Ach, Sie suchen Streik?
Von Susanne KnütterDie Hallen waren leer. Die Produktion stand still. 95 Prozent der Belegschaft haben die Arbeit niedergelegt, schätzte Lars Hirsekorn, Volkswagen-Betriebsrat vom Braunschweiger Achsenwerk, am Montag im Gespräch mit jW. In den anderen VW-Werken sah es ähnlich aus. Trotzdem meldete die Deutsche Presseagentur mittags bloß: »mehr als Zehntausend bei VW im Warnstreik«. Tatsächlich aber streikten allein in der Frühschicht in Wolfsburg schon Zehntausende, wie Jan Mentrup von der IG Metall Niedersachsen gegenüber jW versicherte. Am Nachmittag meldete die IG Metall dann mehr als 65.000 Streikende in allen deutschen Werken.
Ob die Arbeiter für den Vorschlag der IG Metall vor die Werkstore traten? »Fifty-fifty«, schätzt Hirsekorn. Die IG Metall hatte in den vorangegangenen Tarifverhandlungen angeboten, für die kommenden zwei Jahre auf Tariferhöhungen zugunsten eines Zukunftsfonds zu verzichten. Aus dem Topf solle bei Arbeitszeitverkürzungen dann ein Lohnausgleich finanziert werden. Für die Beschäftigten in den Tochtergesellschaften ist das jedenfalls keine Option. Ihnen gehe die Lohnforderung von sieben Prozent schon nicht weit genug, erläuterte Hirsekorn. Ein Staplerfahrer bei Volkswagen Group Services in Braunschweig verdiene etwa 16,30 Euro die Stunde. Die meisten Beschäftigten bei der Logistiktochter bezögen Wohngeld. Wenn sie Kinder haben, müssten sie noch zum Amt – aufstocken, erklärte der Gewerkschafter. Die Kollegen schmerze auch der Lohnausfall infolge des zweistündigen Warnstreiks. Trotzdem: Auch hier sei die Beteiligung groß gewesen.
Hintergrund für die Streiks am Montag ist die Volkswagen-Tarifrunde, die in diesem Jahr im Schatten radikaler Kürzungspläne seitens des Managements steht. Zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen waren die Beschäftigten aller VW-Werke und Tochtergesellschaften, die unter den VW-Tarifvertrag fallen. Für jeweils zwei Stunden in jeder Schicht. Der heutige Ausstand an fast allen Standorten schmerze Volkswagen, sagte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger in Wolfsburg. »Aber das ist nur eine Warnung!« Sollte Volkswagen weiter auf seinen Maximalforderungen bestehen, drohe eine weitere Zuspitzung. »Wer die Belegschaft ignoriert, spielt mit dem Feuer.« In Zwickau erklärte der dortige IG-Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze: »Wir werden erbittert kämpfen um jeden Arbeitsplatz.« Mit seiner Sparankündigung vor drei Monaten habe der Vorstand den »Laden Volkswagen angezündet«. Jetzt »brennt dieser Laden lichterloh«.
Das Volkswagen-Management ist kein »Sozialpartner« mehr. Diese neue Realität scheine die Gewerkschaft allmählich zu akzeptieren, glaubt Hirsekorn. Das bleibt abzuwarten. Daniela Cavallo, die VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende, veranschaulichte in ihrer Rede vor den Streikenden in Wolfsburg zwar den Widersprich zwischen Kapital und Arbeit und verwies auf die riesigen Summen, die die Großaktionäre Porsche und Piëch allein in den vergangenen zehn Jahren erhalten hätten. Dafür müsse eine Facharbeiterin rund 100.000 Jahre arbeiten, sagte Cavallo. Ein grundsätzliches Problem schien sie mit solcher Bereicherung aber nicht zu haben. Aus ihr sprach lediglich die zahme Forderung, dass bei stotternder Gewinnmaschine doch bitte alle, nicht nur die Kolleginnen und Kollegen, ihren Beitrag leisten sollten.
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