»Die Debatte ist Ausdruck eines nationalen Egoismus«
Interview: Gitta DüperthalAn diesem Sonnabend findet eine Veranstaltung in Frankfurt am Main zur Gründung des Zentralen Menschenrechtsrats der Kurd*innen, ZMR, in Deutschland statt. Was ist Ziel dieses neuen Zusammenschlusses?
Wir schauen auf die Menschenrechtslage in Deutschland: auf die Angriffe türkischer Nationalisten auf hier lebende Kurdinnen und Kurden, auf antikurdischen Rassismus und die staatliche Kriminalisierung. Es gibt Symbolverbote, Aktivistinnen und Aktivisten werden inhaftiert, nach Paragraph 129 b verurteilt. 2019 verhängte das Bundesinnenministerium ein Verbot gegen den kurdischen Mezopotamien-Verlag, weil dieser angeblich dem »organisatorischen Zusammenhalt« der in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, diene. Etwa 50.000 Werke, also Kulturgüter, wurden beschlagnahmt und bis heute nicht zurückgegeben.
Nur zehn Prozent der Kurdinnen und Kurden aus der Türkei erhalten hier Asyl, obgleich sie dort verfolgt sind. Deshalb gründen wir den Menschenrechtsrat als breite Plattform für Anerkennung und Gerechtigkeit für die Kurdinnen und Kurden in Deutschland.
Wie positioniert sich der ZMR angesichts der Lage in Syrien?
Kurdinnen und Kurden hier in Deutschland – oder wer auch nur einen Funken an Solidarität mit diesem Volk empfindet –, kann die Situation in Rojava und Nordostsyrien nicht kaltlassen. Wir beobachten genau, was dort vorgeht. Uns interessiert besonders, was es für die Menschenrechtslage der etwa 1,5 Millionen in der BRD lebenden Kurdinnen und Kurden bedeutet.
Die beginnende Debatte zu Abschiebungen nach Syrien besorgt uns. Würden die Träume der CDU und der AfD wahr werden, bedroht es Hunderttausende Kurdinnen und Kurden, die nach Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges hierher geflohen waren. Diese Debatte ist Ausdruck eines nationalen Egoismus und fehlender Empathie. Es gibt Anzeichen, dass sich die Lage von Minderheiten dort aktuell insgesamt dramatisch verschlechtert.
Die Türkei nutzt die instabile Lage für sich: mit Bombardements sowie Angriffen der von ihr gesteuerten islamistischen Syrischen Nationalen Armee gegen humanitäre Einrichtungen, Zivilistinnen und Zivilisten sowie die von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten angeführten Demokratischen Kräfte Syriens im Gebiet der auch als Rojava bekannten Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien.
Deutschland muss die Waffenlieferungen an die Türkei endlich einstellen. Es darf nicht sein, dass die Türkei mit ihren Proxys die Kurdinnen und Kurden in Syrien immer wieder angreift – mit deutschen Waffen. Berlin kann nicht so tun, als wären die Kurdinnen und Kurden und ihr fortschrittliches emanzipatives Projekt in Rojava quasi unsichtbar. Es gilt, Druck auf das türkische Regime auszuüben – und freilich auch auf die USA, damit diese im Rahmen des NATO-Bündnisses die Türkei zur Räson bringen.
Der Sprecher des US-Außenministeriums sagte, man wolle dafür sorgen, dass »ISIS nicht wieder auftaucht«. Derweil werden Wachen der Lager für festgesetzte Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in Rojava abgezogen, um gegen angreifende Dschihadisten zu kämpfen.
Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass diese IS-Krieger nicht mehr bewacht werden können und es zu Aufständen in den Gefängnissen kommt. Die USA müssten in ihrem eigenen Interesse darauf einwirken, dass die Türkei mit ihren Proxys nicht weiter Krieg gegen Rojava führt. Uns beunruhigt, dass die deutschen Leitmedien offenbar nicht in der Lage sind, zu durchschauen, für welche Vielfalt die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien steht. Die Kurdinnen und Kurden werden als politischer Akteur nicht ernst genommen.
Alexander Glasner-Hummel ist Mitglied des Koordinierungskreises des Zentralen Menschenrechtsrats der Kurd*innen in Deutschland
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