Vernetzter Weltgeist
Von Barbara EderDas Jahr 1971 wurde die erste E-Mail von einem Computer des US-amerikanischen Unternehmens Bolt, Beranek and Newman (BBN) über den Internetvorläufer Arpanet versendet. Ray Tomlinson, Ingenieur bei BBN, entwickelt dafür eine Software zum Austausch von Nachrichten zwischen Computern. Er führte auch das @-Zeichen ein, um Benutzer- und Domainname voneinander zu trennen. 1968 hatte das BBN den Auftrag erhalten, das Arpanet aufzubauen. So entstand zuerst das Protokoll Cpynet, das Dateien zwischen Computersystemen übermitteln konnte. Später kam Sndmsg hinzu, mit dem man die ersten virtuellen Postfächer erstellen konnte.
Bei Cpynet und Sndmsg handelt es sich um proprietäre Software, die von BBN für den internen Gebrauch entworfen wurde. Das Network Control Protocol (NCP) – ein Netzwerkprotokoll zum Verbindungsaufbau über Wählleitungen – fand bereits im Kontext erster Arpanet-basierter Local Area Networks (LANs) Verwendung. Anfang der 1970er Jahre entwickelten Vinton Cerf und Robert Kahn das Kommunikationsprotokoll TCP, gefolgt vom Internet Protocol (IP). 1973 wurden sie zum TCP/IP-Stack fusioniert und zehn Jahre später für das Betriebssystem UNIX adaptiert. 1983 lief bereits das gesamte Internet auf TCP/IP-Basis. Seither können Rechner über die Begrenzungen lokaler Teilnetze hinweg kommunizieren – vorausgesetzt, der Zugang dazu ist nicht reglementiert.
Erst ist den 1990er Jahren wurde das Internet einem breiteren Personenkreis zugänglich, ermöglicht durch kommerzielle Provider. Die hatten gegen Restriktionen von Regierungsbehörden und Wissenschaftsorganisationen zu kämpfen. Per Zugriff auf einen IP-Backbone des alternativ zu den staatlich finanzierten Diensten Arpanet und Nsfnet aufgebauten Alternet wurde eine breitenwirksamere Partizipation möglich. Seither könnte das Internet viel mehr sein als eine globale Datenautobahn unter der Hegemonie US-amerikanischer Anbieter. Ein freier Zusammenschluss autonomer Server nämlich oder sogar vom eignen Wohnzimmer aus betrieben. Rund zehn Jahre nach der Öffnung entstanden jedoch die ersten mit der Regulation des neuen Freiraums befassten Institutionen: Seitdem koordiniert die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, kurz: ICANN, die weltweite Vergabe von IP-Adressen und schafft so die Voraussetzungen dafür, dass ein Server im Internet überhaupt verfügbar ist. Mit der Etablierung des Domain Name Systems (DNS) im Jahr 1986 waren erste kommerzielle Domain-Anbieter aufgetaucht, die Namensauflösung einer mit einer Domain verknüpften IP-Adresse erfolgt seit 1983 über das DNS.
Noch bevor Mitglieder des Chaos Computer Clubs von Hamburg aus das BTX-System der Deutschen Bundespost irritierten, wandte der IT-Vordenker Günther Leue sich hierzulande gegen das staatliche Monopol im elektronischen Briefverkehr. Im Jahr 1984 hebelte er mit einem juristischen Kniff das Endgerätemonopol der Deutschen Post aus und machte den privaten Betrieb von Mailbox-Vorläufern zu einer legalen Angelegenheit. Leue bewies, dass man Gesetze hacken konnte, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen, und gründete den »Verein zur Förderung der Telekommunikation«. Da das Recht auf Versammlungsfreiheit über dem Fernmelderecht rangierte, war sein per Telemodem erreichbares Computernetz nicht länger illegal. Sein Geonet war ein Instant-Messaging-Dienst, die dafür nötigen Netzknoten existierten zuerst nur in Deutschland und Österreich, später in England, Polen und den USA. Von Beginn an tummelten sich auch blinde Teilnehmer in diesem Netz, für Braillezeilennutzer war das auf wenigen Befehlen basierende Fernkommunikationssystem wie geschaffen.
Mailserver fungieren dieser Tage als elektronische Postämter der Gegenwart. Die Programme und Protokolle, die im Hintergrund des E-Mail-Postfachs wirken, haben bis heute keine Eigentümer. Sie werden quelloffen entwickelt und sind damit für alle zugänglich und frei modifizierbar. Die dabei zur Anwendung kommenden Kommunikationsprotokolle garantieren auch dort Verbindungen, wo Staat und Markt sie nicht länger gewährleisten. In Mailservern vollzieht sich der Transfer von virtuellen Schriftstücken in einem abgesicherten Datenkanal. Die Sendeleistung ist – anders als bei Brieftauben – nicht durch einen vermeintlichen Triebdeterminismus bestimmt; was zählt, sind statt dessen die Kapazitäten des Hard Drive. Dass am Ende alles ankommt, ist dennoch nicht immer garantiert: »Dead.letter« ist der Name jener Nachricht, die nach dem ersten fehlgeschlagenen Sendeversuch im Maildir-Verzeichnis der Systemadministratorin landet. Das Entziffern dieser Botschaft zählte zur Aufgabe einer unsichtbaren Arbeiterin im Hintergrund.
Mit den ausgefeilten Suiten von Postfix – als Mail Transfer Agent – und Dovecot – dem zustellenden Dienst im Mailserver – ließe sich der elektronische Postverkehr dieser Tage erneut in eigene Hände nehmen. An den Ports sorgen TLS- und Starttls-Zertifikate für den abgesicherten Transfer. Bei ausgehenden E-Mails kommt das Send Mail Transfer Protocol (SMTP) zur Anwendung, bei eingehenden das Internet Message Access Protocol (IMAP). Die leeren Botschaften von Max Mustermann durchlaufen dabei dieselben Ports wie die von politischen Verfolgten, ein freier E-Mail-Client legt vor dem Abruf sein Gefieder schützend über sie. In der Open-Source-Variante heißt er Thunderbird, am Desktop symbolisiert durch einen Donnervogel in Comicform. Das dazugehörige Icon zeigt einen gefiederten Boten, der einen Brief fest an seine Brust presst.
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