Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 14.12.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Sozialpolitik

Organisierte Verarmung

Nach der Bundestagswahl drohen weitere Rentenkürzungen. Doch eine armutsfeste Altersversorgung ist finanzierbar
Von Sebastian Edinger
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Ein Blick in die Zukunft. Etlichen Millionen deutschen Staatsbürgern droht Armut im Alter

Mit dem Scheitern der Ampelkoalition ist wahrscheinlich auch das Rentenpaket II gescheitert. Damit sollte einerseits ein Teil der gesetzlichen Rente durch staatliche Zocker an die Aktienmärkte gebracht und so für das Kapital verwertbar gemacht werden. Andererseits sollte eine Art Untergrenze in die Rentenformel eingebaut werden, die den weiteren Rentenschwund abbremst. Vorgesehen war, das derzeitige Rentenniveau von 48 Prozent bis 2039 festzuschreiben. Die viel behauptete Stabilisierung der Rente wäre das zwar nicht gewesen, denn durch die Besteuerung eines immer größeren Teils der Bezüge bedeutet ein konstantes Rentenniveau sinkende Renten. Nun drohen jedoch deutlich drastischere Einschnitte.

Dabei lebt bereits heute jeder fünfte im Rentenalter in Armut – Tendenz steigend. 40 Prozent der Bezieher gesetzlicher Altersrenten erhalten monatlich weniger als 900 Euro aus der Rentenkasse. Mehr als 700.000 Menschen beziehen zusätzlich zur Rente Grundsicherung im Alter. Dabei zeigen Untersuchungen, dass das Gros der Leistungsberechtigten die Grundsicherung im Alter überhaupt nicht beantragt, etwa aus Unwissenheit, weil es sich nicht lohnt, weil die bürokratischen Hürden zu hoch sind oder aus Angst vor entwürdigenden Amtsbesuchen.

Leistungsschwach

Auch ein Blick in die europäische Nachbarschaft zeigt, wie leistungsschwach das deutsche Rentensystem ist. Das Rentenniveau taugt jedoch als Vergleichsgröße nicht. Ohnehin sagt es wenig aus: Was weiß man schon, wenn man weiß, dass die Relation zwischen einer standardisierten Rente nach 45 Jahren Beitragszahlung und einem durchgehend durchschnittlichen Einkommen nach Abzug der Sozialabgaben und vor Abzug der Steuerlast 48 Prozent des durchschnittlichen Einkommens der heute Beschäftigten ergibt? Die Größe gibt es so nur im deutschen Rentensystem. Sinnvoller für Vergleiche ist das Nettoäquivalenzeinkommen, also die monatliche Rente im Verhältnis zum letzten Monatsgehalt vor dem Renteneintritt.

Demnach erhalten beispielsweise die Rentner in den Niederlanden durchschnittlich 93,2 Prozent ihres letzten Einkommens als Rente ausgezahlt. In Österreich sind es 87,4, in Spanien 86,5, in Italien 82,6 und in Frankreich immerhin 71,9 Prozent. In der BRD sollen sich die Rentner hingegen mit 55,3 Prozent zufriedengeben. Für viele heißt das schon heute Flaschen sammeln, Pakete schleppen und zu den Tafeln gehen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Bleibt die Rentenformel unverändert, wird also keine Untergrenze eingezogen, droht das Nettoäquivalenzeinkommen bis 2030 weiter deutlich zurückzugehen.

Für diese Abwärtstendenz sorgt unter anderem der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel, der 2005 eingeführt wurde und darauf abzielt, die Sozialversicherungsbeiträge niedrig zu halten. Mit Erfolg: Heute liegt der Beitrag zur Rentenversicherung mit 18,6 Prozent so niedrig wie seit 1994 nicht mehr. Zugleich sind die öffentlichen Ausgaben (in Relation zur Wirtschaftsleistung) in den letzten 15 Jahren deutlich zurückgegangen. Der Staat kommt seiner Finanzierungsverantwortung nicht nach und reißt durch immer neue Kürzungen bei den Bundeszuschüssen gezielt Löcher in die Rentenkasse. Jahr für Jahr werden rund 40 Milliarden Euro für versicherungsfremde Leistungen zweckentfremdet.

Weitere Privatisierung

Die Ampel hinterlässt also ein marodes Rentensystem, in dem weitere Kürzungen und mehr Altersarmut programmiert sind. Kaum vorstellbar, dass nach der Neuwahl im Februar eine Bundesregierung zustande kommt, die dem Rentenschwund Substantielles entgegenzusetzen hat. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die nächste Regierung von CDU und CSU angeführt wird – und die diskutieren vor allem darüber, das Rentenalter weiter anzuheben, um die Arbeitskraft der Alten länger für das Kapital ausbeutbar zu halten – ob mit einer »Aktivrente«, die längeres Arbeiten belohnt und jene mit höheren Abschlägen bestraft, die nicht bis zur Regelaltersgrenze durchhalten, oder gleich per Rente mit 70.

Zudem will die Union das öffentliche Rentensystem weiter zugunsten privater Renditejäger zerstören. Etwa durch die Schaffung eines Vorsorgedepots, über das staatliche Spekulanten – ähnlich wie bei der nicht mehr zustande gekommenen Aktienrente der Ampel – Teile der Versicherungsbeiträge an die Kapitalmärkte bringen. Wie hoch die Rente dann noch ausfiele, hinge davon ab, wie erfolgreich der Bund an der Börse zockt. Zumindest mit der FDP und der AfD hätte ein künftiger Bundeskanzler Friedrich Merz leichtes Spiel – beide verfolgen ähnliche Pläne, immer größere Teile der Altersvorsorge dem Kapital zum Fraß vorzuwerfen.

Wahrscheinlicher ist eine Koalition der Union mit SPD oder Grünen. Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz ist zwar schon im Wahlkampfmodus und warnt vor den drohenden Rentenkürzungen. Ob aber ausgerechnet seine SPD, die das Gros der zerstörerischen Rentenreformen der letzten zwanzig Jahre – von Riester bis Rente mit 67 – zu verantworten hat, das verhindern wird? Eher nicht. Für die Grünen ist das Thema ohnehin zweit- bis drittrangig. Die Exvorsitzende Ricarda Lang schätzte die Durchschnittsrenten bekanntermaßen auf 2.000 Euro und sieht daher wenig Handlungsbedarf im Kampf gegen Altersarmut; der Sozialpolitiker Frank Bsirske erteilte zuletzt der Forderung nach einer Inflationsausgleichsprämie für Rentner aus Kostengründen eine Absage.

Hintergrund: Instabile Säulen

Die Altersvorsorge fußt auf drei Säulen, heißt es: der gesetzlichen, der privaten und der betrieblichen Vorsorge. Doch zwei davon sind untauglich, verlässliche Altersbezüge zu gewährleisten und vor Armut im Alter zu schützen. Schließlich kann privat nur vorsorgen, wer am Monatsende frei verfügbares Geld übrig hat – also am wenigsten jene, die am stärksten von Altersarmut bedroht sind. Ähnlich ist es bei Betriebsrenten, die in der Regel vor allem dort angeboten werden, wo auch gute Löhne gezahlt und somit gute Ansprüche an die gesetzliche Rente erworben werden.

Kein Wunder also, dass trotz aller Fördermilliarden sämtliche vom deutschen Staat propagierten Modelle privater und betrieblicher Vorsorge gescheitert sind. So stellte sich etwa bei der Riester-Rente schnell heraus, dass man im Alter mehr Geld hat, wenn man den Betrag monatlich unters Kopfkissen steckt. Nur zwölf Prozent der angestrebten Verträge konnten findige Bankster in staatlicher Mission den Menschen letztlich andrehen; seit neun Jahren ist die Zahl der jährlichen Neuabschlüsse rückläufig. Auch die betriebliche Vorsorge spielt längst nicht die Rolle, die sich Deutschlands Liberalisierer der nuller Jahre gewünscht hätten. Die Ansprüche sind meist gering, und die Unterschiede zwischen Ost und West sowie zwischen Mann und Frau enorm.

Dennoch gibt der deutsche Staat viel Geld für die Förderung privater und betrieblicher Altersvorsorge aus, während zugleich lamentiert wird, dass bei der gesetzlichen Rente gespart werden müsse. Die verschiedenen Fördermaßnahmen summieren sich auf rund 20 Milliarden Euro im Jahr. Diese Mittel fehlen in der Rentenkasse, die seit Jahren mit jedem Bundeshaushalt weiter geschröpft wird. Allein in den letzten drei Jahren wurden der gesetzlichen Rente staatlicherseits sieben Milliarden Euro entzogen, beklagt die Deutsche Rentenversicherung. (se)

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