Rendite statt Versorgung
Von Sebastian EdingerAnfang Dezember wurde der Boss des größten Anbieters von Krankenversicherungen in den USA, der United Health Group, in Manhattan erschossen. Seither wird mal wieder heftig über den Zustand des dortigen Gesundheitssystems diskutiert. Dabei zeigt sich: Die Unzufriedenheit der Menschen ist so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dafür sprudeln seit der vor zehn Jahren erfolgten finalen Umsetzung des Affordable Care Acts (ACA), besser bekannt als »Obamacare«, die Gewinne der großen Versicherungskonzerne.
Allein Branchenprimus United Health konnte seinen Jahresgewinn seit 2014 um 400 Prozent steigern, wie das Nachrichtenportal The Lever berichtete. Im vergangenen Jahr konnten 22,4 Milliarden US-Dollar (ca. 21,35 Milliarden Euro) als Gewinn verbucht werden. Die fünf größten Versicherungsanbieter des Landes zusammen haben seit dem Inkrafttreten des ACA Profite von insgesamt 371 Milliarden abgeschöpft. Neben United Health handelt es sich dabei um Cigna, Kaiser Permanente, Elevance Health und CVS Health. Gemeinsam haben diese Unternehmen mittlerweile dank einiger Fusionen und Übernahmen in den vergangenen Jahren einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent.
Rund 40 Prozent der Top-five-Profite entfallen auf United Health. Der Konzern fungiert für rund 50 Millionen US-Amerikaner als Krankenversicherer – und lässt sich von diesen immer üppigere Beiträge überweisen. 26.000 US-Dollar zahlt die Durchschnittsfamilie in den Vereinigten Staaten mittlerweile jährlich für den Gesundheitsschutz. Seit dem ACA-Inkrafttreten sind die Beiträge um 52 Prozent gestiegen. Im Ernstfall werden die Versicherten mit ihren Gesundheitsproblemen trotzdem häufig alleingelassen. Denn zum Geschäftsmodell der Versicherungskonzerne gehören nicht nur steigende Beiträge, sondern gleichzeitig auch sinkende Behandlungsbewilligungen.
United Health treibt es besonders wild: Laut einer Erhebung des Centers for Medicare and Medicaid Services wurden im Jahr 2021 versicherungsübergreifend 17 Prozent der Erstattungsansprüche abgelehnt. Bei United Health war es jeder Dritte, wie die Analyse-Plattform Value Penguin herausfand. »United Health ist die schlechteste Versicherungsgesellschaft bei der Begleichung von Schadensfällen«, heißt es in der Studie. Die Versicherten bleiben dann auf den Kosten notwendiger Behandlungen sitzen – oder müssen verzichten.
Eine Folge dieser Entwicklung ist ein dramatischer Anstieg der Privatverschuldung, wie aktuelle Schätzungen des Consumer Financial Protection Bureaus, einer Verbraucherschutzbehörde, zeigen. Diesen zufolge hat mittlerweile fast jeder zwölfte US-Bürger medizinische Schulden, wobei rund drei Millionen Menschen aufgrund notwendiger Behandlungen mit mehr als 10.000 US-Dollar in den Miesen sind. Besser geht es den Bossen der Versicherungskonzerne: Allein im letzten Jahr haben die Chefs der fünf Großen zusammen eine Jahresvergütung von rund 75 Millionen eingestrichen.
Die Wut in der Bevölkerung ist groß: Laut einer Gallup-Umfrage hat die Meinung der US-Bürger über den Zustand des Gesundheitssystems gerade den tiefsten Stand seit 24 Jahren erreicht. Weiter zeigt die Erhebung, dass 62 Prozent der Befragten die Auffassung vertreten, für die Regierung bestehe eine Verantwortung sicherzustellen, dass alle Bürger über eine funktionierende Krankenversicherung verfügen. Auch dies ist ein Rekordwert.
Trotz aller Schwächen zählt das US-Gesundheitssystem mittlerweile zu den teuersten der Welt: 4,8 Billionen Dollar werden jährlich dafür aufgewendet, hauptsächlich in Form staatlicher Programme und privater Versicherungen. Mit dem ACA waren die US-Amerikaner verpflichtet worden, eine Krankenversicherung abzuschließen. Für die entsprechenden Policen wurden staatliche Zuschüsse eingeführt. Bei der Festsetzung der Prämien und Leistungskataloge wurde den Anbietern allerdings weitgehend freie Hand gelassen, der Markt sollte es richten. Jedoch wird der Wettbewerb seither durch die Entstehung oligopolistischer Strukturen immer weiter außer Kraft gesetzt.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (19. Dezember 2024 um 11:32 Uhr)Was wieder mal die bekannte These Theodor W. Adornos auf übel kapitalistischste Weise bestätigt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen! Ergo: Keinen menschlichen Kapitalismus.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (19. Dezember 2024 um 11:22 Uhr)Sebastian Edinger beschreibt am Beispiel der USA überaus treffend einen der inzwischen Standard gewordenen Wege, Profite auch aus Bereichen der Gesellschaft zu pressen, in denen Profite überhaupt nicht entstehen. Im Gesundheitswesen als Teil der gesellschaftlichen Konsumtion ist jeder Cent Profit nichts anderes als ein schmerzhafter Abzug von den eigentlich erforderlichen Leistungen. Dem Kapital sind die in der materiellen Produktion zu erzielenden Profitraten längst nicht mehr genug, weil diese dort an ganz normale Grenzen stoßen, wie schon Karl Marx zeigte. Die Gier nach Profit lässt die Aasgeier des Kapitals deshalb in Scharen über Bereiche herfallen, in denen jede zusätzliche Entnahme nur katastrophale Folgen haben kann. In Deutschland nennt sich dieser Raubzug vornehm »Unterfinanzierung«. Dass Bildung, Gesundheit, Kultur, Soziales, Infrastruktur leiden – wen kümmerts, solange die Profite fließen. Wie die dadurch entstehende verbrannte Erde aussieht und welch schmerzhafte Folgen sie für das Volk hat: In den USA lässt sich das bereits trefflich studieren. Allerdings ist auch dort schon die alte Weisheit zu erkennen, dass der Krug nur so lange zum Brunnen gehen kann, bis er irgendwann bricht.
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