Doktor gegen Doktor
Von Reinhard Lauterbach, PoznańIn Polen stehen die Hauptkandidaten für die Präsidentschaftswahl im kommenden Mai fest. Für die die Regierung prägende »Bürgerkoalition« von Premierminister Donald Tusk tritt der Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski an. Es ist sein zweiter Anlauf nach einer hauchdünnen Niederlage gegen Andrzej Duda von der PiS im Jahr 2020. Trzaskowski hatte sich vor wenigen Tagen in einer parteiinternen Vorwahl gegen Außenminister Radosław Sikorski durchgesetzt. Dieser argumentierte, Trzaskowski sei ein Schönwetterkandidat, er hingegen eigne sich eher für die aktuellen »schwierigen Zeiten«. Das Argument zog nicht; die 28.000 an der Vorwahl teilnehmenden Parteimitglieder statteten Trzaskowski mit einer Dreiviertelmehrheit für die Nominierung aus.
Für das im Oktober 2023 abgewählte Wahlbündnis unter Führung der PiS, die »Vereinigte Rechte«, steht die Fortdauer ihrer Blockademöglichkeit mit Hilfe eines von ihr gestellten Staatspräsidenten auf dem Spiel. Nach monatelangen Gerüchten zog PiS-Chef Jarosław Kaczyński jetzt einen offiziell parteilosen »Bürgerkandidaten« aus dem Hut: den Chef des antikommunistischen Instituts für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN), Karol Nawrocki. Die Entscheidung ist insofern aufschlussreich, als sich Kaczyński für einen Kandidaten entschied, der nicht persönlich für die Leistungen – und Affären – von acht Jahren PiS-Regierung verantwortlich gemacht werden kann.
Die rechten Medien im Land sprechen Nawrocki – »Bürgerkandidat« hin oder her – konsequent mit »Dr. Karol Nawrocki« an, was das regierungsnahe Fernsehen TVN veranlasste, regelmäßig auch Trzaskowskis Doktortitel zu beschwören. Im übrigen hat ein lustiges Stöbern in alten Studienbüchern begonnen. Denn noch in der Endphase der PiS-Regierung war in Polen bekanntgeworden, dass eine ganze Reihe von Parteikadern auf die Schnelle in einer obskuren Privathochschule namens »Collegium Humanum« MBA-Titel erworben hatte, um so die formale Qualifikation für Posten in den Aufsichtsräten von staatlichen und kommunalen Unternehmen zu erhalten. Mit der Besonderheit, dass das Studium in vielen Fällen nur auf dem Papier stand und es reichte, dem Rektor des »Collegium Humanum« ein paar tausend Euro in die Hand zu drücken, um den begehrten Titel zu bekommen.
Inzwischen stellt sich heraus, dass die Pseudohochschule nicht nur Politiker der »Vereinigten Rechten« zu ihren Kunden zählte: Der Oberbürgermeister von Wrocław, Jacek Sutryk, ein Protegé Tusks, führt ebenfalls einen MBA-Titel des »Collegiums«. Und das tusknahe Magazin Newsweek Polska grub aus, dass auch Sejmmarschall Szymon Hołownia versucht habe, dort sein im ersten Anlauf abgebrochenes Psychologiestudium abzuschließen – ohne freilich an einer einzigen Lehrveranstaltung teilzunehmen. Der Krieg der Diplome ist mehr als eine Lächerlichkeit, weil Hołownia ebenfalls Präsident werden und im Wählerreservoir der zwischen »Bürgerkoalition« und PiS Unentschiedenen fischen will. Zumindest könnte das die Absicht hinter der Recherche im Bildungsgang Hołownias gewesen sein.
Inhaltlich ist von Trzaskowski bisher nicht viel zu hören. Er will offenbar warten, bis der Sejmmarschall am 8. Januar offiziell den Wahlkampf eröffnet. »Dr. Karol Nawrocki« nimmt sich diese Zeit nicht: Er tourt schon jetzt durchs Land und tritt bei Veranstaltungen der Leserklubs der rechten Postille Gazeta Polska vor zumeist vollen Sälen auf. So am Montag abend in der südpolnischen Stadt Bielsko-Biała. Dort zog er, begleitet von einer fiedelnden Trachtenkapelle, ein und verteilte Handküsse an die anwesenden Damen meist vorgerückten Alters. Seine Reden stellt er unter die Parole »Damit Polen Polen bleibt« und plädierte für die Aufrechterhaltung des Religionsunterrichts in den Schulen im bisherigen Umfang von zwei Wochenstunden und gegen ein neues Schulfach namens »Gesundheitserziehung«, hinter dem die Rechte den Versuch wittert, »unsere Kinder zu sexualisieren«.
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