Vom Neoliberalismus zur Kriegswirtschaft
Von Lucas ZeiseMit der Finanzkrise 2007/08 endete die neoliberale Phase der kapitalistischen Weltwirtschaft. Das ist mittlerweile fast Konsens unter den zahlreichen ökonomischen Anhängern dieser Produktionsweise – sofern sie sich überhaupt mit derlei wirtschaftshistorischen Fragen befassen – und ihren rar gewordenen Gegnern. Während die Finanzkrise noch tobte, gab es reichlich Stimmen, die danach ein Nachlassen der Wachstumsraten, sprich Stagnation in den entwickelten Ländern erwarteten. Sie haben recht behalten. Martin Wolf, langgedienter ökonomischer Kommentator der Londoner Financial Times hat am 10. Dezember noch einmal dargestellt, wie die Wachstumsraten (des BIP pro Kopf) der USA, Japans, Britanniens, Frankreichs und Deutschlands von sehr hoch in der unmittelbaren Nachkriegsperiode bis zur Wirtschaftskrise 1973, über mäßig in der Periode zwischen 1973 und 2007 auf niedrig seit 2007 bis 2023 zurückgegangen sind. Ähnliches gilt für die Wachstumsraten der Produktivität.
Dass die neoliberale Phase der Weltwirtschaft mit der großen Finanzkrise zu Ende gehen würde, konnte man annehmen, weil der übermäßig aufgeblähte Finanzsektor ein wesentlicher Faktor dafür war, dass eine von übermäßig hohen Profitraten gekennzeichnete Volkswirtschaft überhaupt funktionierte. Aber siehe da: In erstaunlich koordinierter Weise wurde das System der außerordentlichen Profitmacherei im Finanzwesen staatlich gestützt und in kleinen Details verändert einfach rekonstruiert. Der Neoliberalismus hatte an Prestige verloren, aber seine Politik wurde unverändert fortgesetzt. Er funktioniert weiter, aber deutlich schlechter, d. h. mit auffällig niedrigeren Wachstumsraten. Denn die früher sozialistisch organisierten Regionen der Welt (Osteuropa, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, vor allem aber China) stehen als Anlagesphäre für überschüssiges Kapital nicht mehr in diesem Ausmaß zur Verfügung. Diese sind, wie auch andere Schwellenländer, per saldo selber zu Kapitalexporteuren geworden.
Ein Unterschied des heutigen Finanzbooms zum verrückten Finanzboom vor 2007 besteht darin, dass er sich noch stärker auf die führende Kapitalnation, die USA bezieht. Der Anteil der USA an der Realökonomie der Welt beträgt heute immer noch etwa 27 Prozent. Der »Wert« der US-Aktiengesellschaften macht dagegen fast 70 Prozent aller Börsenwerte des Globus aus. Die sieben irrwitzig hoch bewerteten Techwerte aus den USA, die Microsoft, Alphabet, Apple etc. plus die Newcomer Tesla und Nvidia produzieren riesige Profitmassen, ziehen aber noch mehr Kapital aus aller Welt an. Der US-Aktienmarkt ist in der letzten Dekade viermal so stark gestiegen wie im Rest der Welt. Die seit 2007 durchweg höheren Wachstumsraten der US-Wirtschaft, verglichen mit denen Europas und Japans sind nicht der Grund für den Börsenboom dort, sondern dessen Folge.
Was also folgt auf den Neoliberalismus? Zölle statt Freihandel, Sanktionen statt freier Kapitalverkehr, Sicherung der Lieferketten statt Globalisierung, Staatsschulden nicht zur Sicherung des Finanzbooms, sondern zur Finanzierung neuer Kriege. Es handelt sich um den Übergang zur Kriegswirtschaft.
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