Westen sucht Kontrolle
Von Jörg KronauerDie Bemühungen der westlichen Mächte, Syrien unter Kontrolle zu bekommen und ihren in den vergangenen Jahren zurückgegangenen Einfluss im Nahen Osten wieder auszudehnen, gewinnen an Fahrt. Die USA preschen energisch voran. Am Donnerstag reiste Außenminister Antony Blinken zuerst nach Jordanien, dann in die Türkei. In Akaba sprach er zunächst mit König Abdullah II., mit dem am Donnerstag auch Bundeskanzler Olaf Scholz telefonierte, dann mit Außenminister Aiman Safadi. Washington lege großen Wert darauf, dass der Übergangsprozess in Syrien »inklusiv« sei, äußerte Blinken. Es geht darum, den Al-Qaida-Ableger Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) daran zu hindern, sein Herrschaftssystem aus Idlib, in dem Nichtsunniten Bürger zweiter Klasse oder noch weniger sind, auf ganz Syrien zu übertragen. Falls die HTS sich auf ein »inklusives« System einlasse, sei Washington bereit, Syriens neue Regierung »anzuerkennen und umfassend zu unterstützen«, teilte Blinken mit. Anschließend traf er in Ankara mit Außenminister Hakan Fidan zusammen.
Bei ihren Versuchen, in Damaskus selbst Einfluss zu nehmen, sind die westlichen Staaten noch stark auf die Vermittlung Dritter angewiesen. Das einzige westliche Land, das zur Zeit mit einem Botschafter in der syrischen Hauptstadt vertreten ist, ist Italien. Es hatte bereits Ende Juli die Beziehungen zu Syrien wiederaufgenommen. Als Vermittler betätigt sich in Damaskus – auch in Absprache mit westlichen Stellen – einmal mehr Katar, das schon häufig Verhandlungen des Westens mit Islamisten moderiert hat, mit den Taliban etwa oder auch mit der Hamas. Am Donnerstag traf laut Berichten neben dem türkischen Geheimdienstchef İbrahim Kalın auch dessen katarischer Amtskollege Khalfan Al-Kaabi in Damaskus ein. Die HTS teilte ebenfalls am Donnerstag über ihre »Abteilung für politische Angelegenheiten« mit, sie sei jederzeit bereit, bei der Suche nach US-Bürgern, die unter Assad in Syrien »verschwanden«, nicht nur indirekt, sondern erstmals auch unmittelbar mit Washington zu kooperieren.
Dabei drängt aus westlicher Sicht die Zeit – nicht nur deswegen, weil die westlichen Regierungen Russland und Iran so schnell und umfassend wie möglich aus Syrien verdrängen wollen. Ein Machtvakuum, wie es aktuell in Syrien gegeben sei, könne sich sehr schnell auflösen, warnte Kirsten Fontenrose vom Thinktank Atlantic Council: Mit jedem Tag, den man verstreichen lasse, könnten »Syriens Islamisten die volle Kontrolle« über das Land ein Stück mehr an sich reißen. Es gelte daher, sehr schnell zu handeln. Man solle HTS Anerkennung und Finanzierung anbieten, riet Fontenrose. Die Organisation sei zur Zeit spürbar um »Legitimität und Unterstützung« bemüht, da Syrien aus eigener Kraft wohl kaum wiederaufgebaut werden könne. Wer aber die Zeche zahle, bestimme bekanntlich die Musik.
Entsprechend erklärten auch die G7 am Donnerstag, sie seien bereit, einem »inklusiven« Übergangsprozess in Syrien ihre »volle Unterstützung« zukommen zu lassen. Am Freitag nachmittag wollten die G7-Staats- und Regierungschefs auf einer Videokonferenz weitere Schritte abstimmen. Für diesen Sonnabend lädt Jordanien zu mehreren Treffen ein, bei denen die Außenminister diverser arabischer Staaten zunächst untereinander, dann mit ihren Amtskollegen aus der Türkei und den USA sowie der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas über die Entwicklung in Syrien sprechen wollen.
Für einen Übergangsprozess in Syrien, »der niemanden ausschließt«, sprach sich am Freitag auch Ägyptens Außenminister Badr Abd Al-Ati aus, allerdings in Beijing nach Gesprächen unter anderem mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi. Beide hätten sich verständigt, in Nah- und Mittelost auf Frieden durch Verhandlungen hinzuarbeiten. Wang urteilte, es sei nötig, einen »neuen nachhaltigen Sicherheitsrahmen« für die gesamte Region zu schaffen, und wies auf Bemühungen hin, den Ausgleich zwischen Saudi-Arabien und Iran, den China 2023 vermittelt hatte, aufrechtzuerhalten. Darin unterscheidet sich die chinesische Außenpolitik von der westlichen, die weiterhin auf Irans Unterwerfung setzt.
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