Aus Leserbriefen an die Redaktion
Versteckt im Regal
Zu jW vom 6.12.: »Verlage fordern direkten Zugriff«
Als ich vor einigen Tagen im Zeitungssortiment im Homburger »Kulturbahnhof« die junge Welt – nach deren wochenlanger Absenz – wiedergefunden habe, war ich sehr erfreut. Sie stand zwar etwas verdeckt von der Taz und der Frankfurter Rundschau, aber sie war immerhin wieder da!
Wie aber sieht es im Buchhandel aus? Als ich vor kurzem den zweiten Band der Erinnerungen von Egon Krenz »Gestaltung und Veränderung« unter den Spiegel-»Bestsellern« suchte, fand ich ihn dort nicht, sondern nur im hinteren Teil der Buchhandlung Hugendubel unter der Rubrik »Geschichte«. Auf meine Nachfrage wurde mir geantwortet, die »Einordnung« bestimme allein die jeweilige Buchhandlung.
Auch in der Buchhandlung des Frankfurter Hauptbahnhofs findet sich das Buch aus dem Eulenspiegel-Verlag/Edition Ost nicht. Dass der renommierte Verlag hier nicht erscheint, ist wohl symptomatisch für die ganze Branche. Gerade in der Vorweihnachtszeit überbieten sich die Buchhandlungen mit aktuellen und reißerischen Titeln, die dann bald in den hinteren Rängen und schließlich zu ermäßigtem Preis auf dem Ramschtisch enden. Die »Autobiographie« der ehemaligen Bundeskanzlerin findet mit ihren mehr als 700 Seiten jedoch einen Sondertisch direkt vor der Kasse.
In der jungen Welt vom 6. Dezember lese ich, dass es einen »Umbau« in der Medienwirtschaft geben soll, denn die Branche steht unter Druck. Es geht aber auch da, wie überall im Kapitalismus, einzig um Profitinteressen. Zwar sollen alle Titel gleichbehandelt werden, doch es ist unwahrscheinlich, dass die Pressevielfalt, vor allem die Gleichstellung von West- und Ostliteratur, endlich garantiert wird. Letztlich entscheidet übergeordnet das Bundeskartellamt.
Wie soll ein Leser auswählen, wenn die Hälfte der deutschen Verlage im Westen einfach unterschlagen bzw. unterdrückt wird. Ja, auch kulturell ist Deutschland noch immer ein geteiltes Land!
Eva Ruppert, Bad Homburg
An der falschen Stelle gefahndet
Zu jW vom 6.12.: »Vergnügte Betrüger«
Die Stadt Rostock, so informiert die Ostseezeitung, wird jetzt gnadenlos Steuerhinterziehung verfolgen – wehe dem, der noch weiterhin einen Hund hält, ohne für ihn Steuern zu zahlen! Das konnte man ausgerechnet an dem Tage lesen, an dem in junge Welt festgestellt wurde, dass ein großer Teil der betrügerisch ergaunerten Milliarden aus den Cum-Ex- und Cum-Cum-Tricks wohl wegen Verjährung, d. h. Prozessverschleppung nicht wieder einbringbar sein dürfte. Worin ein Exbürgermeister von Hamburg namens Scholz jedenfalls bei der Warburg-Bank eine ziemlich große Aktie hat! Zum Dank hat ihn das deutsche Großkapital zum Bundeskanzler gemacht. Und es gibt sogar Leute, die das gut finden.
Volker Wirth, Berlin
»Er hinterlässt eine Lücke«
Zu jW vom 7.12.: »Der letzte Kreiskyaner«
Ein Riesenverlust! Ich hatte das Glück und die Ehre, mit ihm im E-Mail-Kontakt gestanden zu haben. Ich hatte seine Tätigkeit von Bayern aus verfolgt und ihm geschrieben. Daraus hat sich ein Austausch über Palästina, Demokratieabbau und die Rolle der Medien entwickelt. Er hinterlässt eine Lücke, die nicht zu schließen ist. Wenigstens musste er die jüngsten Ereignisse nicht mehr miterleben, die die Vernichtung des palästinensischen Volkes beschleunigen.
Maria Höfling, Bad Wiessee
Teufel im Detail
Zu jW vom 9.12.: »Eins, zwei, drei, viele Marx?«
Leider verfolgt die jW seit Jahren die theoriepolitische Linie, regelmäßig die Fehlurteile von Werner Seppmann und anderen Hegel-Marxisten über Louis Althusser neu aufzukochen. Klaus Müller greift auf diese Angriffe, die aus der ersten Rezeptionswelle Althussers in Deutschland von vor über 50 Jahren stammen, zurück, zeigt dabei aber unfreiwillig auf, dass diese Fehlurteile aus schlichter Textunkenntnis, wenn nicht gar aus gehässiger Sinnverdrehung, resultieren.
So behauptet Müller, Althusser habe die Grundlagen seiner Politischen Ökonomie, die Marx in den ersten drei Kapiteln des Kapitals legt, als schrecklich und überflüssig erklärt, die daher ohne Verlust zu überspringen wären. Mit dieser Behauptung begründen Seppmann, Metscher und Müller ihr vernichtendes Urteil, der strukturale Marxismus Althussers begehe »theoretischen Verrat« an Marx, entkerne den Marxismus, entsorge seine konstitutiven Elemente und beschädige seine antikapitalistische Artikulationsfähigkeit.
Liest man bei Althusser nach, stellt man fest, dass der Vorschlag, die ersten drei Kapitel zunächst zu überspringen, eine Leseempfehlung für theoretisch ungeschulte Leser darstellt. Althusser fürchtet, dass diese von der Abstraktion in den ersten Kapiteln, in denen Marx seine Grundbegriffe einführt, abgeschreckt werden könnten. Er schlägt vor, die einleitenden Kapitel erst nach dem Lesen der leichter zugänglichen folgenden Kapitel nachzuholen. Marx selbst war mit seiner Darstellung in den Anfangskapiteln nicht zufrieden, wie sein Briefwechsel mit Engels zeigt, und hat sie daher für die verschiedenen Auflagen des Kapitals immer wieder umgeschrieben. Die Rezeptionsgeschichte des Kapitals ist voller Belege dafür, welche Schwierigkeiten die Werttheorie der ersten Kapitel bereiten kann. Die »Neue Marx-Lektüre«, die seit Jahrzehnten fast vollständig in den ersten Kapiteln festhängt, ist nur ein aktuelles Beispiel dafür.
Althusser forderte auf, das gesamte Kapital zu lesen, es sorgfältig zu studieren, auch die ersten Kapitel. Er meinte, sowohl Theoretiker als auch Proletarier könnten das Kapital erst verstehen, wenn sie es mindestens fünf- bis sechsmal gelesen hätten, alle drei Bände und auch die Theorien über den Mehrwert. Auch Seppmann, Metscher und Müller sollten erst lesen, ehe sie urteilen.
Udo Rother, per E-Mail
Die Rezeptionsgeschichte des Kapitals ist voller Belege dafür, welche Schwierigkeiten die Werttheorie bereiten kann. Die »Neue Marx-Lektüre«, die seit Jahrzehnten fast vollständig in den ersten Kapiteln festhängt, ist nur ein aktuelles Beispiel dafür.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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