Nahverkehr steht still
Von Max OngsiekWer den öffentlichen Nahverkehr in Berlin kennt, verdrückt erst einmal eine Träne, wenn er von einem Auswärtigen gefragt wird, wie zufrieden er denn mit der Qualität von Bus und Schiene in der Hauptstadt ist. Zum Weinen ist auch jene Gegebenheit, über die der Tagesspiegel am Donnerstag berichtete. Weil die Deutsche Bahn (DB) in Berlin über zu wenige geeignete Abstellgleise verfüge, lasse sie ihre ICE-Züge »durch und um« Berlin fahren. Dieses bizarre Prozedere sei nicht nur besonders kostspielig, sondern binde auch dringend benötigtes Zugpersonal für die Fahrten am Tag. Insidern zufolge sollen die Züge sogar den Berliner Außenring »umkreisen«, um so die Zeit bis zum Morgen »zu überbrücken«, betont die Zeitung. Gelegentlich sollen die Züge auch stehenbleiben, einfach um so die »Fahrzeit zu verlängern«.
Die DB selbst schiebt ihre Verkehrsprobleme regelmäßig auf Geldmangel und die marode kaiserzeitliche Infrastruktur. So äußerte sie sich im September zu ihrem geplanten Sanierungskonzept: »Unsere schlechte betriebliche Lage auf der Schiene bekommen Fahrgäste und auch Mitarbeitende täglich zu spüren. Die finanzielle Lage der DB führt zu hohen Verlusten und zu steigender Verschuldung.« Mit Hilfe dieses wundersamen Sanierungsprogramms soll dann bis 2027 nicht nur der »Wachstumspfad unserer Strategie ›Starke Schiene‹«, sondern »die Trendwende« für »unsere Kunden« erreicht werden, damit »dieses Land die Bahn« bekommt, »die es verdient«.
Doch wie und wann will man diese ominöse Trendwende erreichen? Blickt man auf das am Montag von »Allianz pro Schiene«, BUND und dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) veröffentlichte Mobilitätsbarometer, so wird deutlich, dass mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland bei der Anbindung an Bus und Bahn »keine positive Veränderung« wahrnehmen. Jeder dritte sei darüber hinaus »unzufrieden« mit den Möglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs am Wohnort. Die Ergebnisse des Mobilitätsbarometers zeigen im übrigen »sehr deutlich, dass die Menschen mehrheitlich nicht die Entfernung zur nächsten Haltestelle als Problem empfinden, sondern die als zu selten empfundenen Abfahrten an einer Haltestelle«. Ein bizarres Bild: In Berlin fahren ICE-Züge sinnlos im Kreis und anderswo hadern Pendler mit der unbefriedigten Taktung des Bahnverkehrs.
Das Mobilitätsbarometer betont außerdem, dass der Anteil derjenigen, die sich vom ÖPNV abgehängt fühlen, besonders in ländlichen Regionen wie Sachsen-Anhalt (48 Prozent), Niedersachsen und Brandenburg (beide 45 Prozent) verortet sind. In den Augen der ÖPNV-Nutzer sei zudem kaum Verbesserung bei der Anbindung erkennbar. So habe sich für 68 Prozent der Befragten »der angebotene Takt« in den vergangenen fünf Jahren nicht verändert, »für 15 Prozent sogar verschlechtert«.
Für Dirk Flege, Geschäftsführer der »Allianz pro Schiene«, ist das Deutschland-Ticket der Schlüssel zur erfolgreichen Verkehrswende: »Die Politik muss das Ticket für die Zukunft sichern und gleichzeitig das Angebot spürbar verbessern. Und da klaffen Anspruch und Wirklichkeit insbesondere im ländlichen Raum weit auseinander. Aus der Befragung lässt sich ein Auftrag an die Politik ableiten, mit den Erwartungen der Menschen Schritt zu halten und ein besseres Angebot bereitzustellen.« Statt aber ihre Infrastrukturprobleme in den Griff zu bekommen, verliert sich die Bahn in Maßnahmen wie der geplanten »Abschaffung gedruckter Ankunftspläne in Bahnhöfen«, über die Agenturen wie AFP am Donnerstag berichteten. Die Bahn wolle so »hohe Kosten« einsparen, außerdem sei der »Verzicht auf Papier und Druck« umweltfreundlich, wie eine Bahn-Sprecherin erklärte.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Peter S. aus Berlin (29. November 2024 um 10:55 Uhr)Sehr schöne Schilderung der Folgen einer auf kurzfristigen Profit ausgerichteten Fehlplanung des DB-Konzerns. Wie da spektakulär fehlgeplant wurde, lässt sich heute noch gut auf Luftbildern des Berliner S-Bahnhofs Johannistal bewundern, der noch bis vor wenigen Jahren »Betriebsbahnhof Schöneweide« hieß – sollte da eine Erinnerung ausgelöscht werden? Denn an diesem Ort befinden sich die Überreste einer riesigen Abstellanlage für Züge, die aber entkernt wurden und teilweise an Immobilienentwickler verkauft. Dort ist immer noch Platz zum Abstellen von ICE-Zügen – aber jetzt leider nicht mehr nutzbar. Es konnte ja auch niemand ahnen, dass einmal so viele Züge auf den Gleisen gebraucht würden – nicht wahr, liebe Planer der DB? Dem Straßenverkehr gehörte doch die Zukunft?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (28. November 2024 um 20:18 Uhr)Wie umweltfreundlich wäre ein Verzicht auf Stuttgart 21 gewesen? … und dann noch zehn Milliarden Euro gespart.
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