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Aus: Ausgabe vom 19.12.2024, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

Verteidigung der Rechtsform

Zum Tod der Demokratietheoretikerin Ingeborg Maus
Von David Fischer
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»Gerade hier in Frankfurt am Main existiert ein großer Kreis Ihrer ›negativen Verehrer‹« – Ingeborg Maus an Carl Schmitt (11.2.1971)

Die Politikwissenschaftlerin Ingeborg Maus ist tot. Wie am Wochenende bekannt wurde, starb sie am 14. Dezember in Frankfurt am Main. An der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität dort war sie von 1992 bis 2003 Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte in der Nachfolge von Iring Fetscher gewesen. Zuvor hatte Maus, seit 1980 habilitiert, zwischen 1987 und 1991 in der von Jürgen Habermas geleiteten Arbeitsgruppe Rechtstheorie gearbeitet.

Während der 60er Jahre von der Protestbewegung der Außerparlamentarischen Opposition (APO) geprägt, fand Maus ihr Thema in der demokratietheoretischen Bedeutung der Volkssouveränität, die sie normativ zu bestimmen suchte. Dabei hatte sie wie die junge Politikwissenschaft der BRD das Scheitern der bürgerlichen Demokratie der Zwischenkriegszeit vor Augen und schloss an die »linksschmittianische« Tradition linker Juristen wie Otto Kirchheimer und Franz Neumann an. Ihr Demokratieverständnis entwickelte sie in expliziter Abgrenzung zum faschistischen Juristen Carl Schmitt, der im Geistesleben der Nachkriegs-BRD ein großes Netzwerk unterhielt und früh mit ihr den brieflichen Austausch suchte. Dabei akzeptierte sie nie die scharfe Schmittsche Unterscheidung zwischen »Liberalismus« und »Demokratie« (siehe »Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus«, 1923), die ihn für viele Linke interessant machte, sondern versuchte »Volkssouveränität« sowohl als basisdemokratische als auch repräsentative Funktion zu fassen.

Maus richtete sich gegen die, nicht zuletzt in Schmitts Dezisionismus angelegte, Überwölbung und Aushöhlung der gesetzgebenden Souveränität durch Exekutive wie Judikative, die sie bis zuletzt als »Refeudalisierungen« des Politischen bekämpfte. Dabei vertraute sie auf Gewährsmänner wie Rousseau und Kant und verteidigte den Rechtspositivismus in seinem Beharren auf Formprinzipien. Noch ihr letztes Buch von 2018 versammelt Aufsätze, die vor der »Justiz als gesellschaftliches Über-Ich« (2018) warnen. Ihre Promotion (bei Carlo Schmid und Christian Graf von Krockow), die unter dem Titel »Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus« (1976) erschien, ist für die Auseinandersetzung mit Schmitt noch immer bedeutsam.

Maus formulierte in Anschluss an Kant ein radikalpartizipatorisches, prozeduralistisches Demokratieverständnis und beeinflusste damit auch das Habermassche Denken merklich. Als ihr Hauptwerk muss »Zur Aufklärung der Demokratietheorie« (1992) gelten. Ab den 90er Jahren bekämpfte Maus in ihren Schriften die scheinliberalen Begründungen für »humanitäre Interventionen« und »Demokratieexport«. Ihr Werk muss als einer der letzten respektablen, eine liberale Sozial-Demokratie unter bürgerlichen Gesellschaftsbedingungen begründenden Theorieentwürfe gelten.

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