der Machtübergabe an die NSDAP am 30. Januar 1933 und dem erzwungenen Ende der Künstlervereinigung drei Jahre später hatte es bereits auf Druck der Nazis diverse, vor allem personelle »Anpassungen« gegeben, was letztlich nichts nützte. Das Ende einer Künstlervereinigung, der solche Antipoden wie Arno Breker und Otto Dix angehört hatten, und in der »ein jeder nach seinem Glauben selig werden könne«, wie es Max Liebermann in seiner Rede zur Gründung des Bundes zum Ausdruck brachte, war dem NS-Regime nicht nur wegen der jüdischen Künstler und Künstlerinnen, die bis zur Auflösung bereits ausgeschlossen worden waren, sondern auch wegen seiner programmatischen Offenheit ein Dorn im Auge. Nichtsdestoweniger gab es Mitglieder des Künstlerbundes, die sich wie sein letzter Vorsitzender Georg Kolbe in der NS-Zeit anpassten. Karl Albiker, Kurt Lehmann und Edwin Scharff traten sogar der NSDAP bei und profitierten mit öffentlichen Aufträgen. Die Geschichte des Deutschen Künstlerbundes, vor allem mit einem Fokus auf seine Neugründung nach dem Krieg, zeigt nun eine maßgeblich mit Skulpturen bestückte Ausstellung im Kunsthaus Dahlem, dem Atelier für NS-Bildhauer Arno Breker, das dieser aufgrund der sich nähernden Kriegsfront nicht mehr bezog.
Gleich 1946 hatte der Maler Karl Hofer angeregt, den Künstlerbund neu zu gründen, was mit Genehmigung der Alliierten erst 1950 erfolgen konnte. Die durch die Leiterin des Kunsthaus Dahlem initiierte Ausstellung zeigt Werke der 1950 beigetretenen Künstlerinnen und Künstler, darunter auch Hans Uhlmann, der als Kommunist Widerstand geleistet hatte und dafür 1934 zu anderthalb Jahren Haft verurteilt worden war. Gleich nach Machtübergabe an die Nazis, noch im Februar 1933, hatte er seine Anstellung an der TU Berlin verloren und musste zusammen mit Jeanne Mammen das klägliche Auskommen über einen fahrbaren Bücherkarren in den Nebenstraßen des Ku’damms verdienen.
Den Widerspruch zwischen der Einbindung einiger Mitglieder des Künstlerbunds in das NS-System und Widerstand anderer »löste der D. K. B. intern nie auf«, wie Kuratorin und Leiterin des Kunsthauses Dahlem, Dorothea Schöne, im begleitenden Katalog ausführt. In den fünfziger Jahren erschütterte die Debatte über Abstraktion als Ausdruck der Moderne versus Figuration den Verband. Abstraktion war auch durch die CIA-Kulturpolitik gegen den Realismus in Stellung gebracht worden und fand in dem Kunstkritiker Will Grohmann einen heftigen und mächtigen Vertreter. Hans Uhlmann und andere verließen den Verband mit Kritik an der Jurierung und weil sie die abstrakte Kunst nicht genügend gewürdigt sahen.
Merkwürdigerweise wurde die Ausstellung im Kunsthaus Dahlem ohne Beteiligung des Deutschen Künstlerbunds organisiert, obwohl die Leiterin den Verband vor über einem Jahr ausdrücklich dazu eingeladen hatte. Die Vorstandssprecherin des D. K. B., Maria Linares, teilte gegenüber der jungen Welt mit, dass der Vorstand eine Beteiligung mangels Kapazität abgelehnt habe. Manche Mitglieder sehen das anders. Somit sind die Videointerviews Sonya Schönbergers für ihr Langzeitprojekt »Berliner Zimmer« mit Ursula Sax, Else Gabriel und Frank Michael Zeidler, Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Generationen im D. K. B., leider die einzigen aktuellen Beiträge eines Mitglieds aus dem Verband. Bei der Ausstellungseröffnung war es Ulrike Flaig, Künstlerin und Mitglied des D. K. B., die in einer Performance unter anderem deutliche Kritik an der Nichtbeteiligung des Deutschen Künstlerbunds übte.
»Bilder und Zeiten – 75 Jahre Deutscher Künstlerbund«, Kunsthaus Dahlem, Berlin, bis 2.3.2025
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