Tote, die keiner sehen will
Von Jakob ReimannIm Schatten des Umsturzes in Syrien und der Angriffe und Landnahmen Israels im Süden des Landes geht auch der Krieg in Gaza unvermindert weiter. Mindestens 30 Menschen wurden dort in den vergangenen 24 Stunden nach palästinensischen Behördenangaben durch israelische Angriffe getötet. Die meisten Toten gab es im Zentrum und im Norden des Küstenstreifens, in dem seit Tagen das »Kamal Adwan«-Krankenhaus im Mittelpunkt der Angriffe steht. Beim Bombardement eines Hauses im Nuseirat-Geflüchtetenlager am Dienstag morgen wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Am Tag zuvor waren in der Enklave mindestens 50 Todesopfer durch israelische Angriffe zu verzeichnen.
So wurden am Montag drei Menschen in Dschabalija per Drohne getötet, berichtete Al-Dschasira. Sie hätten ihre Häuser in dem Flüchtlingslager verlassen, »um in der Nähe nach Lebensmitteln zu suchen«. Aus Angst vor anschließendem Beschuss habe sich niemand getraut, die Leichen von der Straße zu holen. Bereits in der Nacht zum Montag griffen israelische Truppen in der südlichsten Stadt Rafah Zivilisten an, die Mehl kaufen wollten, und töten zehn von ihnen, heißt es bei Al-Dschasira weiter. Tage zuvor waren bei einem ähnlichen Angriff auf eine Ausgabestelle für Mehl in Khan Junis neun Menschen getötet worden. Böse Erinnerungen an das »Mehlmassaker« vom 29. Februar wurden wachgerufen, bei dem mindestens 112 Menschen getötet und mehr als 750 verletzt wurden, als israelische Truppen das Feuer auf hungrige Palästinenser eröffneten, die Hilfslieferungen in Empfang nehmen wollten. Immer wieder hat Israel im laufenden Krieg Großbäckereien, Lebensmittellager der UNO oder Orte bombardiert, an denen Nahrungsmittel verteilt werden.
Ende November war es in Khan Junis zum dritten Mal zu einem tödlichen Angriff der israelischen Armee auf ein Fahrzeug der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) gekommen, wobei fünf Menschen getötet wurden, darunter drei WCK-Mitarbeiter, wie BBC berichtete. Die israelische Armee behauptete, ein Insasse sei ein »Terrorist« und habe an den Angriffen vom 7. Oktober auf Israel teilgenommen, jedoch ohne dafür Beweise vorzulegen. WCK bestritt die Anschuldigungen. Im April hatte Israel durch Drohnenangriffe auf einen WCK-Hilfskonvoi sieben Mitarbeiter getötet. Da es sich bis auf einen Palästinenser bei allen Toten um Staatsangehörige westlicher Länder handelte, hatte es erstmals nach einem israelischen Angriff auf Nahrungsmittelkonvois eine Welle deutlicher Kritik westlicher Regierungen gegeben. Infolge der jüngsten Angriffe sah sich WCK erneut gezwungen, zum Selbstschutz die Arbeit in Gaza vorübergehend einzustellen.
Die vom Promikoch José Andrés gegründete WCK betreibt weit über 50 Gemeinschaftsküchen in Gaza und kocht täglich rund 170.000 warme Mahlzeiten für die Menschen dort. Mit insgesamt über 75 Millionen seit Kriegsbeginn ausgegebener Portionen ist sie die wichtigste NGO zur Bekämpfung der Hungersnot in der abgeriegelten Enklave, von der nach UN-Angaben die gesamte Bevölkerung betroffen ist; 86 Prozent leiden demnach unter »akuter Ernährungsunsicherheit«. Nach den wiederholten vorsätzlichen Tötungen ihrer Mitarbeiter wird der Kampf gegen die NGO nun auch auf die Ebene der israelischen Behörden verlagert. So sah sich WCK eine Woche nach dem letzten Anschlag auf seine Angestellten »gezwungen«, etwa 60 Mitarbeiter zu entlassen, nachdem sie eine israelische Sicherheitsüberprüfung nicht bestanden hatten und als »Sicherheitsbedrohung« eingestuft wurden, zitiert Bloomberg am Montag aus einem internen Memo. Beweise wurden auch hier nicht präsentiert. Die Entlassungen wurden »im Interesse der Sicherheit aller Menschen in Gaza« durchgeführt.
Für humanitäre Helfer gibt es keinen tödlicheren Ort auf der Welt als Gaza. Seit Kriegsbeginn am 7. Oktober tötete Israel insgesamt 343 von ihnen, so die letzten Zahlen der UN. 2024 ist das tödlichste Jahr für Nothelfer seit Beginn der Aufzeichnungen 1997. In Gaza und dem besetzten Westjordanland wurden rund anderthalbmal so viele humanitäre Helfer getötet wie in allen anderen Konflikten auf der Welt zusammen.
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Leserbrief von Joachim Becker aus Eilenburg (11. Dezember 2024 um 12:15 Uhr)Das Schweigen der Bundesregierung, der bürgerlichen Medien, aber auch der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung zum Genozid der israelischen Armee am palästinensischen Volk erinnert mich sehr an das Schweigen der damaligen westdeutschen Regierung, Bevölkerung und der bürgerlichen Medien zum Völkermord des US-Imperialismus am vietnamesischen Volk. Da bin ich froh, dass es auch heute die Tageszeitung junge Welt.
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