Entrechtete Menschen
Von Niki UhlmannAm 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Paris verkündet. Seit 2002 nimmt das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) den internationalen Gedenktag zum Anlass, die Entwicklung in der BRD zu bilanzieren. Kleinere Fortschritte werden dieses Jahr von Stagnation und Rückschritten in den Schatten gestellt. Dazu von jW befragt, erschöpfen Vertreter zuständiger Ministerien sich in Worthülsen.
Das Recht auf Wohnen ist sowohl im UN-Sozialpakt als auch im Grundgesetz verankert, stellt das DIMR fest und urteilt: »Es gibt viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum, kaum effektive Maßnahmen gegen steigende Mieten, noch immer verlieren viele Menschen ihre Wohnung – und finden auch keine neue.« Positiv sei, dass die Regierung mit dem »Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit« (NAPW) erstmals eine umfassende Strategie entwickelt hat. Allerdings bliebe sie »an vielen Stellen sehr unkonkret«, unterfinanziert und berücksichtige »besonders vulnerable« Gruppen, etwa gewaltbetroffene Frauen oder Wohnungslose, nur »unzureichend«. Letztere, aktuell rund 439.500 Menschen, würden, wenn überhaupt, in »menschenrechtlich hochproblematische« Unterkünften gepfercht – oft »jahrelang«.
Das befragte Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen geht gegenüber jW am Dienstag aufs Ganze. »Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 in Deutschland zu überwinden«, das sei das Ziel. »Gemeinschaftlichen Anstrengungen aller Ebenen« würden im Rahmen des NAPW unternommen. Sogenannte »Impulsmaßnahmen« hätten schon stattgefunden. Unkonkreter könnte es nicht sein. Im Sommer 2025 sollen die »Bundesempfehlungen für die Unterbringung wohnungsloser Menschen« folgen. Immerhin stellt man »den Ländern Mittel in Rekordhöhe für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung«. Gebaut wurde trotzdem nicht, dafür scheinbar viel geredet.
Arbeiten ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht jedes anständigen Bürgers. Schlimm nur, wenn man wie Menschen mit Behinderung in einer Werkstatt feststeckt, dort statt Mindestlohn ein Monatsentgelt von 222 Euro verdient und andere Grundrechte daher gar nicht wahrnehmen kann. Das Werkstattsystem wurde laut Bericht schon 2015 von UN-Experten als exklusives »Sonderstruktursystem« kritisiert, das überwunden werden müsse. Schlimmer noch, wenn man außerhalb der BRD oder bei einem Subunternehmer zur deutschen Wertschöpfung beiträgt. Gesetze, die Unternehmen zu Sorgfalt verpflichten sollten, wurde von der Bundesregierung national und europaweit derart verwässert, dass die Verbesserungen für Beschäftigte sich wortwörtlich in Grenzen halten.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nahm gegenüber jW Stellung. Es teile die Einschätzung des DIMR im Hinblick auf Menschen mit Behinderung nicht. »Verschiedene Förderinstrumente« hätten Menschen mit Einschränkungen längst ermöglicht, sich »gegen eine Beschäftigung in Werkstätten zu entscheiden«. Den »weiteren Handlungsbedarf« erkenne das BMAS aber an und habe daher einen »Vorschlag für erste Verbesserungen« gemacht, »ohne das Entgeltsystem grundsätzlich zu verändern«. In puncto Subunternehmertum und Lieferkette verweist es auf eine Formalie. Das DIMR lasse offen, »wer gegenüber wem« dokumentationspflichtig sei. Wer das Elend nicht verwaltet, darf es wohl auch nicht kritisieren.
In der Migrationspolitik wurden die Menschenrechte sogar ausgehöhlt. »Polarisierend geführte migrationspolitische Diskussionen« hätten »den Flüchtlingsschutz massiv geschwächt«. »Abwehr und Abschreckung« seien die politischen Prioritäten gewesen, »einschneidende Verschärfungen im Migrationsrecht« die Folge. Die Bezahlkarte habe die »selbständige Lebensführung« von Migranten »erheblich eingeschränkt« und die sogenannte Verbesserung der Rückführung behördliche Befugnisse auf Kosten der Grundrechte Schutzsuchender ausgeweitet. Sinnbild dieser Verschärfung ist, dass die Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge schlicht gar nicht auf die Anfrage der jW antwortete.
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