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Aus: Ausgabe vom 27.12.2024, Seite 6 / Ausland
Israel

Warten auf Trump

Jahresrückblick 2024. Heute: Israel. Das Bild der militärischen Erfolge des Landes beginnt, Risse zu zeigen
Von Shir Hever
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Zerstörung, so weit das Auge reicht (Gaza, 17.3.2024)

Eine in israelischen Zeitungen und Fernsehsendern erzählte Geschichte wird auch von westlichen Medien aufgegriffen: Israel ist ein Imperium auf dem Vormarsch, und Netanjahu ist der unbesiegte Anführer einer unaufhaltsamen Armee. Nach der Zerschlagung der Hamas in Gaza habe Israel die Hisbollah im Libanon mit einem Pager-Angriff am 18. September, gefolgt von Attentaten auf die Führung, zerstört. Die Attacke auf den Iran am 27. Oktober habe das Land schutzlos gegenüber künftigen Luftangriffen gemacht. Und nach dem Sturz von Baschar Al-Assad in Syrien und der Eroberung von Teilen des Landes durch Israel habe man alle militärischen Einrichtungen der syrischen Armee zerstört. Der frühere Leiter der Siedlerorganisation Yesha Council, Israel Harel, empfahl in einem Beitrag für die israelische Zeitung Haaretz sogar, dass Israel – eine »Villa im Dschungel« – die Arbeit zu Ende bringen und alle Sykes-Picot-Staaten beseitigen sollte.

Diese Geschichte erinnert an den zynischen Sketch von Hanoch Levine, der sich über die Euphorie Israels nach dem sogenannten großen Sieg von 1967 im »Sechstagekrieg« lustig macht. Doch wie viel davon ist Realität, und wie viel ist Propaganda? Eine israelische Zeitung veröffentlichte jüngst eine Karikatur von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Napoleon auf einem Pferd (in Anlehnung an das berühmte Gemälde »Bonaparte beim Überschreiten der Alpen« von Jacques-Louis David), der eine Amnestie für den von Emmanuel Macron ausgestellten IStGH-Haftbefehl gegen ihn in der Hand hält. Selbst diese Karikatur, die sich über Netanjahus Größenwahn lustig macht, fällt dessen Propaganda zum Opfer: Macron ist nicht für den Internationalen Strafgerichtshof zuständig, und die Aussage, der israelische Premier genieße Immunität, ist eine Lüge, die Netanjahu für innenpolitische Zwecke benötigt.

Ein guter Ansatzpunkt, um das Narrativ zu überprüfen, ist vielleicht der Zustand der israelischen Armee, die schon seit Monaten unter einem erheblichen Mangel an Soldaten leidet. Der frühere Verteidigungsminister Joaw Gallant warnte zwar im Juli, dass Israel dringend 10.000 weitere Soldaten benötige. Doch er wurde im November entlassen, bevor er auch die Ultraorthodoxen zum Dienst zwingen konnte. Die ultraorthodoxe Bevölkerung in Israel hat nach wie vor nicht die Absicht, in der Armee zu dienen. Und nachdem das israelische Verteidigungsministerium Offiziere und Soldaten eindringlich davor gewarnt hatte, in Staaten zu reisen, die Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs sind, weigern sich Tausende von Soldaten und Offizieren aus Angst vor Strafverfolgung dem Militärdienst im Gazastreifen. Es gibt sogar Fälle bei denen Soldaten und Offiziere mit Hilfe israelischer Botschaften aus verschiedenen Ländern herausgeschmuggelt worden sind, um einer Verhaftung zu entgehen. Ein anonymer israelischer Reservist äußerte sich im Dezember gegenüber Haaretz ausführlich über die gebrochene Moral der Soldaten. Die Einheiten dünnten aus, da Soldaten desertierten, das Land verließen oder nach Hunderten von Tagen aktiven Dienstes emotional und körperlich zusammenbrächen.

Dem israelischen Sozialwissenschaftler Yagil Levy zufolge flammt der Widerstand im Gazastreifen jedes Mal wieder auf, sobald das Militär aus einem Gebiet abzieht. Israel habe keine Strategie und keinen Plan, wie und wann es sich aus all den eroberten Gebieten zurückziehen solle. Dennoch stelle die Öffentlichkeit keine Fragen. Wenn Soldaten im Kampf getötet würden, berichteten die Zeitungen über ihren Tod als einen »Unfall«, um das falsche Narrativ zu stützen, dass Israels Feinde besiegt seien.

Der israelische Journalist Yaniv Kobowitz besuchte jüngst eines der Bataillone, die mit der Zerstörung der militärischen Infrastruktur Syriens beauftragt sind. Die Soldaten hätten ihm berichtet, dass sie zumeist nur geleerte Waffenlager finden und dass das syrische Militär viel geschwächter sei als angenommen. Israel behauptet dennoch stolz, syrische Panzer, die Artillerie, die Luftwaffe und die Marine zerstört zu haben. Außer einer Handvoll Bilder und kurzer Videos, die immer wieder in Umlauf gebracht werden, wird kein weiteres Material zur Untermauerung dieser Behauptungen vorgelegt.

Diese nationalistische Propaganda ist unhaltbar. Früher oder später, wahrscheinlich nach Donald Trumps Amtsantritt im Januar, wird die Wahrheit ans Licht kommen, dass Israels strategische Errungenschaften im Krieg größtenteils Schall und Rauch sind. Für Netanjahu sind es brenzlige Zeiten, da er weiterhin mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist und von einem Gericht gezwungen worden ist, auszusagen. Doch er sagte nur einen Tag lang aus und bezichtigte seine Gegner, sie seien verräterische Linke, während er sich selbst als unermüdlichen Führer seines Volkes präsentierte.

Am zweiten Prozesstag, dem 17. Dezember, ließ sich Netanjahu entschuldigen. Medien berichteten von einer Regierungsmaschine auf dem Weg nach Zypern, woraufhin sich Gerüchte über ein bevorstehendes Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas verbreiteten. Einige Stunden später stellte sich allerdings heraus, dass Netanjahu sich auf den Berg Hermon in Syrien begeben hatte, um zu verkünden, dass Israel beabsichtige, im besetzten Gebiet zu bleiben – eine reine Inszenierung also, um sich einen Tag Zeugenaussagen in seinem Prozess zu ersparen.

Am selben Tag verabschiedete die israelische Regierung auch einen Haushaltsentwurf für 2025. Darin wird vorgeschlagen, das weltweite Waffenembargo, das die größten Lieferanten die USA und Deutschland allerdings unterlaufen, zu umgehen. Und zwar dadurch, dass die Regierung Dutzende von Milliarden in ihre Rüstungsindustrie investiert, um alle Waffen und Munition, die die israelische Armee benötigt, im eigenen Land herzustellen. Es ist die gleiche Reaktion, die Israel 1967 auf das französische Militärembargo gegeben hatte – getragen von einer Hybris des »totalen Sieges«. Die Israelis haben dabei offenbar vergessen, dass sich die im Lande produzierten Waffen im Krieg von 1973 als unbrauchbar gegen die überlegenen sowjetischen Waffen erwiesen. Damals wurde Israel von den USA gerettet, die es mitten im Krieg mit besseren Waffen versorgten.

Die messianische Ultrarechte in Israel ist davon überzeugt, dass Trump ein Bote Gottes sei, gekommen, um Israel zu retten und dabei zu helfen, den Gazastreifen, den Libanon und Syrien zu besiedeln. In einer Situation, in der die israelische Mittelschicht das Land verlässt und oppositionelle Kräfte ruhig bleiben, scheint es ihr, als ob Netanjahu nur noch bis zu Trumps Amtseinführung durchhalten müsse, bevor er die Auflösung des israelischen Obersten Gerichtshofs anordnen und seinen Prozess beenden könne.

Der Gerichtsbeschluss des Internationalen Gerichtshofs vom Januar, der nach der Klage von Südafrika einen begründeten Verdacht des Völkermords sieht, wurde von israelischen Zeitungen weitgehend verschwiegen. Doch nachdem sowohl Amnesty International als auch Human Rights Watch Israel des Völkermords beschuldigt hatten, beginnt das Thema sehr langsam vom israelischen Diskurs aufgenommen zu werden. Denn wie das berühmte Lincoln-Zitat besagt: Man kann die gesamte Bevölkerung nicht die ganze Zeit täuschen.

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  • Leserbrief von Wolfgang Appel aus Chemnitz (27. Dezember 2024 um 09:09 Uhr)
    Die Wahrheit ist: Israelische Waffen sind weltweit begehrt und ein Exportschlager. Auch Deutschland kauft u.a. für den Leopard das Abwehrsystem Trophy. Warum berichtet die Junge Welt nicht wahrheitsgemäß?

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