Antimilitaristisch bleiben
Von Ellen BrombacherAuf der 22. Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform (KPF) in der Partei Die Linke hielt die KPF-Bundessprecherin Ellen Brombacher am 30. November ein Referat zur Lage der Partei nach den Austrittserklärungen der fünf Berliner Abgeordneten Klaus Lederer, Elke Breitenbach, Sebastian Scheel, Carsten Schatz und Sebastian Schlüsselburg. Wir dokumentieren das Referat an dieser Stelle in gekürzter Fassung. (jW)
Wir haben in unserer Erklärung vom 21. Oktober 2024 »Eingeleitete Kurskorrektur konsolidieren« eine vorsichtig positive Einschätzung des Halleschen Parteitages vorgenommen, die wir heute nicht wiederholen wollen. An dieser Bewertung ändert der Austritt derjenigen, die ihre politische Heimat im Netzwerk »Progressive Linke« hatten, nichts. Es kommt wohl nur bei wenigen Genossen gut an, wenn man einen Parteitag verlässt, weil der eigene Antrag nicht unverändert geblieben ist. Es kommt nicht gut an, wenn man beim Hinausgehen der auf dem Parteitag verbleibenden großen Mehrheit den Mittelfinger zeigt, wie in Berlin am 11. Oktober geschehen. Und es dürfte auch nicht auf allzuviel Verständnis stoßen, dass ein kulturvoll erstrittener, mit großer Mehrheit angenommener Nahostkompromissantrag mit Parteiaustritten beantwortet wird. Dass die betreffenden Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses ihre Mandate nicht zurückgeben wollen, dürfte ebenso auf großes Unverständnis stoßen. Wurde doch erst kürzlich, im Kontext mit dem Austritt von Alexander King – jetzt BSW –, beschlossen, dass Mandate zurückzugeben sind, wenn man der Partei den Rücken gekehrt hat.
Manche mögen sich jetzt einen großen Streit wünschen, in dem die Ausgetretenen doppelter Standards bezichtigt werden. Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht. Die fünf und weitere sind gegangen. Niemand hat sie dazu aufgefordert. Doch nun sind sie weg. Keiner in der Linken sollte ihnen helfen, parteilos weiter in der Partei und in der Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses Stimmung machen zu können, indem wir uns auf die von Lederer und anderen gewollten Debatten einlassen.
Nicht über den Stock springen
Der auf dem Halleschen Parteitag gefasste Beschluss »Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus« ist frei von Antisemitismus. Kritik an der barbarischen Kriegführung der Netanjahu-Regierung ist nicht antisemitisch, und Kritik am Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 ist weder antipalästinensisch noch antimuslimisch. Wer mit dieser nur scheinbar widersprüchlichen Feststellung nicht leben kann, hat sich nicht einen Moment mit der tiefen Tragik des Nahostkonflikts befasst. Und wer mehr als 40.000 tote Palästinenser in Gaza mit dem 7. Oktober 2023 faktisch rechtfertigt, der sollte zumindest einen Moment lang über seine Vorstellungen von Menschlichkeit nachdenken. Dennoch: Über diese Fragen kann sachlich geredet werden, unter der Voraussetzung, dass niemand unter den Diskutierenden das Leid der eigentlich Betroffenen instrumentalisiert.
Ein Vergleich sei erlaubt: Die PDS und später Die Linke war nie völlig frei von Antikommunisten und auch nicht von Mitgliedern, die – oft ohne es zu wollen – besonders in Geschichtsdebatten Äußerungen machten, die antikommunistisch gefärbt waren. Doch niemals waren wir eine antikommunistische Partei. Und ebenso war unsere Partei nie antisemitisch verfasst. Das wissen auch diejenigen, die uns Antisemitismus vorwerfen. Sie wollen uns vielmehr eine nicht endende Debatte zu diesem so schmerzlichen Thema aufzwingen, um uns dann jede unqualifizierte, oft dumme und in Einzelfällen auch antisemitisch gefärbte Formulierung einzelner Linke-Mitglieder zuvörderst in den sozialen Medien vorzuhalten, verbunden mit dem empörten Aufschrei, sie hätten es ja immer schon gesagt. Wir können uns dann entscheiden, ob wir unglaubwürdig Dummheiten verteidigen oder schweigen. In beiden Fällen helfen wir denen, die unsere Partei als antisemitisch denunzieren. Wir können Fairness nicht erzwingen, aber wir können bestimmen, auf welche Diskussionen wir uns einlassen.
Ein Beispiel aus dem Jahr 2013. Selbst die schlimmsten Prügeleien der Polizei vermochten es nicht, der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration den Garaus zu machen. Nun sollte die Demonstration gespalten werden. Sie wurde als »stalinistisch« denunziert, mit der Begründung, auf der Demo würden Stalinbilder getragen. Ja, es gab im Rahmen der Demonstrationen, an denen seinerzeit jährlich zwischen 12.000 bis 15.000 Linke teilnahmen, zwei oder drei Stalin-Bilder, und die MLPD zum Beispiel war und ist nicht bereit, darauf zu verzichten. Die Relation von fünfstelligen Teilnehmerzahlen und nicht einmal einer Handvoll Bilder interessierte die Spalter nicht, und so riefen sie zu einer die »wahren Werte« der undogmatischen Linken vertretenden Gegenveranstaltung auf. Hinter den Aufrufenden stand schon damals nicht zuletzt Klaus Lederer. Im Demobündnis kam es zu kontroversen Diskussionen. Die einen meinten, wir sollten uns der Auseinandersetzung offensiv stellen. Aber damit meinten nicht alle von ihnen dasselbe. Anderen vertraten die Auffassung, gerade darauf legten es die Spalter an, und deshalb sollten wir auf ihre Angriffe nicht reagieren und statt dessen alles für eine optimale Mobilisierung tun. Das war die Position der Mehrheit. Wir haben die Spalter nicht einmal als Spalter bezeichnet. Wir ließen sie hetzen und arbeiteten an der Mobilisierung. Das Resultat: Die LL-Demo war stärker als in den Jahren zuvor, und auf der Gegenveranstaltung waren nicht einmal 500 Teilnehmer. Man muss nicht über jeden hingehaltenen Stock springen, und zumindest die KPF wird sich nicht auf eine Endlosdiskussion über das Thema Antisemitismus einlassen. Wir weichen der Problematik nicht aus, aber wir lassen uns von niemandem am Nasenring durch die antideutsche Manege führen.
Kardinalfrage: Waffenlieferungen
Der zweite Grund für die Austritte sei, dass in der Partei »eine sachlich-inhaltliche Klärung« der Zusammenhänge um den Ukraine-Krieg »aktuell nicht mehr möglich« ist. Worum geht es Lederer und den anderen? Sie wollen keinerlei Diskussion über die Vorgeschichte dieses Kriegs, keine Erwähnung der wortbrüchigen NATO-Osterweiterung, des geopolitisch folgenreichen Maidan-Putsches, der russischen Sicherheitsinteressen und gerade in diesem Kontext schon gar keine Erinnerung an das vom deutsch-faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion erzeugte, tiefsitzende Trauma. Wir müssen hingegen offen sagen, dass es geschichtsvergessen ist anzunehmen, dass nach diesem grauenhaften Morden des deutschen Faschismus in der Sowjetunion die NATO-Osterweiterung nicht als Bedrohung wahrgenommen werden muss. Von 16 NATO-Mitgliedern zur Zeit der Auflösung des Warschauer Vertrages wuchs die Zahl auf 36, fast alle Länder, die nach 1990 beitraten, liegen in Osteuropa. Dort werden jährlich Großmanöver mit bis zu 50.000 Mann abgehalten. Wie soll Russland das wohl bewerten?
Kriegsvorbereitung geht stets mit der Entmenschlichung des potentiellen Gegners einher. »Jeden Tag aufregendere Nachrichten über die russischen Kriegsvorbereitungen gegen Deutschland.« Das schreibt Victor Klemperer am 24. August 1936 in sein Tagebuch. Und am 5. August 1936: »Interessant war mir und charakteristisch für den Kleinbürger die Angst vor Russland. (…) Sie nehmen alles in Kauf aus Angst vor Russland.« Fünf Jahre später überfiel Hitler die Sowjetunion. Heute soll Deutschland bis 2029 kriegstüchtig werden. Wie die Dinge sich gleichen! Wir müssen uns dem Russenhass ebenso entgegenstellen wie jeder Art von Volksverhetzung. Auch das ist Friedenskampf, den wir im Bündnis mit der Friedensbewegung wesentlich stärker als bisher auf der Straße führen müssen.
Die Ausgetretenen wollen natürlich keine Debatte über den Maidan-Putsch und die bewusste Ignorierung des Minsker Abkommens. Sie wollen die Herauslösung dieser und weiterer Ereignisse aus den historischen Zusammenhängen, um es all denen, die in der Linken programm- und beschlusswidrig Waffenlieferungen in die Ukraine fordern, leichter zu machen. Für uns bleibt die Frage, ob Die Linke Waffenlieferungen in die Ukraine, wo mittlerweile ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO stattfindet, ablehnt oder befürwortet, die entscheidende. Wir sind nicht bereit, den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine entkontextualisiert zu bewerten und seinen geopolitischen Charakter zu leugnen. Diese Position haben wir bereits auf dem Berliner Landesparteitag im April 2022 vertreten – und Elke Breitenbach brüllte damals schon, wir sollten vom Mikro gehen.
Wenngleich Jan van Aken sich auf dem Halleschen Parteitag und danach eindeutig gegen Waffenlieferungen ausgesprochen hat, möchten wir auf Äußerungen eingehen, die er am 23. August in einem ND-Interview machte: »Beim Thema Ukraine zum Beispiel gibt es nicht die einfache Antwort. Nicht jeder, der für Waffenlieferungen ist, ist gleich ein Kriegstreiber, und nicht jede, die dagegen ist, gleich Putin-Freundin. (…) Die wichtige Frage ist gar nicht ›Waffenlieferungen ja oder nein?‹ sondern: Wie kommst du zu Diplomatie?« Weiterhin: »Da ist noch nicht alles versucht worden, deshalb bin ich gegen Waffenlieferungen. Ich bin aber auch dagegen, die Waffenlieferungen abrupt zu stoppen und zu sagen, jetzt ist Frieden, die Ukraine muss ihr verlorenes Land abgeben.«
Doch, liebe Genossinnen und Genossen, die Frage »Waffenlieferungen – ja oder nein?« ist die wichtige, ja, die entscheidende. Und nicht diejenige, wie Befürworter oder Ablehner von Waffenlieferungen tituliert werden. Es geht auch nicht, gegen Waffenlieferungen zu sein, ohne sie übergangslos – ein anderes Wort für abrupt – zu stoppen. Wir werden uns der Diskussion stellen müssen, ob nicht die wiedergegebene Position einleuchtend und unsere dogmatisch sei. Ja, es klingt schlüssig zu sagen, nicht die Frage der Waffenlieferungen sei wesentlich, sondern die, wie man zur Diplomatie komme. Diese scheinbare Plausibilität verdeckt aber eine gewaltige Leerstelle bezüglich dialektischer Parteipraxis. Wenn es in Anbetracht der Programm- und Beschlusslage nicht legitim ist, Waffenlieferungen zu fordern, und zugleich erklärt wird, Programmwidrigkeit sei nicht so wichtig, dann geht es weiter wie bisher. Dass Menschen in der Friedensfrage wissen wollen, woran sie sind, ist durch die Wahlerfolge des BSW durchaus belegt.
Als Kommunisten in der Linken bleiben wir dabei: Wir verteidigen das Parteiprogramm und aktuelle Beschlusslagen. Wir werden in bevorstehenden programmatischen Debatten keinen Deut von den derzeit programmatisch geltenden friedenspolitischen Grundsätzen abweichen. Die immer wieder aufgestellte Behauptung, das im Jahr 2011 beschlossene Parteiprogramm sei durch die Zeit überholt, entspricht deshalb nicht den Realitäten, weil eineinhalb Jahrzehnte später die im Programm fixierten friedenspolitischen Prinzipien aktueller denn je sind. Wer das heute in Frage stellt, verbirgt die eigentliche Absicht. Die besteht darin, der NATO zukünftig verteidigungspolitische Legitimität nicht länger abzusprechen und sich zur Westbindung der BRD zu bekennen. Damit aber verlöre Die Linke weitgehend ihren antimilitaristischen Charakter. Zumindest der alte Parteivorstand wollte die Partei schon einmal entsprechend orientieren. Davon zeugte der Umgang mit dem Antrag »Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik«. Dieses sich ohne Wenn und Aber gegen das Wiedererstarken des deutschen Militarismus richtende Papier sollte durch einen Ersetzungsantrag politisch enorm entschärft werden. Es sei daran erinnert: Der Ersetzungsantrag erhielt nicht die erforderliche Mehrheit und der ursprüngliche ebenfalls nicht.
Deutsche Verbrechen
Ist also nichts geschehen? Hätten wir es auch lassen können mit dem von uns initiierten, sehr breit getragenen Antrag? Nein, es war absolut richtig, ihn so, wie er war, zu stellen. Erstens, weil er breit getragen wurde. Zweitens, weil vierzig Prozent Zustimmung für unseren Antrag bei sehr vielen neuen, jungen Delegierten keine Kleinigkeit sind. Drittens, weil die Positionen des alten Parteivorstandes auch keine Mehrheit fanden. Und viertens, weil der Ersetzungsantrag entlarvend war. So fiel den weitgehenden Streichungen auch folgende Textstelle zum Opfer:
»Der deutsche Militarismus hat im vergangenen Jahrhundert maßgeblich nicht nur unseren Kontinent zweimal ins Verderben gestürzt. Sowohl im Zusammenhang mit dem Ersten als auch dem Zweiten Weltkrieg sahen die hierzulande Herrschenden in der militärischen Gewalt das wichtigste Mittel zur Lösung außenpolitischer Fragen. Das kostete im Ersten Weltkrieg mehr als 15 Millionen Menschen das Leben. Der deutsche Faschismus machte den deutschen Militarismus zu einer unfassbar grausamen, chauvinistischen Ausgeburt des Völkerhasses und des Völkermords. Sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden wurden industriell ermordet. Eine halbe Million Sinti und Roma fielen dem Völkermord zum Opfer, und 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion überlebten den Vernichtungskrieg Hitlerdeutschlands nicht. Insgesamt kamen im Zweiten Weltkrieg mehr als 65 Millionen Menschen um.«
Warum soll an die in zwei Weltkriegen vom deutschen Militarismus begangenen monströsen Verbrechen nicht erinnert werden? Warum nicht an die mörderische Symbiose von Militarismus und Faschismus? Warum nicht an den Zusammenhang von Krieg und Völkermord? Gedankenlosigkeit? Wohl kaum. Wir haben es vermutlich vielmehr mit folgendem Denkmuster zu tun: In unserer Gegenwart gibt es Demokratien. Da haben die Guten das Sagen. Zu denen gehört das geläuterte Deutschland. Dann gibt es die Autokratien. Da haben die Bösen das Sagen. Zu denen gehören Russland und China. Blöderweise sind diese Länder in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von zwei heute lupenreinen Demokratien, Deutschland und Japan, grauenhaft massakriert worden. Beide lupenreinen Demokratien müssen sich derzeit kriegstüchtig machen, weil ihre damaligen Opfer sie jetzt massiv bedrohen. Das wird uns jedenfalls von morgens bis abends erzählt.
Wir müssen ohne Wenn und Aber aussprechen, dass der deutsche Militarismus nicht nur in der Geschichte den Weltfrieden bedroht hat, sondern auch gegenwärtig in der NATO an Kriegsvorbereitungen arbeitet. Wir müssen sagen, dass zur Herstellung deutscher Kriegstüchtigkeit, die regelmäßig von deutschen Politikern und der Bundeswehr-Generalität gefordert wird, nicht zuletzt die ideologisch-psychologische Kriegsvorbereitung gehört. Auch in diesem Punkt kann der deutsche Militarismus unserer Tage an beängstigende Traditionen anknüpfen. Manfred Weißbecker schrieb in der jW vom 31. August 2024 anlässlich des 85. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges:
»Einen entscheidenden Beweis für die unter den Deutschen vorherrschende Kriegsfurcht, eine fehlende Kriegswilligkeit, hatte Hitler ein knappes Jahr zuvor selbst geliefert. Erhalten blieb der Text einer Rede, die er am 10. November 1938 vor rund 400 Pressevertretern gehalten hatte. Diese Rede darf als ein enthüllendes und die Nazis bloßstellendes Schlüsseldokument gelten. In ihrem Mittelpunkt stand ›die Aufgabe einer langsame(n) Vorbereitung des deutschen Volkes‹ auf einen Krieg. Offenherzig bekannte Hitler, ›jahrzehntelang fast nur vom Frieden‹ geredet zu haben, weil ›nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten‹ eine Aufrüstung möglich gewesen sei. Weiter heißt es: ›Es ist selbstverständlich, dass eine solche jahrzehntelang betriebene Friedenspropaganda auch ihre bedenklichen Seiten hat; denn es kann nur zu leicht dahin führen, dass sich in den Gehirnen vieler Menschen die Auffassung festsetzt, dass das heutige Regime an sich identisch sei mit dem Entschluss und dem Willen, den Frieden unter allen Umständen zu bewahren.‹«
An diesem 10. November ging von 1.400 deutschen Synagogen und Gebetsräumen noch der Brandgeruch aus. Tausende jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe waren am 9. November 1938 gestürmt und zerstört worden. 300 jüdische Menschen hatten sich in der Pogromnacht das Leben genommen, 30.000 wurden in Konzentrationslager deportiert. Auch das – und nicht zuletzt das – war Kriegsvorbereitung. Der Krieg gegen andere Länder beginnt stets im Innern; gegen all jene, die zu Feinden erklärt, die von der Propaganda entmenschlicht werden. Egal, ob sie widerständig sind, wie Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter oder Christen, oder ob sie einfach nur zu Gegnern gemacht werden – in diesem Falle aus sogenannten rassischen »Gründen«. Heute tut sich das bürgerliche Parteienspektrum, dem Takt der AfD folgend, gegen Menschen mit Migrationshintergrund zusammen. Die Wucht der hasserzeugenden Propaganda ist so gewaltig, der Diskurs in Deutschland derart rassistisch aufgeheizt, dass eine generelle ausländerfeindliche Stimmung etabliert ist. Die geht einher mit hemmungsloser Verbreitung von Russenhass.
Soll das alles ein Vergleich der Bundesrepublik mit dem Reich Hitlers sein? Natürlich nicht. Das wäre eine Verharmlosung des deutschen Faschismus. Andererseits scheuen wir uns nicht zu sagen: Der deutsche Militarismus ist kein anderer geworden. Die Rüstungsschmiede Rheinmetall, stellvertretend für alle genannt, ist keine andere geworden. Deutsche Kriegstüchtigkeit war nie defensiv und wird es auch zukünftig nicht sein.
Verstaatlichter Bombenbau
Im Zusammenhang mit den Debatten über eine Verharmlosung der NATO sei noch auf eine weitere Argumentationslinie verwiesen. So fixiert Martin Schirdewan im ND vom 20. August 2024, wie er sich den künftigen Umgang mit den friedenspolitischen Grundsätzen der Linken vorstellt. Tatsächlich stehe Die Linke spätestens jetzt vor einer Richtungsentscheidung. Die Frage sei: »Nehmen wir als moderne linke Partei die Herausforderungen einer krisenhaften Weltordnung an und wollen sie glaubwürdig gestalten, oder versuchen wir, ihnen aus dem Weg zu gehen?« In wahlentscheidenden Fragen, so Schirdewan, wirkten wir abstrakt oder naiv. Wir müssten auch sehen, wofür die Linke nicht gewählt wurde. Da stehe die Außenpolitik (sic!) ganz oben. Wir blieben, so Schirdewan weiter, bei unseren Grundwerten – auch friedenspolitisch –, müssten diese aber »politisch wirksam, konzeptionell glaubwürdig und uns weniger angreifbar machen«. Glaubwürdig werde Die Linke, wenn sie die Bedrohung durch Putins Regime als real betrachtet und die Notwendigkeit der Abschreckung akzeptiert. Davon leite sich eine linke Vision einer eigenständigen EU-Sicherheitspolitik ab – statt weiter im Windschatten der USA zu segeln. Schirdawan fordert ein plausibles Sicherheitskonzept jenseits des Dogmatismus: strikt auf Landesverteidigung und Nichtangriffsfähigkeit verpflichtete EU-Armeen. Mittelfristig, so sein Fazit, brauchten wir Abschreckung, und damit sich kein militärisch-industrieller Komplex mehr an Konfrontation und Eskalation bereichern kann, soll die Rüstungsindustrie verstaatlicht werden.
Eine verstaatlichte Rüstungsindustrie? Irrwitzige Vorstellung. Rheinmetall-Chef Papperger liefe Gefahr, sich totzulachen, läse er das ND. EU-Armeen, die strikt auf Landesverteidigung und Nichtangriffsfähigkeit verpflichtet sind? Nur Österreich und die Inselstaaten Irland, Malta und Zypern sind nicht in der NATO. Will Schirdewan die NATO-Verpflichtungen – also die BRD-Staatsräson – mal eben außer Kraft setzen, oder existiert sie gar nicht mehr, weil er dieses aggressive Bündnis im gesamten Artikel nicht einmal erwähnt? Gibt es für ihn die Bedrohung der EU durch, wie er es nennt, »Putins Regime«, nicht aber die Bedrohung Russlands durch die komplette Einkreisung seiner und der belarussischen Westgrenzen durch die NATO? Wir sind – gemeinsam mit vielen andern – überzeugt: Ohne diese wortbrüchige Einkreisungspolitik und die Bereitschaft, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, gäbe es den Ukraine-Krieg wohl nicht. So schreiben Günter Verheugen und Petra Erler in ihrem Buch »Der lange Weg zum Krieg: Russland, die Ukraine und der Westen – Eskalation statt Entspannung«, man müsse Russland »legitime Sicherheitsinteressen« zugestehen – »und ja, damit ist auch die Ausdehnung der NATO bis vor Russlands Haustür gemeint, deren Bedrohlichkeit der Westen partout nicht anerkennen möchte«. Und an anderer Stelle heißt es bei Verheugen und Erler: »So wie Russland völkerrechtswidrig den Krieg wählte, um nationale Ziele zu erreichen, wählten USA, NATO und EU die Kriegsverlängerung, um politische Interessen durchzusetzen. Die Ukraine fügte sich dem Spiel. Damit folgt der Krieg seinen eigenen Regeln der Eskalation.«
Wir wiederholen: Ja, Russlands Ukraine-Krieg ist völkerrechtswidrig. Wir scheuen uns nicht, das auszusprechen. Vielmehr scheuen sich manche führende Linke-Mitglieder, über die Ursachen dieses Krieges zu sprechen. Und sie scheuen sich, darüber nachzudenken, welche durch geschichtliche Erfahrungen gerade mit dem deutschen Militarismus ausgelösten Traumata bis in die heutige Generation hinein prägend sind: in allen früheren Sowjetrepubliken, gerade unter Russen und in Belarussland. Und die Menschen dort erleben nun erneut deutschen Hass, der verschwunden schien, der im Osten, wie immer noch zu bemerken ist, auch weitgehend verschwunden war, und dessen Verbreitung nun, angeblich wegen des Einmarsches der Russen in die Ukraine, wieder fröhlich Urständ feiert.
Die US-Army konnte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges machen, was sie wollte: in Korea, in Vietnam, im Irak, in Afghanistan und sonstwo noch. Sie konnte die mörderischsten Putsche mitorganisieren, wie zum Beispiel in Indonesien und in vielen lateinamerikanischen Staaten. Zu keinem Zeitpunkt wurde in den BRD-Medien Hass gegen die USA gesät, wurden US-amerikanische Sportler von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen oder Wirtschaftssanktionen verhängt. Und weil das so ist und weil wir nicht geschichtsvergessen sind, stellen wir uns der Russophobie und jeglichem Geschichtsrevisionismus konsequent entgegen. Dazu gehört auch, dass wir offen sagen: Wir halten es für Kriegspropaganda, Russland zu unterstellen, es bereitete einen Angriff auf Deutschland vor. In Anbetracht der deutschen Geschichte sind derartige Unterstellungen mehr als perfide.
Ellen Brombacher veröffentlichte an dieser Stelle zuletzt am 9. Mai 2022 ihr Referat von der 21. Bundeskonferenz der KPF.
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