Fetzenfliegen an Friteusen
Von Oliver RastEs ist nicht nur eine Stilfrage: Gourmand oder Glouton, Feinschmecker oder Vielfraß? Es ist zugleich eine Charakterfrage. Wie beim kulinarischen Selbstdarsteller, Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder. Der CSU-Vorsitzende beißt beim PR-Date mit dem Deutschlandchef von McDonald’s in einer Münchner Filiale am Dienstag kräftig in eine Art Nahrungsergänzungsmittel, in einen »McRib«. Söders Bekenntnis auf Instagram: »#söderisst auch gerne Fast Food. Schon seit jungen Jahren.« Ernährungsexperten sehen das wohl. Und: Stil- wie charakterlos finden den Auftritt des bayerischen Landesherrn Aktive der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) am Mittwoch gegenüber jW.
Auch deswegen: Die NGG ist mit dem Bundesverband der Systemgastronomie (BdS) im Tarifclinch. Seit Monaten ergebnislos. Am Montag dann der Abbruch der Gespräche während der vierten Verhandlungsrunde seitens der Gewerkschaft. Der Grund: »Das Magerangebot der Arbeitgeberseite«, so NGG-Verhandlungsführer Mark Baumeister am Mittwoch im jW-Gespräch. Denn BdS-Hauptgeschäftsführer Markus Suchert habe das vorliegende Angebot »um ganze fünf Cent erhöht«. Für die unteren drei Tarifgruppen auf 13,12 bis 13,18 Euro pro Arbeitsstunde, geht aus der BdS-Tischvorlage mit der Entgelttabelle hervor, die jW vorliegt. Übrigens, Mindestlohnerhöhung samt Abstandsklausel von aktuell 20 Cent haben die Verbandsbosse nonchalant eingerechnet – ein Taschenspielertrick, um das Lohnplus aufzuwerten. Baumeister: »Völlig inakzeptabel.« Zumal bis zu drei Viertel der Kollegen in der Systemgastronomie Geringverdiener sind. Hinzu komme, dass in der stark migrantisch geprägten Branche seit 2008 immer weniger ausgebildet wird.
Was fordert die NGG? Einen Einstiegslohn von 15 Euro pro Stunde für die unterste Tarifgruppe, 500 Euro mehr im Monat für alle Tarifbeschäftigten ab der zweiten Tarifgruppe und eine höhere Ausbildungsvergütung. Ferner eine Einmalzahlung von 500 Euro für NGG-Mitglieder – und nicht zuletzt einen größeren Abstand zum Mindestlohn.
Der BdS behauptete am Montag, die NGG blockiere einen Tarifabschluss. An den Verhandlungstisch solle die Gewerkschaft zurückkehren, forderte Suchert. Gegebenenfalls sei nun ein Schlichtungsverfahren anzustreben. Das lehnt Baumeister ab. Schließlich hätten die Konfliktparteien zunächst ein verhandelbares Zwischenergebnis zu erarbeiten. »Das ist ihre Aufgabe, das ist ihre Pflicht.«
Klar ist, die NGG muss Druck aufbauen. Deshalb bereiteten Gewerkschafter für die kommende Woche Aktionen in mehreren Städten vor, erfuhr jW. Wo genau, bleibt aber noch Verschlusssache, auch Ort und Termin einer bundesweiten Großaktion Anfang nächsten Jahres. Denn der Clinchpartner BdS ist mächtig: Der Kapitalverband vertritt mehr als 830 Mitgliedsunternehmen in rund 3.000 Restaurants mit 120.000 Beschäftigten. Neben McDonald’s etwa Burger King, Nordsee, KFC und ECP/Areas.
Unterstützung für die NGG kommt von Ines Schwerdtner. Ein Einstiegsgehalt von 15 Euro sei »objektiv überfällig«, wurde die Kovorsitzende von Die Linke am Dienstag in der Frankfurter Rundschau zitiert. Schlimm, »dass eine Gewerkschaft das überhaupt fordern muss«. Das sieht Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, am Mittwoch gegenüber jW ähnlich. Die Unternehmensführer der Systemgastronomie seien im Vergleich zu weiteren Niedriglohnbranchen »nicht bereit, die Tariflöhne aus dem Mindestlohndelta herauszuführen«. Damit behielten McDonald’s & Co. ihr Schmuddelimage. »Zu Recht!«
Stimmt, denn dieser gastronomische Bereich boome vielerorts, ergänzte Sebastian Riesner, Geschäftsführer der NGG-Region Berlin-Brandenburg, gleichentags auf Nachfrage dieser Zeitung. In Ballungszentren jedenfalls, in Innenstadtbezirken der deutschen Hauptstadt. Es lohne sich also wirtschaftlich. Deshalb: »Löhne rauf!«
Vielleicht passiert das auch, mickrig – und als taktisches Manöver. Ein Verdacht aus NGG-Kreisen: Die Chefs von Söders Lieblingsschnellrestaurant setzen das BdS-»Magerangebot« für ihre Fastfoodkette um. Preschen vor, weitere Branchenriesen folgen. Um Gewerkschaft und Belegschaften kaltzustellen. Stil- und Charakterfrage in der Systemgastronomie? Ja, auch. Vor allem aber: eine Machtfrage.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- 10.09.2024
Oben soll’s ohne gehen
- 30.03.2017
Zu nah am Mindestlohn
- 30.04.2015
Von den USA lernen
Mehr aus: Inland
-
»Schutztruppe« für Kiew
vom 05.12.2024 -
Kanzler empfiehlt Wohnungsbau
vom 05.12.2024 -
Verwahranstalt Kita
vom 05.12.2024 -
»Die Kürzungen haben Auswirkungen für alle«
vom 05.12.2024 -
High Noon bei VW
vom 05.12.2024