Historische Chance
Von Thorben Austen, QuetzaltenangoFür die Einwohner des Landkreises Santa Lucía Utatlán im Departamento Sololá war der Tag von besonderer Bedeutung. Präsident Bernardo Arévalo war in der zweiten Novemberhälfte in den Ort gekommen und hatte ein Abkommen mit indigenen Bürgermeistern unterschrieben. Keines, das am »grünen Tisch« entstanden war, betonte der sozialdemokratische Staatschef in seiner Rede. Dem Abkommen vorausgegangen war »eine Serie von Treffen zwischen den indigenen Autoritäten und verschiedenen Ministerien«, erklärte Arévalo, der seine knapp zehnminütige Rede mit einigen Worten in der Mayasprache Quiché begann, der meistgesprochenen indigenen Sprache Guatemalas.
Das Abkommen sei eine »Verpflichtung für unsere Regierung zu öffentlichen Investitionen bei Respektierung des kommunalen Eigentums«, erklärte Arévalo. Es enthalte Punkte zu den Bereichen Gesundheit, Bildung, Schutz und Respektierung der Natur sowie zur Förderung kommunaler Wirtschaft. Der Präsident sieht das Abkommen langfristig angelegt. »Von heute auf morgen lassen sich 400 Jahre Marginalisierung nicht überwinden.« Der Staatschef ist aber optimistisch, »die Wunden der Vergangenheit heilen« und einen »in der Praxis rassistischen Staat hinter uns lassen« zu können. Vergleichbare Abkommen hatte Arévalo in den vergangenen zehn Monaten mit insgesamt acht indigenen Volksgruppen unterschrieben, hieß es in einer Regierungsmitteilung von Anfang des Monats.
Die 48 Kantone, eine indigene Selbstverwaltungsstruktur aus dem Departamento Totonicapán, waren führend an den Protesten im vergangenen Jahr beteiligt, mit denen Arévalos Amtsantritt abgesichert wurde. Edin Zapeta, Präsident der 48 Kantone, äußerte sich verhalten zu den ersten gut zehn Monaten der Regierung Arévalo. Kurz nach Amtsantritt habe man dem Präsidenten konkrete Vorschläge zur Verbesserung von Bildung und Gesundheit gemacht sowie Maßnahmen gegen die stark steigenden Preise gefordert. Tatsächlich war der Staatschef im Mai nach Totonicapán gereist und hatte mit Vertretern der 48 Kantone über Verbesserungen gesprochen. In dem Departamento leben nach einer Studie der San-Carlos-Universität 85 Prozent der Bevölkerung in Armut und extremer Armut. Passiert ist seitdem allerdings nicht viel. »Konkrete Handlungen von seiten der Regierung gibt es bisher nicht«, erklärte Zapeta im Gespräch mit jW. »Die Regierung macht Versprechungen, tritt in den Dialog und unterschreibt Abkommen, aber den konkreten Willen zum Handeln zeigt sie bisher nicht.«
Ein weiterer Kritikpunkt war zu Beginn der Regierung Arévalo die geringe Repräsentanz von Indigenen in Regierungsämtern. In dem im Januar vorgestellten Kabinett war mit Miriam Roquel als Arbeitsministerin nur eine Ministerin indigener Herkunft. Für besondere Kritik hatte die Ernennung von Anayté Guardado als Ministerin für Bergbau und Energie gesorgt. Dieses Ressort ist gerade für die indigene Bevölkerung von Bedeutung, Megaprojekte zu Stromerzeugung und Bergbau führen im Land immer wieder zu Konflikten. Die Unternehmerin Guardado soll selbst geschäftlich in solche Vorhaben im Norden des Landes involviert sein und trat nach Protesten schon vor Amtsantritt zurück. Nach weiteren Umstrukturierungen in diesem Amt wurde im August Luis Pacheco, im vergangenen Jahr Präsident der 48 Kantone, zum Vizeminister für Bergbau und Energie ernannt. Pacheco soll insbesondere für den Dialog mit den indigenen Völkern und die in internationalen Verträgen festgelegten Volksbefragungen zuständig sein.
Auch bei den neuen Gouverneuren, die im März und April ernannt wurden, sind einige Aktivisten aus indigenen Bewegungen. Herauszustellen ist die Ernennung von Édgar Benjamín Tuy Bixcul zum Gouverneur des Departamentos Sololá. Tuy war im vergangenen Jahr Indigener Bürgermeister und neben Pacheco eine der bekanntesten Persönlichkeiten bei den Protesten.
Die indigene Bevölkerung macht laut der Volkszählung von 2018 43,5 Prozent der Bevölkerung aus. 79,2 Prozent der indigenen Bevölkerung leben in Armut und extremer Armut, 60 Prozent der indigenen Kinder unter fünf Jahren sind chronisch unterernährt.
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