Aus eigener Kraft
Von Knut MellenthinAlbanien hat zwei direkt aufeinander folgende Nationalfeiertage. Der Unabhängigkeitstag erinnert an den 28. November 1912, als das Land während des ersten Balkankrieges seine Unabhängigkeit vom türkisch-osmanischen Reich erklärte, von dem es mehr als 400 Jahre lang beherrscht worden war. Der Tag der Befreiung wird begangen, weil sich am 29. November 1944 die letzten Einheiten der deutschen Wehrmacht aus Albanien zurückzogen. Einen Tag vorher hatte die am 22. Oktober 1944 gebildete Demokratische Regierung Albaniens, an ihrer Spitze der Parteichef der Kommunisten, Enver Hoxha, die Macht in der Hauptstadt Tirana übernommen. Am 10. Januar 1946 wurde offiziell die sozialistische Volksrepublik Albanien proklamiert. Nach deren Beseitigung im Dezember 1990 wurde zunächst auch der Tag der Befreiung abgeschafft. Inzwischen ist der 29. November wieder ein Feiertag, wird aber von konservativer und prowestlich-liberaler Seite immer noch in Frage gestellt und angefeindet, weil er von der Linken »vereinnahmt« werde.
Loch in der Front
Ohne den Kampf der albanischen Partisanen unter Führung der Kommunistischen Partei gegen die deutsche Besatzung zu schmälern, ist sachlich festzustellen, dass die Vertreibung der Wehrmacht aus Albanien hauptsächlich eine Folge der großräumigen Entwicklung auf den ost- und südosteuropäischen Kriegsschauplätzen in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 war. In der letzten Augustwoche wechselte das bis dahin mit Deutschland verbündete Rumänien die Seite. Dadurch entstand ein »riesiges Loch in der Front«, wie es in den internen Einschätzungen des Oberkommandos der Wehrmacht hieß. Am 9. September 1944 folgte der Abfall Bulgariens. Die starken bulgarischen Streitkräfte, mehr als 450.000 Mann, agierten daraufhin gemeinsam mit den von Tito geführten Partisanen und der Roten Armee auf jugoslawischem Boden. Am 20. Oktober 1944 wurde Belgrad befreit.
Durch die mit dem Umsturz in Rumänien eingeleitete militärische Entwicklung drohte die Abschneidung der Verbindungen zur deutschen Heeresgruppe E, die in Griechenland und Albanien stationiert war. Am 5. September 1944 begann daher die »planmäßige Räumung« des griechischen Peloponnes. Am 3. Oktober folgte der Befehl zum vollständigen Abzug der Wehrmacht aus Griechenland und Albanien. Die Kampfhandlungen der albanischen Partisanen konzentrierten sich im Interesse der alliierten Kriegführung in dieser Zeit darauf, den Rückzug des Gegners zu stören und ihm maximale Verluste beizubringen. Der Ausbruch aus dem eingeschlossenen Tirana gelang den deutschen Truppen erst nach tagelangen Kämpfen.
Von zentraler Bedeutung für das albanische Selbstbewusstsein über mehrere Jahrzehnte war die Tatsache, dass das Land sich aus eigener Kraft befreit hatte. Mit Ausnahme von ganz kleinen US-amerikanischen, britischen und sowjetischen Militärmissionen für die Kommunikation und die Koordinierung von Hilfslieferungen befanden sich keine alliierten Soldaten auf albanischem Territorium.
Albanien als Ganzes genommen war, als es 1912 seine Staatlichkeit erlangte, das wirtschaftlich und gesellschaftlich rückständigste Gebiet Europas mit der schwächsten Struktur. Die Grenzen in Südosteuropa, das bis ins 19. Jahrhundert hinein unter der Herrschaft des türkisch-osmanischen Reichs gestanden hatte, waren zum Teil umstritten. Albanische Nationalisten beanspruchten das zu Serbien und nach dem Ersten Weltkrieg zu Jugoslawien gehörende Kosovo, griechische Nationalisten wollten den Süden Albaniens »zurückgewinnen«, die Definition Makedoniens ist bis heute ungeklärt, und auch Bulgarien hatte weitreichende Territorialvorstellungen.
Italienische Herrschaft
Italien, wo sich seit 1922 die Faschisten als führende Kraft durchgesetzt hatten, griff am 7. April 1939 Albanien an. Mussolinis Truppen besetzten das Land fast ohne auf Widerstand zu stoßen. Nachdem Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte, wollte Mussolini Albanien als Basis zur Unterwerfung Griechenlands nutzen. Nach Ablehnung eines Ultimatums begannen die italienischen Streitkräfte am 28. Oktober 1940 den Krieg. Niederlagen führten dazu, dass Mussolini um deutsche Unterstützung bitten musste. Die Wehrmacht griff ein, und das besiegte Griechenland wurde in eine italienische, deutsche und bulgarische Besatzungszone geteilt, während Italien in Albanien die einzige Besatzungsmacht blieb.
Nach dem Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943 schloss die neue Regierung in Rom am 3. September einen Waffenstillstand mit den Alliierten, der am 8. September bekanntgegeben wurde. Die Wehrmacht begann daraufhin zwei Tage später nach einem schon früher ausgearbeiteten Plan (»Fall Achse«) mit der schnellen Gefangennahme und Entwaffnung der italienischen Streitkräfte. Die deutschen Truppen begingen dabei zahlreiche Verbrechen, darunter Massaker an ganzen Einheiten.
Der äußeren Form nach wurde Albanien ein unabhängiger Staat mit eigener Regierung, Verwaltung, Polizei und Militär, der am 16. Oktober 1943 seine »Neutralität« erklärte. Die großalbanisch ausgerichtete, konservative bewaffnete Widerstandsbewegung Balli Kombëtar, die Großgrundbesitzer und reiche Kaufleute repräsentierte, stellte sich nach dem Ende der italienischen Besatzung auf die Seite der von Deutschland protegierten Regierung in Tirana und ging praktisch zur Kollaboration über. Das verstärkte die Hegemonie der Kommunisten im bewaffneten Widerstand.
Die KP Albaniens war, im internationalen Vergleich spät, erst im November 1941 gegründet worden. Unter ihrem Ersten Sekretär Enver Hoxha, zum Zeitpunkt der Parteigründung 36jährig, wurde sie Initiatorin und führende Kraft der Nationalen Befreiungsbewegung, die sich im September 1942 bildete, und der seit Juli 1943 unter dem Namen Nationale Befreiungsarmee auftretenden Partisanen. Hoxha wurde ihr Oberkommandierender. Die Befreiungsarmee widerstand der Welle von »Säuberungsaktionen«, die die deutsche Wehrmacht und ihre Kollaborateure zwischen November 1943 und Februar 1944 durchführten, und weitete danach ihr Einflussgebiet aus. Ihre Kampfstärke soll im Frühjahr 1944 bei über 30.000 Mann gelegen haben. Am 24. Mai 1944 fand in der südalbanischen Kleinstadt Përmet ein Delegiertentreffen statt, auf dem erstmals eine provisorische Regierung gewählt wurde, die schließlich ihre Ablösung durch die Demokratische Regierung unter Hoxha fand.
Außergewöhnliche Solidarität
Albanien (…) zählte eine Bevölkerung von 803.000 Einwohnern. Darunter waren nur 200 Juden. Nachdem Hitler 1933 die Macht in Deutschland übernommen hatte, fanden viele Juden Zuflucht in Albanien. (…) Verschiedene Quellen gelangen zu der Einschätzung, dass zwischen 600 und 1.800 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich, Serbien, Griechenland und Jugoslawien nach Albanien kamen, in der Hoffnung, von hier aus nach Israel oder an andere Fluchtorte zu gelangen.
Nach der Besetzung Albaniens durch die Deutschen im Jahr 1943 weigerte sich die Bevölkerung Albaniens in einem außergewöhnlichen Akt, die Anweisungen der Besatzer zu befolgen und ihnen Listen mit den Namen der Juden auszuhändigen, die unter ihnen lebten. Darüber hinaus versorgten verschiedene staatliche Einrichtungen viele jüdische Familien mit gefälschten Papieren (…). Die Albaner schützten nicht nur ihre eigenen jüdischen Bürger, sondern gewährten auch jenen Flüchtlingen Zuflucht, die nach Albanien gekommen waren, als es noch unter italienischer Herrschaft stand, und die nun in der ständigen Gefahr lebten, in Konzentrationslager deportiert zu werden.
Albanien, ein europäischer Staat mit einer muslimischen Mehrheit, brachte zuwege, woran andere europäische Länder scheiterten. Alle Juden, die während der deutschen Besatzung innerhalb der Staatsgrenzen Albaniens lebten, und zwar albanische Staatsbürger ebenso wie Flüchtlinge, wurden – bis auf einige Mitglieder einer einzigen Familie – gerettet.
(Von der Website der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Israel)
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