Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 24.12.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Krieg gegen Palästina

Christus in Trümmern

Gegen Tod, Vertreibung und Unterdrückung: Bethlehems revolutionäre Weihnachtsbotschaft in die Welt
Von Helga Baumgarten, Jerusalem
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Inmitten von Ruinen: Maisa Jussef hat schon zahlreiche Gemälde im Bombenhagel erschaffen (Deir Al-Balah, 3.12.2024)

Horror und Entsetzen in der evangelischen Weihnachtskirche mitten in der Altstadt in Bethlehem: Der Völkermord im Gazastreifen dauert nun schon 400 Tage an. 400 Tage des Grauens, des Tötens, des Mordens, des Zerstörens: Mindestens 17.000 Kinder sind tot. Und die Welt schaut zu. Die reichen Staaten des Nordens schicken Waffen nach Israel und unterstützen den Völkermord. Waffenkonzerne streichen ungeahnte Profite ein.

Von den offiziellen Kirchen der Welt kommen fast nur leere Worte. Sie behaupten, sie wollten Frieden, bestehen aber gleichzeitig darauf, dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Denn zuerst und vor allem fühlen sie sich Israel verpflichtet.

Hier erinnert der Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Weihnachtskirche, Munther Isaac, alle an die revolutionäre Botschaft aus Bethlehem: Jesus wurde als Vertriebener in Armut geboren. Ein imperialer Herrscher mordete Kinder, nur um Jesus zu finden, und trieb seine Eltern in die Flucht nach Ägypten. Kinder als Kollateralschaden, wie in Gaza. Man mordet viele, um einen zu fassen. Maria und Joseph musste mit ihrem neugeborenen Baby fliehen.

Pfarrer Munther weist auf den sich aufdrängenden Vergleich mit Gaza seit 2023 hin, einen Vergleich, der für jeden, der Augen hat zu sehen und Ohren hat zu hören, offensichtlich sein sollte. Nur: Die Reichen der Welt, die Mächtigen und nicht zuletzt die Kirchen, die sich an die Reichen und Mächtigen halten, sie alle schließen davor Augen und Ohren. Der reiche Norden mit seiner kolonialen Vergangenheit und seiner imperialen Politik heute, allen voran die USA und Europa – und Deutschland spielt eine schockierend beschämende Rolle dabei –, beanspruchen Jesus für sich. Sie formen ihn um nach ihren Wünschen und nach ihrem Bild.

Die ursprüngliche Botschaft aus Bethlehem wollen sie nicht mehr hören. Es ist lediglich ein Pilgerort im Westjordanland für sie, durch den man ziehen muss, um dann schnell wieder in das verbündete reiche und starke und so westlich-moderne Israel zurückzugehen. In Bethlehem nehmen diese sich christlich nennenden Touristen die Menschen nicht wahr. Palästinenser existieren gar nicht für sie. Sie sehen dort nur feindliche Muslime. Die Christen in Bethlehem vergessen sie, weil sie nicht in ihr Weltbild passen.

Dehumanisierung eines ganzen Volkes, das Freiwild für die Besatzungsmacht wird, mit dem Segen des Nordens. »Ethnische Säuberung« und zunehmende Gewalt in der Westbank und in Ostjerusalem, Völkermord im Gazastreifen: Was schert es den reichen Norden? Der Verbündete ist Israel. Und das hat »Narrenfreiheit«, darf morden und zerstören, wie es ja der Norden seit Jahrhunderten macht, die USA weltweit, die Deutschen mit ihrer »Gründlichkeit« zuerst in Namibia, dann in Europa: Millionen Mordopfer.

Pfarrer Munther legt seinen Finger in diese Wunde und spricht Klartext. Die Palästinenser werden nicht erst seit dem Oktober 2023 unterdrückt, getötet, gemordet, vertrieben, ihre Häuser zerstört und bombardiert. Gaza ist seit 2006 hermetisch abgeriegelt und unter einer menschenverachtenden Blockade. Zahllose Kriege wurden gegen die Menschen in Gaza geführt: 2006, 2008/09, 2012, 2014, 2021, 2023 im Sommer und schließlich der gnadenlose Völkermord seit 400 Tagen.

Westbank, Ostjerusalem und der Gazastreifen sind seit 1967 von Israel besetzt, und die Vertreibung hat mit der Gründung des zionistischen Israel begonnen, 1948, mit der palästinensischen Nakba (Katastrophe). Grundübel – und hier ist Pfarrer Munther in Einklang mit der Jewish Voice for Peace, mit Zochrot und mit Akademikern wie nicht zuletzt Ilan Pappe – ist die zionistische Ideologie, die seit Ende des 19. Jahrhunderts vorgibt, dass jüdische Einwanderer nach Palästina in ein Land ohne Volk kommen können. Begründer Theodor Herzl und die zionistische Bewegung weigerten sich einzugestehen, dass es in eben diesem Land ein Volk gab und gibt: die Palästinenser. Diese Ignoranz wird von christlichen Zionisten weltweit unterstützt.

Das siedlerkolonialistische Israel, das ein Apartheidsystem aufgebaut hat – schlimmer als die Apartheid in Südafrika, wie Bischof Desmond Tutu und weitere Südafrikaner immer wieder betont haben und betonen –, muss transformiert werden in ein Land ohne Zionismus und ohne Siedlerkolonialismus. Es muss zu einem Land werden, in dem alle Menschen gleichberechtigt und frei leben können. Gerechtigkeit muss sich durchsetzen. Für den christlichen Zionismus ist das Anathema.

Zum Abschluss seiner Weihnachtspredigt betont Pfarrer Munther das Prinzip Hoffnung. Nicht ohne Stolz verkündet er: »Wir Palästinenser geben nicht auf. Wir werden nie aufgeben. Seit 1948 haben wir kontinuierlich auf Frieden gehofft. Und wir werden weiter auf Frieden hoffen.« Seine Botschaft aus Bethlehem, eine zutiefst christliche – die Botschaft Weihnachtens –, ist unzweideutig: Sie steht für Freiheit für die Unterdrückten, Gerechtigkeit für die Ärmsten, Rückkehr in die Heimat für alle Vertriebenen und Flüchtlinge. Und Rückkehr muss zuerst und vor allem eine Rückkehr aller Vertriebenen in Gaza in ihre Wohnungen und Häuser sein, die schnellstens wiederaufgebaut werden müssen. Dafür braucht es allerdings ein sofortiges Ende der Bombardierungen, ein Ende der Zerstörungen, ein Ende der Vertreibungen und ein Ende des Völkermordes.

Hintergrund: Unterlassene Hilfe

Schon seit Anfang der 90er Jahre war es extrem schwierig, Menschen aus dem Gazastreifen nach Jerusalem zu bringen, selbst Kranke und kranke Kinder. Endlose Prozesse der Antragstellung, zermürbende Bürokratie, trotz der Hilfe israelischer Organisationen wie »Gisha«.

Immer wieder gelang es aber, und immer wieder konnten auch krebskranke Kinder zur dringend notwendigen Behandlung ins Augusta-Victoria-Krankenhaus (AVH) gebracht werden, das einzige auf Krebsbehandlung spezialisierte palästinensische Hospital. Das zweite Problem war die Erlaubnis für die Begleitung durch die Mutter. Manchmal klappte es, manchmal erhielten nur die Großmutter oder eine Tante eine Genehmigung.

Nach Abschluss der ersten Behandlungsphase war es notwendig, dass die Kinder in regelmäßigen Abständen nach Jerusalem kamen, um ihre Arznei unter ärztlicher Aufsicht zu erhalten. Auch das wurde oft eine regelrechte Sisyphus-Aufgabe.

Seit Oktober 2023 gibt es keine Genehmigungen mehr. Doch die Ärzte im AVH gaben nicht auf. Sie bemühten sich um eine Alternative und versuchten, die lebensnotwendige Arznei für die Krebsbehandlung nach Gaza zu bringen. Nach monatelangen Verhandlungen und Koordinationsbemühungen seitens des Lutherischen Weltbunds (er betreibt inzwischen das AVH), der Mariam-Stiftung, des König-Hussein Krebszentrums in Amman und Finanzierungshilfen durch die Bank of Jordan kamen die ersten Arzneilieferungen im Ahli-Krankenhaus in Gaza an.

Obwohl es, wie alle Krankenhäuser in der Enklave, wiederholt bombardiert und angegriffen wurde, arbeiten die Ärzte dort weiter. Nach den letzten Informationen versorgen sie täglich über 700 Menschen ambulant, 170 Patienten werden im Krankenhaus behandelt.

Inzwischen meldet die WHO, dass Israel keine Medikamentenlieferungen mehr nach Gaza hereinlässt. (hba)

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