Eins, null oder beides
Von Marc BebenrothDas Zusammenbasteln von Gensträngen und Molekülen zu Nanoapparaten beherrschen Bioingenieure mittlerweile routiniert. Im Bereich der angewandten Physik dagegen bleibt das Operieren auf kleinstem Maßstab schwierig. Nun ist es Forschern des Quantenzentrums an der physikalischen Fakultät der ETH Zürich gelungen, ein Quantum Bit (Qubit) auf mechanischer Basis zu entwickeln. Wie sie in Science berichten, haben sie einen Weg gefunden, ohne Nanoelektronik oder elektromagnetische Wellen Qubits zu konstruieren.
Dabei handelt es sich um die Einheit, die in einem Quantencomputer den Zustand »1«, »0« oder – Quantenphysik macht es möglich – beide zugleich erhalten kann. Üblicherweise werden die Qubits durch Manipulieren und Messen von Quantenpartikeln wie Photonen, Elektronen, eingefangenen Ionen, supraleitenden Schaltkreisen oder Atomen erzeugt. Die Möglichkeit, zwei gegensätzliche Informationszustände parallel zu erhalten, beschleunigt die Rechenvorgänge im Vergleich zu denen herkömmlicher Computer mit ihrem Entweder-oder-Prinzip (1 oder 0) um ein Vielfaches.
Das Forschungskollektiv um Yiwen Chu entwickelte sein System mit zwei Bestandteilen. Zunächst konstruierten sie einen mechanischen Resonator. Auf einem 400 Mikrometer dünnen, waffelähnlichen Saphirkristall errichteten sie eine winzige Kuppel aus Aluminiumnitrid. Die dehnt sich aus oder zieht sich zusammen, je nachdem, welche elektrische Spannung anliegt. Diese Vibrationen »schwingen zwischen den Kristalloberflächen hin und her und halten Hunderte von Millionen Zyklen lang an, ehe sie abklingen«, schreiben die Forscher.
Die zweite Komponente besteht aus einem superleitenden Qubit mit einer winzigen Antenne, die ebenfalls auf einem Saphirkristall sitzt. Da die Physiker das Kristallmaterial so hoch stapeln, dass die Antenne über der Kuppel liegt, kann der durch das Qubit fließende Strom im mechanischen Oszillator Schwingungen anregen. Das ist deshalb notwendig, weil beide Teilsysteme nur zusammen das am Ende angestrebte Qubit bilden. »Die größte Herausforderung bestand darin, eine optimale Betriebsbedingung zu finden, bei der wir eine ausreichend starke Anharmonizität induzieren und zugleich den Modus mechanisch belassen können«, erklärte Igor Kladarić, Doktorand an der ETHZ, gegenüber Science.
Wären beide Teilsysteme synchron, bildeten also ein »harmonisches« Gesamtsystem, könne man nicht zwei unterschiedliche Energieniveaus bestimmen, denen man wiederum einen Informationszustand zuschreibt. Der mechanische Oszillator habe Energiezustände, die gleichmäßig angeordnet sind wie die Sprossen einer Leiter. Erst wenn über das Steuern der angelegten Stromspannung Antenne und Kuppel nichtharmonisch in Schwingung versetzt werden, lassen sich zwei Energiezustände vom Rest isolieren und kontrolliert in »1«, »0« oder den Informationszustand dazwischen versetzen. Harmonisch schwingend gebe die Kuppel das Energieniveau an das Teilsystem der Antenne weiter – und vice versa. Man müsse daher die Energieniveaus so ungleichmäßig verteilen, »dass man zwei von ihnen ansteuern kann, ohne die anderen zu berühren«.
»Viele Jahre lang dachten wir, es sei unmöglich, ein Qubit aus einem mechanischen System herzustellen«, erklärte Adrian Bachtold, Physiker für kondensierte Materie am Institut für Photonische Wissenschaften in Barcelona, gegenüber Science. Das Modell aus Zürich könnte in weiteren Experimenten Verwendung finden, sagte Stephan Dürr vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. Eine Möglichkeit sei die Erforschung der Schnittstelle zwischen Quantenmechanik und der Schwerkraft.
Der Science-Bericht dämpft die Erwartungen. Es sei unwahrscheinlich, dass das neue mechanische Qubit die ausgereiftere Konkurrenz in absehbarer Zeit vom Spielfeld drängt. Noch liege die Zielgenauigkeit des Zürcher Systems bei lediglich 60 Prozent. Gemeint ist, dass nur in weniger als zwei Drittel der Fälle die gewünschten Informationsstände hervorgerufen werden konnten. Die bislang am besten abschneidenden Qubits würden dagegen mit mehr als 99prozentiger Treffsicherheit ein Quantenbit auf »1«, »0« oder eben beides zugleich schalten können.
Die Möglichkeit eines Einsatzes sieht Dürr dennoch: Ein mechanisches Qubit könnte als »supersensitiver« Sensor für physikalische Kräfte dienen, die auf anders konstruierte Quantenbits keinen Einfluss hätten – zum Beispiel Gravitation. Die Forscher der ETH Zürich hoffen, ihren Prototypen weiterentwickeln zu können, um mittels zwei mechanischer Qubits einfache logische Operationen durchzuführen. Sollte das gelingen, wäre ein leistungsstarker Computer auf Basis mechanischer Schalter entwickelt und der Kreis von den Anfängen der Rechenmaschinen mit mechanischen Kernbausteinen zur Gegenwart geschlossen.
Derweil werden weltweit neue Quantenrechner installiert. Vor allem Militärs und Geheimdienste setzen darauf, dass diese Maschinen etablierte Verschlüsselungsverfahren im Nu brechen. Offiziell bewerben die politischen Verantwortlichen den möglichen Nutzen zum Wohl der Menschheit. So eröffne die geplante Inbetriebnahme des neuen europäischen Quantenrechners Euro-Q-Exa aus dem Hause IQM Germany »zum Beispiel in der Medizin die Chance, Moleküle zu modellieren, um neue Therapien für Patienten zu entwickeln«, wie Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) am Donnerstag in Garching äußerte. Dort traf er sich mit dem Direktor des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) Dieter Kranzlmüller und dem CEO von IQM, Jan Goetz. Laut Ministeriumsangaben handelt es sich bei dem LRZ um den einzigen deutschen Standort für den europäischen Quantenrechner – und einen von nur sechs Standorten im Gebiet der Europäischen Union.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (9. Dezember 2024 um 21:50 Uhr)Wenn man tatsächlich dem Wesen von Masse und Schwerkraft auf die Schliche käme, wäre das ein Riesenfortschritt. Es ist leider zu befürchten, dass Geld hauptsächlich in die Entwicklung militärisch nutzbarer Quantencomputer gesteckt wird und die Vervollständigung der physikalischen Theorien hintanstehen muss. Qubits kann man nicht im stillen Kämmerlein basteln. An der Suche nach der nächstgrößten Primzahl kann sich (fast) jeder beteiligen.
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