Reserve in Not
Von Oliver RastSchummrige Tage, lange Nächte, schlappe Böen, laue Lüftchen. Typische Witterung im Herbst, im Winter. Für ein Land, das vorrangig auf regenerative Energieträger setzt, etwa auf Wind- und Solarkraft, ist das ein Problem. Und das heißt: »Dunkelflaute«. Um den Energiekollaps zu verhindern, hält die Bundesnetzagentur sogenannte Reservekraftwerke betriebsbereit, etwa 30 systemrelevante an der Zahl, berichtete das Handelsblatt am Montag.
Diese Netz- und Notfallreserve kostete im vergangenen Jahr rund 280 Millionen Euro. Und um die wetterunabhängigen Anlagen wie Kohle-, Gas- und Wasserkraftwerke in Schuss zu halten, braucht es Hunderte Beschäftigte. Sie begeben sich jeden Morgen zur Werksschicht, testen, prüfen – nur Strom produzieren sie nicht. Das geht gegen den Produzentenstolz der Mehrwertproduzenten. Folgerichtig hätten die Kraftwerker »mentale Probleme«, wurde ein Betreiber im Handelsblatt zitiert.
Ein Problem ist auch das: An der Strombörse schnellten am 12. Dezember zwischen 17 und 18 Uhr die Preise auf ein Rekordhoch. Eine Megawattstunde Strom im deutschen Stromgroßhandel kostete 936 Euro. Wenig Wind und hoher Verbrauch seien zusammengekommen, so das Bundeswirtschaftsministerium in einer Mitteilung. Zum Vergleich: Im Tagesdurchschnitt an besagtem Donnerstag kostete eine Megawattstunde 395 Euro, am windreichen 6. Dezember alldieweil im Schnitt nur 86 Euro.
Kurios: Trotz der Preisexplosion blieb die Netzreserve unangetastet. Warum? Strompreisschwankungen sind gewollt, »diese gehörten zu einem funktionierenden Strommarkt dazu«, äußerte sich Leonhard Probst, Energieexperte am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), gegenüber dem Handelsblatt. Aktuell würde Kraftwerke aus der Reserve erst ab einem Strompreis von 4.000 Euro pro Megawattstunde anlaufen. Und sowieso: Die Netzreserve sei dazu da, das Stromnetz zu stabilisieren, nicht Preise zu senken.
Davon unabhängig steht fest: Die BRD hat 2023 erstmals seit 2002 mehr Strom importiert als an Nachbarländer exportiert, hatte das kapitalnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bereits im Juni dieses Jahres resümiert. Und das ist so geblieben. Im November 2024 exportierte Deutschland rund 4,6 Terawattstunden Strom und importierte 6,1 Terawattstunden. 2023 war Frankreich der größte Abnehmer der deutschen Stromausfuhren. Im selben Jahr wurde hingegen die größte Energiemenge aus Dänemark eingeführt, vermeldete kürzlich das Statistische Bundesamt.
Dennoch stößt das hiesige Stromnetz regelmäßig an Kapazitätsgrenzen, sind gezielte Eingriffe in den Kraftwerksbetrieb nötig, um es am Laufen zu halten. Solche Netzengpassmaßnahmen (auch Redispatch genannt) kommen immer häufiger vor. Das Redispatchvolumen habe im Jahr 2018 bei 21,2 Terawattstunden gelegen und sei bis 2023 auf insgesamt 34,3 Terawattstunden stark angewachsen, hatte der Informationsdienst des IW im Juli des Jahres berichtet. Die Kosten für den Redispatch hätten sich ferner innerhalb von fünf Jahren auf rund 3,1 Milliarden Euro verdoppelt – »zu Lasten der Verbraucher, an welche diese Kosten über die Netzentgelte weitergeleitet werden«.
Nicht von ungefähr mahnte Verena Bentele am vierten Advent: »Weihnachten steht vor der Tür, und viele Familien wissen noch nicht einmal, wie sie die Heizkosten für die Wohnung oder die Lebensmittel bezahlen sollen – geschweige denn Geschenke oder einen Weihnachtsbaum«, so die Präsidentin des Sozialverbands VdK. So mies wie das Wetter ist, ist die soziale Großwetterlage.
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