Finale um Mercosur
Von Volker HermsdorfTrotz der Proteste von Landwirten in Frankreich, Belgien, Polen und Deutschland ist am Freitag beim Mercosur-Gipfel in Montevideo das Freihandelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur und den 27 EU-Staaten unterzeichnet worden. Ein Indiz, dass die Unterzeichnung erfolgen würde, war die Anreise von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, deren Sprecherin noch am Montag versichert hatte, dass sie nicht an dem Gipfel teilnehmen werde. Doch nach dem Sturz der Regierung in Paris, die dem Abkommen kritisch gegenüberstand, nutzte sie offenbar die Gunst der Stunde, um die sowohl in Südamerika als auch in Europa beanstandeten Vereinbarungen unter Dach und Fach zu bringen.
Der Widerstand geht jedoch weiter. Angesichts der absehbaren Unterzeichnung rief der größte französische Bauerndachverband FNESA zu »zivilem Ungehorsam« auf. Der zweitgrößte Verband, die Coordination rurale, kündigte an, gemeinsam mit belgischen Landwirten die Grenze zwischen Frankreich und Belgien zu blockieren. Während das Büro des französischen Präsidenten Emmanuel Macron die vorläufige Einigung beider Seiten als »inakzeptabel« kritisierte, warf Manon Aubry, die Kovorsitzende der Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament, der gestürzten Regierung vor, die Landwirte nicht genug zu unterstützen. Macron habe zu spät versucht, das Abkommen zu blockieren. »Er ist seit sieben Jahren an der Macht und tut nichts«, erklärte Aubry. Auch in Polen hält sich der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen. Sein Land werde es »in dieser Form nicht akzeptieren«, versicherte Regierungschef Donald Tusk am Dienstag vergangener Woche. Die Regierung begründete ihre Ablehnung mit der Sorge um die Ernährungssicherheit im Land und den Protesten polnischer Bauern, die – wie die Landwirte anderer EU-Länder – eine Flut von billigen Lebensmittelimporten fürchten. Im Gegensatz zu Frankreich und Polen besteht Deutschland mit Verweis auf seine besonders exportabhängige Wirtschaft auf einen Abschluss – auch gegen EU-internen Widerstand. Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass Kommissionschefin von der Leyen »das volle Mandat« habe, das Abkommen abzuschließen. »Und das solle sie nutzen«, erklärte Baerbock laut Tagesschau.de.
Da Donald Trump mit Zöllen droht und China die EU in Lateinamerika längst vom ersten Platz als Handelspartner verdrängt hat, erhoffen sich Berlin und Brüssel dadurch den Zugang zu wichtigen Rohstoffen in den Mercosur-Ländern. Dort befinden sich unter anderem die weltweit größten Vorkommen von Lithium, das für die Akkus von E-Autos, Mobiltelefonen und Laptops gebraucht wird. Durch das Abkommen sollen außerdem Zölle auf 90 Prozent der Waren entfallen, die EU-Firmen in den Mercosur liefern. Da über das Abkommen bereits seit mehr als 25 Jahren verhandelt wird und einer 2019 erreichten Grundsatzeinigung jahrelange Nachverhandlungen folgten, drängt jetzt vor allem die deutsche Automobilindustrie auf einen schnellen Abschluss. Am Donnerstag erklärte nun Uruguays Außenminister Omar Paganini, dass man sich auf einen Text geeinigt habe, der nur noch von den Staats- und Regierungschefs der Gründungsländer Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay genehmigt werden müsse. »Wir haben die Möglichkeit, einen Markt mit 700 Millionen Menschen zu schaffen. Die größte Handels- und Investitionspartnerschaft, die die Welt je gesehen hat«, gab sich Ursula von der Leyen auf X euphorisch. Schnell geht es trotzdem nicht.
Nach der formellen Einigung müssen die Texte in die Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt und als Gesetzesentwürfe formuliert werden. Unklar ist, ob nur bestimmte oder alle Teile des Abkommens einstimmig gebilligt werden müssen, oder eine Mehrheit der EU-Staaten genügt, um es endgültig zu verabschieden. Die Umsetzung der politischen Vereinbarung zwischen den Handelsblöcken, einschließlich neuer Regeln für grenzüberschreitende Investitionen, könnte zudem die Zustimmung der nationalen Parlamente aller 27 EU-Mitgliedstaaten erfordern, was die Konflikte in einzelnen Ländern erneut anheizen dürfte.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (7. Dezember 2024 um 12:42 Uhr)Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo eine Einigung mit den Mitgliedsstaaten des Mercosur erzielt, die den Weg für ein Handelsabkommen ebnen soll. Ziel des Abkommens zwischen der EU und vier lateinamerikanischen Staaten ist es, der angeschlagenen europäischen Wirtschaft neue Impulse zu verleihen. Ob es tatsächlich zur Umsetzung kommt, bleibt jedoch ungewiss. Dafür müssten 15 der 27 EU-Mitgliedstaaten zustimmen, wobei die Befürworter mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Zudem bedarf es der Zustimmung des EU-Parlaments. Es wäre eine Überraschung, wenn dieser Prozess vor 2025 abgeschlossen werden könnte. Bisher zählen die Mercosur-Staaten nicht zu den bedeutendsten Handelspartnern der EU. Im Jahr 2023 betrugen die Exporte in diese Region lediglich ein Zehntel der Ausfuhren in die USA. Selbst die Schweiz hat eine größere wirtschaftliche Bedeutung für die EU als der Mercosur. Dennoch zählt die deutsche Industrie zu den entschiedensten Befürwortern des Abkommens. Kein anderes EU-Land exportierte 2023 so viele Güter in die Mercosur-Staaten wie Deutschland, mit einem Handelsvolumen von 16 Milliarden Euro. Besonders die Automobilbranche sowie der Maschinenbau- und Chemiesektor erhoffen sich durch ein Handelsabkommen deutliche Vorteile. Deutsche Autohersteller produzieren bereits Fahrzeuge in Brasilien und Argentinien, doch die direkten Exporte aus Deutschland in diese Länder bleiben bisher gering. In anderen EU-Staaten herrscht hingegen Skepsis – vor allem im Agrarsektor. Besonders in Frankreich, Österreich, Italien und den Niederlanden stößt das Abkommen auf Widerstand. In den vergangenen Tagen haben Landwirte in Frankreich, Polen und der belgischen Region Wallonien teils heftig gegen die Vereinbarung protestiert.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- 03.12.2024
Handel ohne Standard
- 19.11.2024
Landwirte gegen Mercosur
- 26.10.2023
Geschwächte Verhandlungsmacht
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Dax 20.000 – Bitcoin 100.000
vom 07.12.2024