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Aus: Ausgabe vom 24.12.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Palästina

Stimmen aus Gaza

Ostjerusalemer Buchhändler lässt Palästinenser ihre Geschichten erzählen
Von Helga Baumgarten, Jerusalem
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Mahmud Muna (l.) und Matthew Teller gaben jenen eine Stimme, die nicht gehört werden sollen

Mahmud Muna liebt Bücher und führt seit einigen Jahren den »Educational Bookstore« im besetzten Ostjerusalem beim American Colony Hotel, als Nachfolger des »Booksellers from Jerusalem«, der das Land verlassen musste. Wir treffen uns im Buchladen selbst, der sonntags inzwischen geschlossen ist: Wer kann heute noch nach Jerusalem kommen? Leider so gut wie unmöglich für die Palästinenser aus der Westbank.

Ich frage Mahmud, wie die Idee zum Buch »Daybreak in Gaza« entstanden ist. Er erzählt mir, dass er selbst noch nie dort gewesen sei. Selbst vor dem Oktober 2023 war es für Menschen aus Jerusalem so gut wie unmöglich, in die palästinensische Enklave zu reisen. Es gab nur eine kurze Periode in den 1990er Jahren, aber da war Mahmud noch zu jung.

Aber er hat Bekannte und Freunde im Gazastreifen, und seit dem vergangenen Jahr ruft er fast täglich bei ihnen an … wie wir alle das aus Jerusalem oder aus der Westbank machen: »Wie geht es Euch?« ist immer die erste Frage. Aber ab Februar/März wurde es unmöglich zu fragen, wie es Freunden geht, die vom Völkermord bedroht sind. Also bat Mahmud seine Freundinnen und Freunde, einfach von sich zu erzählen. Und er war fasziniert, wie dankbar die Menschen in Gaza waren, wenn sie reden durften.

In kürzester Zeit konnte Mahmud die erstaunlichsten Geschichten hören. Er kontaktierte seinen Freund Matthew Teller in London, der ebenfalls Freunde in der Enklave hatte und mit ihnen in ständigem Kontakt war. Die Frage war: Können wir aus den Geschichten dieser Menschen ein Buch machen, und finden wir einen Verlag, der es in sein Programm aufnimmt? Wie zu erwarten, lehnten die Mainstreamverlage alle mit den lächerlichsten Begründungen ab. Aber Saqi Press in London reagierte sofort positiv.

Mahmud und Matthew kontaktierten ihre Freunde in Gaza und fragten sie, ob sie bereit seien, ihre Geschichten öffentlichzumachen. Alle waren begeistert. Mahmud sammelte alles so schnell es ging und gab es autorisiert an den Verlag weiter. Bis August waren die Texte fertig zur Publikation. Dann schaffte Saqi Press die schnellste Buchherausgabe seiner Geschichte: Im Oktober war das Buch auf dem Markt: von Refaat Alareer bis Atef Alshaer, von Hind Dschuda bis Haifa Fradschallah, aber auch mit den Stimmen von Mahmud Darwish und Ghassan Kanafani, beide mit Texten zu Gaza.

Refaat Alareer, Poet und Professor für Literatur, wurde schon am 6. Dezember 2023 in den Tod gebombt. Sein Gedicht »Wenn ich sterben muss« ging um die Welt, vor allem mit dem letzten Vers: »Wenn ich sterben muss, soll mein Tod Hoffnung bringen, eine Geschichte werden.« Atef Alshaer war sein Freund und überlebt inzwischen im Exil in Ägypten. Hind Dschuda schließlich schrieb: »Wie kann man Dichterin sein im Krieg? Man muss sich entschuldigen, vor den verbrannten Bäumen … vor den Kindern mit den blassen Gesichtern, vor und nach dem Tod … O Gott. Ich will keine Dichterin sein im Krieg.«

Über 10.000 Bücher sind schon verkauft. Übersetzungen ins Bosnische, Italienische, Französische und Niederländische sind in Vorbereitung. Jetzt sucht Mahmud einen Verlag in Deutschland. Denn gerade hier soll die Botschaft der Menschen aus Gaza, über ihr Leben und ihre Kultur, die von Israel im kulturellen Genozid zerstört werden soll, ankommen und weit verbreitet werden.

Mahmud Muna und Matthew Teller (Hrsg.) mit Juliette Touma und Dschajjab Abusafia: »Daybreak in Gaza: Stories of Palestinian Lives and Culture«. Saqi Press, London 2024,
336 Seiten, 14,99 Pfund Sterling

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