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Aus: Ausgabe vom 23.12.2024, Seite 7 / Ausland
Jahresrückblick 2024

Mit dem Rücken an der Wand

Jahresrückblick 2024. Heute: Iran. Konflikte auf allen Ebenen mit Propaganda kaschiert – vor allem im Hinblick auf Israel
Von Knut Mellenthin
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Das Feindbild ist klar: Israel und die USA werden in Teheran vielfältig gewürdigt (7.11.2024)

Iran ist zum Jahreswechsel mit der dort üblichen saisonalen Energiekrise konfrontiert, die aber den Berichten zufolge noch schwerere Auswirkungen hat als in früheren Jahren. In dem Land, das die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt besitzt, werden in vielen Landesteilen vorübergehend Schulen und Behörden geschlossen, um Energie zu sparen. Aus dem gleichen Grund werden regelmäßig längere Stromabschaltungen vorgenommen. Industrien, die viel Energie verbrauchen, wie die Stahlwerke, reduzieren ihre Produktion – mit entsprechenden Folgen auch für den Export. Hintergrund ist ein extrem kalter Winter, der besonders Teheran und die nördlichen Provinzen trifft. Einem unzuverlässigen Bericht der New York Times vom Sonnabend zufolge sei die Lage außerdem durch einen israelischen Sabotageakt gegen zwei Gaspipelines im Februar verschärft worden, durch den Iran gezwungen worden sei, seine Reserven für Notfälle zu beanspruchen.

Iran bezieht seinen Energiebedarf vorrangig aus Erdgas. Die Preise für den privaten Verbrauch werden durch staatliche Subventionen niedrig gehalten. Die Gasmengen, die bei der Erdölförderung nutzlos abgefackelt werden, sind im internationalen Vergleich außergewöhnlich groß. Durch die westlichen Sanktionen werden ausländische Investoren abgeschreckt, und die iranische Wirtschaft allein ist zu schwach, um die dringend erforderlichen Finanzmittel zur Instandhaltung und Erneuerung der Infrastruktur aufzubringen. Auch China und Russland sind mit Investitionen im Iran zurückhaltend. Zwar gibt es seit einigen Jahren mit beiden Ländern »strategische Abkommen«, aber die Regierung in Teheran mahnt bei allen Treffen deren »Umsetzung« an. Offenbar bleibt die tatsächliche Kooperation hinter den iranischen Erwartungen zurück.

Gleichzeitig geht dringend benötigte soziale und politische Energie durch kontraproduktive Konflikte verloren. Der Dauerstreit um die repressiv durchgesetzten Bekleidungsvorschriften – nicht ausschließlich, aber hauptsächlich für Frauen – konzentriert sich seit einigen Monaten auf ein neues »Hidschab-Gesetz«, das einen Katalog von Strafen vorsieht. Verfolgt werden nicht nur Verstöße gegen den Dresscode, sondern noch härter Kritik an diesem und seiner Durchsetzung mit Zwang und schikanösen Methoden sowie mit Strafbedrohung, die bis zu mehrjähriger Haft reicht.

Dieser und andere Konflikte erschweren die Arbeit des seit Ende Juli amtierenden Präsidenten Massud Peseschkian und der von ihm geführten Regierung. Peseschkian hatte im Wahlkampf gegen den Hidschab-Zwang und gegen Beschränkungen der kulturellen Betätigung und der Informationsfreiheit argumentiert. Iran könne es sich angesichts seiner bedrängten Lage nicht leisten, große Teile der Bevölkerung, insbesondere der Jugend, zu verlieren.

Neuwahlen waren nötig geworden, nachdem der vorhergehende Präsident Ebrahim Raisi am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Die Wahlbeteiligung lag im ersten Durchgang am 28. Juni bei knapp 40 Prozent und war damit die niedrigste seit Gründung der Islamischen Republik 1979. Bei der Stichwahl am 5. Juli war sie mit knapp 50 Prozent etwas höher, aber immer noch deutlich unter dem Durchschnitt früherer Wahlen. Im ersten Wahlgang wurde außerdem eine Million ungültiger Stimmzettel abgegeben.

Während des Wahlkampfs hatten der gesamte Staatsapparat und die Medien Dauerpropaganda für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung gemacht, da diese entscheidend für die Stärkung des iranischen Einflusses »in der Region und darüber hinaus« sei, wie es Außenministeriumssprecher Nasser Kanaani ausdrückte. Vor diesem Hintergrund musste die niedrige Beteiligung als bewusster oder resignativer Wahlboykott von großen Teilen der Bevölkerung interpretiert werden. Aber statt eine selbstkritische Analyse vorzunehmen, feierten die iranische Führung und die Medien das Ergebnis als großartigen Erfolg, der bei allen Feinden Irans Angst und Schrecken ausgelöst habe. So krass wirklichkeitsferne Einordnungen sind für die iranische Propaganda typisch und tragen zur Ausbreitung und Verstärkung von Resignation, Misstrauen und Feindseligkeit gegen die Führung bei.

Das gilt auch für die insgesamt falschen, oft prahlerisch ausufernden Darstellungen des offenen Krieges mit Israel, in dem sich Iran de facto seit dem 7. Oktober 2023 befindet. In der Realität haben die wichtigsten Verbündeten Irans in der »Achse des Widerstands«, die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah, fast ihre gesamte oberste und mittlere Führungsschicht durch gezielte israelische Mordschläge verloren. Das ist letztlich kriegsentscheidend, auch wenn den Organisationen Tausende neuer Kampfwilliger zuströmen. Aber die iranische Propaganda behauptet unverändert, Israel habe schwere Niederlagen erlitten und stehe kurz vor dem Zusammenbruch. Dass ein israelischer Rentner in Tel Aviv ohne politische oder militärische Bedeutung rein zufällig durch eine vereinzelte Rakete, die aus dem Jemen abgeschossen wurde, getötet wird, gerät in den iranischen Medien, wie am Sonnabend geschehen, zu einer triumphalen militärischen Operation, die das Ende des zionistischen Staates einläutet.

Im zu Ende gehenden Jahr haben Iran und Israel insgesamt vier große militärische Angriffe »ausgetauscht«: Iran am 13. April und 1. Oktober, Israel am 19. April und 26. Oktober. Auf diesen Angriff hat Teheran bisher nicht militärisch reagiert, auch wenn politische und militärische Führer immer noch gelegentlich verkünden, dass eine »zerschmetternde Antwort«, die Israel zutiefst bereuen werde, »definitiv« zu erwarten sei.

Iran hat beim ersten Angriff im April über 300 Flugkörper, hauptsächlich Drohnen und relativ wenig Raketen, eingesetzt. Beim zweiten Angriff am 1. Oktober waren es ungefähr 200 Raketen. Weil Drohnen leichter abzufangen sind als Raketen, war der zweite Angriff erfolgreicher. Auf dem Gelände eines israelischen Luftwaffenstützpunkts schlugen mehr als 20 Raketen ein, aber der Effekt war minimal. Beim israelischen »Vergeltungsschlag« am 26. Oktober, an dem angeblich rund 120 Kampfflugzeuge beteiligt waren, wurden hauptsächlich Anlagen der iranischen Luftabwehr zerstört. Die israelische Propaganda behauptet seither, der Luftraum über dem Iran sei praktisch völlig offen, die Handlungsfreiheit der israelischen Luftwaffe (IAF) unbegrenzt. Das ist vermutlich übertrieben, aber sekundär, weil die IAF nicht einmal in Irans Luftraum eindringen muss, um ihre Raketen abzuschießen. Sicher scheint, dass von der iranischen Fähigkeit, Ziele in Israel zu treffen, keine nennenswerte militärische Abschreckung ausgeht.

In Israels politischen und militärischen Führungskreisen, und das schließt auch alle relevanten Oppositionspolitiker ein, besteht Konsens, dass – zumal nach dem Zusammenbruch des bis dahin mit Iran verbündeten syrischen Staates – ein günstiges Zeitfenster für einen Großangriff auf das iranische Atomprogramm offensteht, das unbedingt bald, vielleicht noch vor dem Amtsantritt von Donald Trump am 20. Januar, genutzt werden muss. Dagegen kann Teheran wahrscheinlich nicht viel tun.

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