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Aus: Ausgabe vom 29.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Punk

Walzer nix gut

Glückwunsch! Seit 40 Jahren bleiben Die Goldenen Zitronen »Für immer Punk«. Höchste Zeit für eine »Inventur«
Von Norman Philippen
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Diese Menschen sind halbwegs ehrlich: Die Goldenen Zitronen

Einmal ist den Toten Hosen zu danken, für die 1986 mit den Goldenen Zitronen (DGZ) gespielten Konzerte nämlich: Noch bevor 1987 das DGZ-Debüt »Porsche, Genscher, Hallo HSV« erschien, bestärkten die Düsseldorfies die Timmendorfer Strandjungs Ale Sexfeind und Schorch Kamerun sowie den Stuttgarter Ted Gaier darin, dass sie schnauzbärtige Bundeswehr-Soldaten und ähnliches nicht zu ihrem Publikum zählen wollten und sollten. Für rheinländischfrohe Geselligkeiten mit ungemochten Menschen, und seien es potentielle Fans, sahen sich DGZ weder gewappnet noch gewillt. Was aber zu machen sei, um funpunkaffine Pfeifen von den Konzerten fernzuhalten, ohne selbst allzu unpunkig zu geraten, legte sich erst Jahre später näher.

Bevor mit dem pünktlich zur zweiten »Punk-Explosion« veröffentlichten vierten Album »Das Bißchen Totschlag« (1994, Sub-Up) andere musikalische Pfade beschritten wurden, ging es erst einmal mit »Kampfstern Mallorca dockt an« (Weser Label, 1988) funpunkig weiter. Das folgende »Fuck You« (Vielklang, 1990) galt auch der Bravo, die damals nach Nachfolgern der Ärzte suchte und deren Angebote im Sinne von »Punkrock« (Vielklang, 1991) abgelehnt wurden. Anstatt die von der 1988 zwischenzeitlich aufgelösten Berliner Band hinterlassene Lücke zu füllen, veröffentlichten die Zitronen lieber ihr einziges straightes Punkalbum. Freilich, um das Genre fortan hinter sich zu lassen und zu der Band zu werden, die vielen Leuten auch außerhalb des Feuilletons als die letzte eigentliche linksradikale Punk-Band im Lande gilt. Waren DGZ zehn Jahre zuvor mit dem Anspruch angetreten, »Punk im Punk« zu sein und die männerbündischen, durch das Aufkommen des Hardcore puritanisch erstarrenden Szenen sowohl musikalisch als auch modisch zu hintertreiben, verfolgen sie diesen Ansatz im Grunde um so konsequenter, seit sie von Techno über Free Jazz bis Disco alles, nur keinen Punk mehr spielen.

Statt auf Parolen setzten die Zitronen schon zu Beginn lieber auf Dada. Um Haare und Härte war es ohnehin nie gegangen, nun ging es um so mehr um Haltung. Etwa gegenüber den Pogromen in den Nachanschlussjahren, die DGZ nicht unkommentiert lassen konnten. Als sich das Label Vielklang weigerte, die Single »80 Millionen Hooligans/Die Bürger von Hoyerswerda und anderswo« zu pressen, wechselte man konsequenterweise zu Sub-Up. Schließlich konnte, was man dann »Hamburger Schule« oder (später und schlimmer) »Diskurs-Punk« zu nennen begann, sich nicht den Mund verbieten und von gesellschaftlich brisanten Diskursen ausschließen lassen. Sehen sich DGZ doch seit 30, wenn nicht schon seit nun 40 Jahren, »einfach zuständig für die Widersprüchlichkeiten von gesellschaftlichen Zuständen (…) entsprechend der Ästhetik von Nervosität«, wie das Ted Gaier in der Dokumentation »Golden Lemons« (2003) ausdrückt. Ein Zuständigkeitsbereich, den auch das Label Buback abdeckt, das 1987 von Gaier sowie dem DGZ-Gründungsmitglied Ale Sexfeind ins Leben gerufen wurde und seitdem recht erfolgreich durchs Land schallt und agitiert.

Wobei Erfolg selbstverständlich relativ ist, zumal er durchs karrierelange Ausschlagen karrierefördernder Angebote nicht eben forciert wurde. Ob sich DGZ nicht doch ein bisschen geärgert haben, als sie ziemlich zugleich mit ihrer Abkehr vom Punk 1994 feststellten, dass sich damit plötzlich gut verdienen ließ, ist nicht bekannt. »Die Existenz versucht doch zu schauen, wo sie steht«, hat Schorsch Kamerun einmal eingeräumt. Was aber existieren will, findet dazu Wege. Die ihren führten Kamerun und Gaier etwa ans Theater, wo beide seit den 2000er Jahren komponieren und musizieren. Auch hier, versteht sich, stets mit der altbewährten DGZ-Haltung, die der »Zweiter-Bildungsweg-Marxist« Gaier einmal so beschrieb: »Seit ich Musik mache, was seit 1981 ist, sehe ich mich immer in Abgrenzung zu dem, was Rockbusiness ist. Es ist immer die Bestrebung dagewesen, Sachen anders zu machen, als man sie macht. (…) Der Antrieb, neue Platten zu machen, ist ja eigentlich immer der Versuch, ’ne zeitgenössische Aussage zu machen, ästhetisch und textlich.« Was seit 13 Platten ganz gut gelingt. Sei es auch längst nicht mehr als Punk-Band, dann eben und immer noch als Punk im Punk, wie zuletzt als zeitgenössisch anachronistisches »linksradikales Disco­ensemble« (Kristof Schreuf). Auch als solcherart vermeintlich widersprüchliches Arrangement lassen sich triftige Diagnosen stellen und manches dem gesamtdeutschen Diskurs vorwegnehmen. So überspitzt etwa die Gleichstellung von Geflüchteten und Handelsware im Song »Wenn ich ein Turnschuh wär« (auf »Lenin«, Buback 2009) auch auf manch Zeitgenossen 2005 gewirkt haben mag, als so stimmig erwies sich die Metapher doch spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 ff.

Dafür, dass die Goldenen Zitronen seit nunmehr 40 Jahren »eine Band (sind), die scheinbar das Gefühl hat, intervenieren zu wollen« (Kamerun), seien sie an dieser Stelle einmal herzlich beglückwünscht. Wer ihnen ein Geschenk machen mag, könnte sich übrigens mit den drei Platten plus 24 Postern der heute erschienenen »Inventur (1984–2024)« beschenken. Seine Abgrenzung gegenüber dem, was Rockbusiness ist, verrät damit bestimmt niemand.

Die Goldenen Zitronen: »Inventur (1984–2024)« (Buback)

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